Bauwelt

Der Standard beim Innenausbau hätte höher ausfallen sollen

Interview mit den Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann zum Neubau des Bundesinnenministeriums in Berlin und zur Sanierung und Erweiterung des Technischen Rathauses in Bielefeld

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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Thomas Müller (re.) und Ivan Reimann
Foto: Susanne Tessa Müller

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Thomas Müller (re.) und Ivan Reimann

Foto: Susanne Tessa Müller


Der Standard beim Innenausbau hätte höher ausfallen sollen

Interview mit den Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann zum Neubau des Bundesinnenministeriums in Berlin und zur Sanierung und Erweiterung des Technischen Rathauses in Bielefeld

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Herr Müller, Herr Reimann, welche Modifikationen hat es beim Innenministerium im Vergleich zum Wettbewerbsentwurf von 2007 gegeben?
Thomas Müller Die gravierendste Veränderung ist der Wegfall der Überdachung des südlichen Innenhofs. In der Wettbewerbskonzeption sollte ein Glasdach diesen Hof – ähnlich wie es beim Neubau des Auswärtigen Amtes der Fall ist (Bauwelt 5.2000) – zu einem zentralen gemeinschaft-lichen Raum des Gesamtkomplexes machen. Der Grund für die Änderung war der große Kosten- und Termindruck, unter dem die Planung stand. So sehr die Änderung die Gesamtkonzeption beeinflusst, hat sie doch auch positive Aspekte. Wir sehen sie daher mit einem weinenden und einem lachenden Auge.
Hätten Sie einen anderen Standort für das Ministerium eher präferiert?
Ivan Reimann Der Standort in unmittelbarer Nähe zu anderen Regierungsbauten erscheint uns richtig. Allein schon die Größe des Bauvorhabens und die strengen Sicherheitsanforderungen hätten seine Einbindung in gewachsene städtische Strukturen unmöglich gemacht. Viel mehr als einen anderen Standort hätten wir uns einen anderen Umgang mit dem Gegebenen gewünscht: ein Gebäude im öffentlichen Park, der ohne Sicherheitszaun in den Tiergarten übergeht. Dass dies nicht möglich ist, war von Anfang an klar. Die Wahl des Standorts und die Sicherheitsanforderungen resultieren nicht aus dem Bedürfnis, sich abzuschotten, sondern aus einer, im Vergleich zu früher realisierten Regierungsbauten, völlig veränderten weltpolitischen Situation. So gesehen sind die Regierungsbauten der neunziger Jahre in einer glücklichen historischen Periode entstanden, in der die terroristischen Bedrohungen noch nicht allgegenwärtig waren. Es wäre interessant zu untersuchen, wie sich solche Rahmenbedingungen auf den Umgang mit Stadt und Architektur auswirken.
Warum kam es zur Beauftragung des Büros gmp Architekten für die Leistungsphasen 6–9?
TM Das BBR hat mit der Auftragserteilung entschieden, dass die Planung und die Bauausführung von zwei unterschiedlichen Büros ausgeführt werden sollen. Wir hätten gerne das Projekt in allen Leistungsphasen betreut. Allerdings müssen wir fairerweise betonen, dass die Zusammenarbeit mit gmp Architekten sehr gut und kooperativ war und ohne Konflikte verlaufen ist.
Bei den Fassaden des Auswärtigen Amts hatten Sie sich für Travertin aus Tivoli entschieden. Beim Innenministerium wählten Sie fränkischen Jura-Kalkstein. Warum?
TM Wir haben nach einem Stein gesucht, der durch seine Homogenität die Feingliedrigkeit der Fassadenprofilierung am stärksten zur Geltung bringt. Natürlich spielte wegen des Kostendrucks auch der Preis eine Rolle. In der Sonne strahlt der Jura-Kalkstein, hat eine fast weiße Farbe und erscheint leicht und freundlich. Zudem hat er eine geringere Maserung und wirkt ab-
strakter als Römischer Travertin.
Die Baukosten wurden um 1,7 Millionen Euro unterschritten. Wie konnte das gelingen?
IR Von Anfang an stand fest, dass das Budget nicht überschritten werden darf. Wir haben unseren Entwurf in jeder Planungsphase weiter optimiert und wichtige Elemente mehrfach überarbeitet. So sehr wir einige Einsparungen bedauern, gehören für uns Kosten und Termine zu den maßgebenden Parametern eines jeden Projekts. Die Optimierungsmaßnahmen und die damit verbundenen Entscheidungen verlaufen nie ohne Konflikte und Auseinandersetzungen, in denen sich die verschiedenen Interessen und Prioritäten der einzelnen Projektbeteiligten widerspiegeln.
Welche Einsparungen bei der Realisierung bedauern Sie am meisten?
TM Vor allem der Innenausbaustandard hätte aus unserer Sicht höher ausfallen sollen. Der Unterschied wäre am Ende den Mitarbeitern zugute gekommen.
Wie gelang es trotz aller Brandschutzvorschriften, die Atrien so offen zu planen?
IR Die notwendigen Treppenhäuser liegen außerhalb der Atrien und führen im Erdgeschoss direkt ins Freie. Die Atrien sind als brandlastarme Flure ausgebildet, die anliegenden Büros werden zu Nutzungseinheiten zusammengefasst, die Bürotüren sind dicht und selbstschließend. Durch die Verwendung von Freilaufschließern für diese Bürotüren wird im täglichen Gebrauch ihre Nutzung nicht eingeschränkt. Die Atrien können im Brandfall über die Oberlichter direkt entraucht werden. Ein ähnliches Prinzip erlaubt die Offenheit des Atriums auch bei dem Erweiterungsgebäude des Technischen Rathauses in Bielefeld.
Hatten Sie Einfluss auf die Ausgestaltung der Büroräume?
IR Am wichtigsten waren für uns die räumlichen Qualitäten der Büroräume. Sie hängen unmittelbar mit der architektonischen Konzeption zusammen. Da die Bürogrößen und das Ausbauraster vorgegeben sind, ist für die Qualität der Räume vor allem der direkte Bezug zu den umgebenden Freiräumen entscheidend. Raumhohe Fenster, fast einen Meter breit und drei Meter hoch, verleihen den knapp bemessenen Einzelbüros Großzügigkeit.
Welche Maßnahmen zur Energieeinsparung waren vorgegeben und wurden umgesetzt?
TM Die Vorgaben der EnEV 2009 und die „Anforderungen an die energetische Qualität von Neubau- und Umbaumaßnahmen der Bundesregierung in Berlin“ waren einzuhalten. Außerdem galt es, ein Konzept zur Nutzung von regenerativen Energien zu entwickeln. Bereits im Wettbewerb hatten wir die Nutzung von Geothermie vorgeschlagen, da sich dies gerade hier, auf diesem weitläufigen Grundstück, anbietet. Diese Idee wurde weiterverfolgt und umgesetzt: Alle Büroräume werden ausschließlich über in die Decken eingeputzte Kapilarrohrmatten beheizt und gekühlt – für ein Gebäude dieser Größe ein absolutes Novum. Weitere Maßnahmen sind u.a. die Nutzung der Abwärme des großen Rechenzentrums sowie die weitgehende Versickerung des Niederschlagswassers auf dem Grundstück.
Welche Qualitäten der Architektur aus den 1950er Jahren schätzen Sie im Allgemeinen und am Technischen Rathaus in Bielefeld im Besonderen?
TM Wir schätzen die feinen Proportionen, die Materialität und Detaillierung. Wir schätzen auch ihre noble Bescheidenheit. Die besten Bauten der fünfziger Jahre wirken auch heute noch sehr modern, ohne den Bezug zum traditionellen Bauen verloren zu haben. Bei dem Umgang mit diesen Bauten ist uns wichtig, dass sie alleine durch ihr Alter eine Menge an Bedeutungsschichten besitzen, die Neubauten im Laufe der Zeit erst gewinnen müssen. Die Komplexität dieser durch die Zeit entstandenen Verbindungen versuchen wir zu erhalten und zu verstärken. Das bedeutet, dass die Eingriffe zurückhaltend sind, um die Wirkung des Bauwerks nicht zu übertönen.
Wie sehen Sie die Erweiterung des Technischen Rathauses? Als Zubau, als Weiterbau?  
IR Für uns geht es um das Weiterbauen, um einen Prozess der Anreicherung, bei dem wir anerkennen, dass das Vorhandene aufgrund seiner Geschichte komplexer ist, und dass es unsere Aufgabe ist, diese Komplexität zum Vorschein zu bringen. Das Vorhandene gehört zu unserer Geschichte und erzählt Geschichten. Dass es sich beim Lesen dieser Geschichten um Interpretationen handelt und dass andere die Wirklichkeit anders verstehen würden, ist mehr eine Aussage über die Komplexität der Wirklichkeit als über die Beliebigkeit möglicher Antworten.
Setzen Sie auf traditionelles Handwerk?
IR Das traditionelle Handwerk existiert heute nicht mehr als Bestandteil des Bauens, und wenn doch, dann nur als eine kostspielige Ausnahme. Es ist aber möglich, und wir versuchen es immer wieder, mit den üblichen Produktionsmethoden unserer Zeit eine Detailqualität zu erreichen, die an das Handwerk anknüpft – durch Materialwahl und -gerechtigkeit in der Verarbeitung, durch individuelle Profilierung der einzelnen Elemente, durch Proportionen und formale Gestaltung, die sich nicht zum Sklaven technischer Prozesse machen. Wohlgemerkt, es geht uns nicht um eine nostalgische oder historisierende Formensprache, sondern um die Hervorhebung der oben genannten Qualitäten. Im Übrigen ist es oft so, dass die handwerklich erscheinenden Lösungen in der Regel weniger Kosten verursachen und sie nachhaltiger und einfacher herzustellen sind als Speziallösungen, die sich technisch darstellen.
Fakten
Architekten Thomas Müller und Ivan Reimann Architekten, Berlin
aus Bauwelt 30.2015
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