Angemessenheit ist wichtig für uns
Die ersten Kinderdörfer entstanden in der Nachkriegszeit im ländlichen Österreich. Heute baut SOS-Kinderdorf weltweit, zunehmend auch in den „Problemvierteln“ der Städte. Ein Gespräch mit dem Architekten Peter Fretschner
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Angemessenheit ist wichtig für uns
Die ersten Kinderdörfer entstanden in der Nachkriegszeit im ländlichen Österreich. Heute baut SOS-Kinderdorf weltweit, zunehmend auch in den „Problemvierteln“ der Städte. Ein Gespräch mit dem Architekten Peter Fretschner
Text: Kleilein, Doris, Berlin
Wir betreuen 16 Kinderdörfer in Deutschland, hinzu kommen Jugendhilfen, Beratungs- und Mütterzentren, Kindergärten und Ausbildungszentren. Insgesamt sind das 40 Einrichtungen an über 100 Standorten.
1949 wurde das erste Kinderdorf von Hermann Gmeiner im österreichischen Imst gegründet. Die Kinder, die im Krieg ihre Eltern verloren hatten, sollten nicht in Heimen leben müssen, sondern in überschaubaren familiären Strukturen auf dem Land. Das Konzept gibt es nach wie vor, aber später kamen auch urbane Einrichtungen hinzu.
Der Bedarf in den Städten ist einfach höher. Wir gehören in die benachteiligten Stadtteile, in denen Familien Probleme haben. Man spricht mit einem städtischen Standort viel mehr Menschen an als auf dem Land. Aber wir sind auch in Landstrichen vertreten, wo sonst kaum jemand mehr ist, etwa im brandenburgischen Wittenberge. Wir bauen dort, wo die Menschen uns brauchen.
Es gibt einen offenen Bereich als Anlaufstelle für den Stadtteil: eine Kita oder ein Familienzentrum. Die Kinderdorffamilien sind auf Wohnungen im selben Gebäude oder in der Nachbarschaft verteilt, die wir kaufen oder anmieten. Das funktioniert sehr gut, wir brauchen allerdings Wohnungen mit 250 Quadratmetern, die in vielen Städten schwer zu finden sind. In den ersten SOS-Kinderdörfern mussten die Kinder noch zu dritt auf 12 Quadratmetern wohnen. Das gibt es heute es nicht mehr: Wir brauchen sechs Kinderzimmer, zwei Zimmer für die „Eltern“, eins für den Betreuer, eins für die Haushaltshilfe. Hinzu kommen vier Bäder und ein Wohn- und Essbereich für 10 bis 15 Menschen. Wenn möglich, bauen wir auch Häuser oder bauen bestehende Häuser um.
Es gibt ein gewisses SOS-Flair: Wir wollen eine Wohlfühlatmosphäre in unseren Gebäuden, wir wollen den Menschen zeigen, dass sie es uns wert sind. Daher verwenden wir gerne warme Materialien.
Das Berliner Projekt wird innerhalb unserer Organisation stark diskutiert, gerade auch wegen der Farbigkeit. Bislang hat SOS-Kinderdorf kein vergleichbares Projekt gebaut. Es ist ein modernes Haus mit vielfältigen Nutzungen, das man als Ganzes begreifen muss. Es hat einen gewissen Industriecharme, aber durch die Verwendung von Eschenholz und durch die raumhohen Vorhänge kommt auch eine warme Atmosphäre.
Ja, es soll Gäste ansprechen, die Botschafter für unsere Idee werden wollen. Gäste, die Integrationsbetriebe nutzen, erwarten kein 0815-Hotel, sondern einen gewissen Standard. Auch drei unserer Behinderteneinrichtungen haben mitgewirkt und die von Ludloff Ludloff Architekten entworfenen Möbel für die Hotelzimmer gebaut. Das behalten die Gäste im Kopf.
Bei einem anderen Projekt in Frankfurt-Sossenheim, wo wir eine alte Schule saniert und zum Familienzentrum umgebaut haben, hat der Architekt Matthias Loebermann unsere Logo-Farbe aufgegriffen und einen grünen Erweiterungsbau für die Kita geplant. Damit war die Büchse der Pandora geöffnet und alle wollten die Farbe Grün in unseren Neubauten sehen. Das war eine gute Idee für diesen Ort, aber man kann nicht alles nur grün machen. In Berlin haben wir andere Farbpaletten verwendet, etwa Blau und Safran im Tagungsbereich.
Wir haben eine große Beteiligungskultur und entwickeln die Raumprogramme aus unseren pädagogischen Programmen. Später erarbeiten wir auch Details mit den zukünftigen Nutzern.
Für uns ist Angemessenheit wichtig. Wir wollen im Stadtraum wahrgenommen werden und eine Visitenkarte abgeben, aber natürlich wirtschaftlich und nachhaltig bauen. Das ist nicht einfach. Es darf nicht das Gefühl entstehen, dass Geld verprasst wird. Wir leben von Spenden, da sollen Werte geschaffen werden.
In der Regel loben wir Gutachterverfahren aus, zu denen wir sechs bis acht Büros einladen. Meist laden wir ein Büro ein, das bereits für uns gebaut hat, dann nehmen wir noch ein jüngeres dazu und sehen uns um, wer lokal unterwegs ist. Kresings Architektur etwa hat jüngst die Auslobung für ein Kinderdorf in Düsseldorf-Garath gewonnen, Carsten Roth baut für uns neben einer entweihten Kirche in Hamburg-Dulsberg.
Es gibt eine professionelle Auslobung und ein Preisgericht, zu dem wir auch die öffentliche Hand einladen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Projekte besser laufen, wenn die öffentliche Hand von vornherein mit im Boot ist.
Verglichen mit Deutschland wird international eher wenig neu gebaut. Wir können zwar Spendengelder für Gebäude akquirieren, aber bei den laufenden Kosten wird es schon schwieriger.
Es ist wie beim Länderfinanzausgleich: Es gibt sehr wenige Geberländer. Wir unterstützen 42 Länder, 40 bis 50 Millionen Euro gehen ins Ausland. Aber langfristig wollen wir davon wegkommen, dass Länder von internationalen Spenden abhängig sind, und Infrastrukturen schaffen, mit denen Länder sich selbst helfen können.
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