Bauwelt

„Authentizität ist unser Pfund!“

Dass TECTA lediglich ein mittelständischer Möbelhersteller im Weserbergland ist, erstaunt bei dem Spektrum seines Programms zum einen und dem Engagement der beiden Geschäftsführer zum anderen. Sie wollen nicht allein Möbel verkaufen, sondern auch deren Genese verdeutlichen. Dazu leisten sie sich ein eigenes Museum, in dem u.a. Produkte aus inzwischen fast sechzig Jahren zu sehen sind. Im Gespräch mit Axel Bruchhäuser und seinem Neffen Christian Drescher geht es darum, wie das Programm aus individualistischen Einzelstücken beibehalten und doch weiterentwickelt werden kann

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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    Das Interview mit Axel Bruchhäuser und Christian Drescher fand am 30. Januar im Kragstuhlmuseum in Lauenförde statt.
    Foto: TECTA

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    Das Interview mit Axel Bruchhäuser und Christian Drescher fand am 30. Januar im Kragstuhlmuseum in Lauenförde statt.

    Foto: TECTA

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    Der asymmetrische Stuhl B1 mit drei Beinen von Stefan Wewerka, gehört seit 1979 zum Programm.
    Foto: TECTA

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    Der asymmetrische Stuhl B1 mit drei Beinen von Stefan Wewerka, gehört seit 1979 zum Programm.

    Foto: TECTA

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    TECTA in den 60er und frühen 70er Jahren: Möbel von Peter Maly, von Michael Dupont grafisch bedruckt
    Foto: TECTA

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    TECTA in den 60er und frühen 70er Jahren: Möbel von Peter Maly, von Michael Dupont grafisch bedruckt

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    Tisch von André Weissert
    Foto: TECTA

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    Tisch von André Weissert

    Foto: TECTA

„Authentizität ist unser Pfund!“

Dass TECTA lediglich ein mittelständischer Möbelhersteller im Weserbergland ist, erstaunt bei dem Spektrum seines Programms zum einen und dem Engagement der beiden Geschäftsführer zum anderen. Sie wollen nicht allein Möbel verkaufen, sondern auch deren Genese verdeutlichen. Dazu leisten sie sich ein eigenes Museum, in dem u.a. Produkte aus inzwischen fast sechzig Jahren zu sehen sind. Im Gespräch mit Axel Bruchhäuser und seinem Neffen Christian Drescher geht es darum, wie das Programm aus individualistischen Einzelstücken beibehalten und doch weiterentwickelt werden kann

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Die in Bauhaus-Lizenz hergestellten Möbel bilden eine stabile Basis. Was treibt Sie zu Neuentwicklungen?
Axel Bruchhäuser Unsere Geschichte! Die Firma in Lauenförde wurde 1956 von dem Architekten Hans Könecke gegründet, der lange Zeit selbst ansprechende Möbel entworfen hat. Als mein Vater und ich nach der erzwungenen Umwandlung unserer Möbelfabrik Paul Bruchhäuser & Sohn KG in Volkseigentum 1972 in die Bundesrepublik flohen, lag es nahe, ihn aufzusuchen. Ich habe schon in der DDR seine Möbel bewundert und versucht, sie zu produzieren; Könecke wiederum hat uns bereits Ende der 60er Jahre in Güstrow besucht. Zuerst war ich als Geschäftsführer angestellt, doch das war schwierig, denn TECTA ging es wirtschaftlich schlecht. Und so beschlossen wir, die Firma mit finanzieller Unterstützung von Freunden zu übernehmen. Das war eine schicksalshafte Fügung, für die ich sehr dankbar bin. Den Kundenstamm, das ästhetische Niveau, alles verdankten wir dem Gründer Könecke.
Was führte Könecke seinerzeit im Programm? Ich kann mich an Möbel von Peter Maly erinnern.
AB Zum Beispiel dessen sogenannte „Serie 1“. Das waren einfache schlanke Kommoden, die von dem Künstler Michael Dupont grafisch bedruckt wurden – sehr markant!
Wie war Ihr Zugang zu TECTA, Herr Drescher?
Christian Drescher Ich kenne die Firma von Kindesbeinen an. Aber zunächst habe ich Kommunikation studiert. Als wissenschaftliche Hilfskraft kam ich kurz vor meinem Abschluss zu einer Professorin, die über Unternehmenskommunikation forschte. Während eines Praktikums bei TECTA musste ich mich dann mit der Einstellung meines Onkels auseinandersetzen: „Eine gute Sache propagiert sich selbst, Marketing und Werbung machen wir nicht!“ Sich verstecken und nichts sagen, das konnte nicht wahr sein!
Das reichte, um nach Lauenförde zu ziehen?
CD Der Beweggrund war die Vielfalt, das Ganzheitliche, auch das Handwerkliche; von der Werbung bis zur Abrechnung die gesamten Abläufe im Mikrokosmos TECTA kennenlernen. Das Wirtschaftliche, von dem ich wenig Ahnung hatte, und das Technische, an dem ich interessiert bin, aber nicht so leidenschaftlich wie Axel. Bei einer so kleinen Firma muss man in jedem Bereich drinstecken. Persönlich ist mir die Kommunikation mit dem Kunden wichtig.
AB Christian liegt die Kommunikation. Bei mir ist es das Konstruktive, bei meinem Vater war es das Kaufmännische. So ist die Abfolge, aber die Begeisterung für die schönen Dinge steht immer im Mittelpunkt.
Tut man den Bauhaus-Möbeln nicht Unrecht, wenn man sie als „schön“ bezeichnet?
CD Sie sind einfach gut, wie etwa der Sessel F 51, den Walter Gropius 1922 für sein Direktorenzimmer im Bauhaus entworfen hat. Seine Tochter Ati nannte ihn wegen des Gewichts den „Elefantensessel“. TECTA produzierte den Sessel erstmals in Serie, doch führte er lange ein Schattendasein.
AB Und dabei ist bei der Öffnung des starren Kubus vom F 51 formal schon die Kragkonstruktion sichtbar, lange bevor Marcel Breuer und Mart Stam hinterbeinlose Stühle fertigten. Schließlich hatte Gropius in seinem Manifest formuliert, die Schwerkraft zu überwinden. Auf den Bildern sieht man noch die scharfen Kanten, direkt von der Entwurfszeichnung übernommen. Doch ein Polster muss Weichheit ausstrahlen, so kam es zu einer Verfeinerung.
CD Die Kunden wollten, ohne dass wir es angeboten haben, den Sessel in allen möglichen Farben und Stoffen, gleich einem Rahmen, der mit einer Leinwand bezogen wird. Manche Wünsche, dachte ich, kann man nicht machen. Doch die Urfassung war aus Kirschbaum mit zitronengelben Polstern, das war auch gewagt.
Woher nehmen Sie die Freiheit, die Bauhaus-Möbel eigenständig weiterzuentwickeln?
AB Man muss grundsätzliche Ideen weiterverfolgen. Der Ausgangspunkt beispielsweise von Breuer war, witterungsbeständige Möbel für Schiffe, Sportplätze und Terrassen zu entwickeln. Damals standen weder Edelstahl noch Outdoor-Stoffe zur Verfügung, doch die heutige Technik kann diese Ursprungsabsicht einlösen.
Worauf ich hier sitze, ist doch auch von Breuer.
AB Ja, aber in originaler Version, mit Sechskantschrauben, Metallkappen hinten usw. Er hatte damals nur ein 20-Millimeter-Stahlrohr, kein 25er, wie es für einen Kragstuhl nötig gewesen wäre: Breuer hat die Hinterbeine eingezogen und damit eine filigrane Erscheinung erreicht, die unübertroffen ist. Der Stuhl ist übrigens nicht anhand einer Zeichnung entstanden, sondern direkt in der Werkstatt des Junkers Flugzeugwerks.
Haben Sie Breuer noch persönlich kennengelernt?
AB Ja, kurz vor seinem Tod in New York, und Mart Stam in der Schweiz. Auch Charlotte Perriand habe ich getroffen, um mit ihr die Realisierung des frei stehenden Raumteilers „Bibliothèque Tunisie et Mexique“ zu besprechen. Letztlich erfolglos, bis heute schwelt über diesem Möbel ein Urheberrechtsstreit zwischen den Erben von Prouvé und von Perriand. Die Konstruktion der abgekanteten Blechteile ist von ihm, die Volumetrie, also die Gestaltung, von ihr. Und die Farben hat Sonia Delaunay ausgewählt. Prouvé selbst sagte mir immer, keiner schafft etwas alleine.
Wann haben Sie mit Prouvé gearbeitet?
AB Von 1978 bis zu seinem Tod 1984 war ich mehrfach bei ihm in Nancy und Paris. Wir haben dann verschiedene Modelle produziert, denn zu diesem Zeitpunkt wurde keines seiner Möbel mehr gefertigt. 2000 hat uns seine Tochter gekündigt und die Lizenzen anderweitig vergeben, aber die ideellen Wurzeln und die konstruktiven Ideen bis zum kinetischen Prinzip blieben uns aus dieser Zusammenarbeit.
Sie sind selbst Maschinenbauingenieur, was haben Sie von Prouvé lernen können?
AB Die statische und funktionelle Denkweise sowie das Erkennen der inneren Struktur des Materials. „Man muss fühlen, wie das Material denkt“, war ein Merksatz von ihm. Das ist viel wertvoller als ein fertiges Produkt, das heute überhaupt nicht „lebensfähig“ ist. Als die Möbel in den 1940er/50er Jahren entstanden, spielten Lohnkosten keine Rolle, deswegen konnte die Herstellung so zeitraubend sein.
Sie meinen damit seine Möbel aus Blech?
AB Ja, Stahl war nach dem Krieg zu teuer. Deshalb nahm er dünnes Blech, das durch Verformung stabilisiert wurde. Weil auch Prouvé ein Mann der Werkstatt war, probierte er die Formen an den Biegemaschinen aus. Dort hat er zusammen mit Mitarbeitern diese aufwendigen Konstruktionen ersonnen.
Die aber eine charakteristische Form haben...
AB Weil der Kraftverlauf überall sichtbar ist, das ist das ABC seiner Ästhetik! Und das organische Miteinander, das sich ausdrückt in einer Tischform, die mit großem Erfolg exportiert wird. Wir haben die Originalzeichnung, gekennzeichnet mit „Atelier Jean Prouvé“, sie ist von André le Stang, einem freien Mitarbeiter. Sein wichtigstes Erbe ist freilich das abgeplattete Rohr („Tube Aplati“).
Sie meinen die Veränderung des Rohrquerschnitts beim Kragstuhl?
AB Richtig. Normalerweise muss in die Rundung zwischen Kufe und Bein eine massive Einlage in das Rohr, damit es sich bei Belastung nicht verbiegt. Das war bei Stam und Breuer erforderlich, ist aber eine verlogene Konstruktion. Durch den ovalen Querschnitt beim Tube Aplati erhält der Radius die notwendige Stabilität.
Und was hat Prouvé damit zu tun?
AB Durch ihn erhielt ich die entscheidende Anregung. In den 1920er Jahren gab es nur rundes Rohr. Für den Stuhl zur Hochzeit seiner Schwester hat Prouvé jedoch ovale Querschnitte verwendet. Als ich ihn danach befragte, schaute er mich verschmitzt an und sagte: „Die habe ich im Schraubstock platt gedrückt.“ Das habe ich sofort verstanden und auf den Kragstuhl bezogen weiterentwickelt, was in eigenen Patenten mündete. Das sind die Dinge, für die ich Prouvé hochachte.
Wie kam der Kontakt zu Prouvé zustande?
AB Stefan Wewerka hat mich bestärkt, die Zusammenarbeit mit Prouvé zu suchen. Ich hatte zu Werkerka 1978 wegen seiner Möbelskulpturen Kontakt aufgenommen. Er unterstützte mich in der Änderung unseres Programms. Es fehlte der geistige Überbau, wir brauchten einen kräftigen Schub, weniger Design, mehr Konzept, mehr Konstruktion.
Das wird in dem Buch „Bericht einer deutschen Unternehmung“ sichtbar. Dort dominiert die Idee, Möbel von Bauhaus-Angehörigen neben realisierten und unrealisierten Projekten der Nachkriegszeit zu präsentieren.
AB Das war 1982, der Bruch mit der Vergangenheit. Die neuen Sachen waren sehr konzeptionell. Wewerka holte auch Alison und Peter Smithson zu uns, die damals ein Geheimtipp waren. Ich schätze beide sehr als Architekten (Bauwelt 11.1999), doch ihre Möbel haben kaum eine Chance beim Verkauf.
CD Das stimmt, wir haben es immer wieder versucht. Ihr „collectors table“ wird zwar regelmäßig von einem Kunden aus Mailand bestellt, und die „Lantern“ orderte kürzlich ein Hamburger Händler, der von der Leuchte begeistert war; doch es blieb bei kleinen Stückzahlen. Das ist der Nachteil bei diesen streng konzipierten Objekten. Wir meinen, für zeitlose Modelle ist es nie zu früh oder zu spät. Sie besitzen einen unvergänglichen Charakter. Entwürfe wie der dreibeinige Stuhl von Wewerka werden immer einen Platz in unserem Sortiment behalten.
AB Wewerka hat seinerzeit viel ausgelöst! Er hat zwei symmetrische Stühle zerschnitten und zusammengefügt, um ein neues Sitzgerät zu schaffen, auf dem man unterschiedlichste Sitzhaltungen einnehmen kann.
CD Während der Kölner Möbelmesse in diesem Jahr platzierte ich seine Stühle in der Lobby eines Hotels, in dem wir eine temporäre Bar eingerichtet hatten. Da bildeten sich ständig Gruppen, die sich unterhielten. Auch der Betreiber vom Hotel war angetan und meinte, in den Barcelona-Chairs, die sonst dort stehen, würdem die meisten gebückt mit ihren Mobiltelefonen,sitzen, während dieser Stuhl den Nutzern Haltung verleihe.
Man kann froh sein, dass Sie sich mit einigen Möbeln in Geduld üben.
AB Wir können uns dank der vielen erfolgreichen Kragstühle einen langen Atem leisten. Man muss mit Gestaltern wie Wewerka nur einmal etwas entwickelt haben, und irgendwann wird es dann populär. Gute Dinge geraten schon mal 40 Jahre in Vergessenheit...
Das hat auch etwas damit zu tun, wie ich den Kunden über die Objekte informiere. Welche Wege der Kommunikation beschreiten Sie?
CD Bislang zeigten wir Möbel immer frei gestellt, um sie für sich selbst sprechen zu lassen. Dar-über hinaus wollen wir diese aber auch in realen Lebenswelten zeigen. Wir brauchten jedoch einen neuen Zusammenhang, um nicht im Studio etwas künstlich inszenieren zu müssen. So entstand das „Orte-Magazin“. Hierfür suchten wir reale Orte, die uns auf besondere Art ansprachen.
Ihre jüngsten Möbel sind von Joop Couwenburg und André Weissert.
CD Beide haben wir auf einer Designmesse entdeckt. Bei Couwenburg faszinierte mich das Recyceln von Flaschenkorken zu Sitzen, das Gestell wurde durch die Tube Aplati konstruktiv zur Reife gebracht. Bei Weissert hingegen überzeugte mich der Tisch, in dem ich ein wenig Prouvé wiedererkannte (Bauwelt 14.2014). Wie bei ihm entstehen die Formen im Kopf, werden aber sofort in der Werkstatt ausprobiert. Das ist die Schnittstelle zu TECTA.
AB Weissert ist gelernter Zimmermann und Architekt. Von dieser Ganzheitlichkeit sind seine Möbel geprägt. Sein Wissen wollen wir auch für die bevorstehende Sanierung unserer Werkhallen in Anspruch nehmen.
CD Unsere Fabrikgebäude sind in die Jahre gekommen. Seit den Ergänzungen der Smithsons hat keine strukturelle Erneuerung der Werkstätten stattgefunden, die in den Fünfzigern mit sparsamsten Mitteln errichtet wurden. Wir räumen derzeit jeden Winkel leer, um starten zu können. Die Sanierung und Erneuerung wird Weissert leiten. Das ist auch eine Kontinuität: Die Gestalter unserer Möbel werden in die Gesamtplanung integriert. Diese Authentizität ist unser Pfund!

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