Bauwelt

„Ordinärer kann man einen öffent­­lichen Raum nicht verramschen.“

Text: von Gerkan, Meinhardt, Hamburg

„Ordinärer kann man einen öffent­­lichen Raum nicht verramschen.“

Text: von Gerkan, Meinhardt, Hamburg

Der Architekt des Berliner Hauptbahnhofs sieht das Umfeld in einem Kommerz-Provinzialismus versinken.
Vor vier Jahren wurde der neue Hauptbahnhof in Berlin feierlich eröffnet. Ein weiterer Meilenstein der Rekonstruktion der deutschen Hauptstadt war, wenn auch mit Verzögerung, erreicht. Ich selbst habe mehr als vierzehn Jahre meines Berufslebens in den neuen Kreuzungsbahnhof investiert, als Einziger war ich von den Anfängen bis zur Inauguration dabei. Ich verdanke diesem Projekt viele Glücksmomente, aber auch schwerwiegende Demütigungen. Unser erfolgreicher Urheberrechtsprozess gegen die Deutsche Bahn war bestenfalls ein Trostpflaster. Zwar wurde die Korrektur der funktionswidrigen und exorbitant teuren Verkürzung des bereits gelieferten und bezahlten Bahnhofshallendachs in einem mehrjährigen Kampf von uns erfolgreich erstritten, die tatsächliche Umsetzung steht jedoch in den Sternen.
 
Geradezu blamabel ist es, wenn das Entree Berlins im öffentlichen Raum vis-à-vis der wichtigsten Regierungsbauten nicht einmal notdürftig gepflastert und mit angemessener Beleuchtung ausgestattet ist. Das Nachbarschaftsmilieu kann in der sibirischen Steppe kaum trostloser sein. Zwar wurde 1994 ein Masterplanentwurf von Oswald Mathias Ungers beschlossen und Martha Schwarz für ihren Wettbewerbsentwurf für die Vorplatzgestaltung gefeiert, aber abgesehen von trostlosen Bitumenflächen und einem wahllos hingewürfelten und funk­tional völlig unsinnigen Pavillon entwickelte sich bis heute nicht einmal das, was einem Provinzbahnhof in der Pampa zustehen würde. Die Zugänge und Taxenvorfahrten im Norden und Süden des Hauptbahnhofs sind bis heute eine einzige verkehrstechnische Katastrophe. Der Autoverkehr auf der Südseite wird vorschriftswidrig linksfahrend und einspurig geleitet. Abreisende Fahrgäste blockieren die begrenzte Vorfahrtslänge mit der Folge, dass ankommende Gäste einige hundert Meter entfernt sich im Regen um die Taxen balgen müssen.
 
Mittlerweile verwandelt sich jedoch die Bahnhofsbrache in eine kommerzielle Provinzposse. Mitte vergangenen Jahres ist auf der Südseite das banale Ungetüm eines „Meininger“-Hotels aus dem Boden geschossen. Angesichts dieses Resultats muss man sagen: Ordinärer kann man einen öffentli­chen Raum nicht verramschen. Nun aber geistert auf der Nordseite des Bahnhofs das Monstergebilde einer Kommerz-Immobilie primitivster Machart und erdrückender Massigkeit herum. Glauben die Beteiligten, es sei dem Masterplan Genüge getan, seine Kubatur blockrandvoll mit Kommerzmasse auszubetonieren? Offenbar finden sich noch immer Investoren und Architekten, denen jede Umweltverschandelung recht ist, um das schnelle Geld zu machen, ganz gleich, ob dadurch eine weitere Investitionsruine in die Welt gesetzt wird. Sie schrecken auch nicht davor zurück, das Urheberrecht von Kollegen zu verletzen: Mit einem in den Bahnhofsriegel gestochenen „Skywalk“ soll in Zukunft offenbar Umsatz vom ohnehin großen Shoppingangebot des Bahnhofs abgesaugt werden. Zur Verhinderung dieser böswilligen Verletzung eines ganzheitlich geplanten Bahnhofsgebäudes vertraue ich in Sachen Urheberrecht auf die Berliner Justiz.
 
Denn es geht hier nicht um einen x-beliebigen Bauplatz, sondern um die Gestaltung eines besonders wichtigen öffentlichen Ortes in der Hauptstadt des wirtschaftsstärksten EU-Landes. Der Hauptbahnhof, bei seiner Eröffnung als „Symbol für die Überwindung der deutschen Teilung“ (Hartmut Mehdorn) gefeiert, wird nun als Mauer missbraucht, an die ein jeder seine Rückseite lehnen darf. Investoren und Planer las-sen hier mit ihrer 08/15-Shoppingtristesse sowohl in Bezug auf Gestaltungsqualität als auch durch die erdrückende Quantität jeden Respekt vermissen. Das Zeitalter der singulär aus-gerichteten Kopfbahnhöfe, mit einer Schmuckseite vorne und Gleisanlagen hinten, ist vorbei, doch scheint es in den Köpfen der Agierenden noch immer ein „hinter den Gleisen“ zu geben. Wenn die jüngst erlangte Mitte aber sogleich wieder zur Rückseite degeneriert wird, ist dann die deutsche Einheit wirklich vollzogen?
 
Sollten die publizierten Bauabsichten an der Invalidenstraße, nördlich des Bahnhofs, keine journalistischen Geisterfahrer sein, ist der Berliner Senat dringend gefordert, als Ordnungshüter tätig zu werden und mit Planungsvorgaben und Qualitätsauslese einzugreifen. Sonst wird in Zukunft das erste Bild, das sich ein Besucher durch die Glasfassade der Bahnhofshalle von unserer Hauptstadt machen wird, vom Blick in den Hinterausgang einer Kommerzkabale bestimmt sein. Die baukulturelle Ehre der deutschen Hauptstadt steht auf dem Spiel. Regierenden, die Milliarden an marode Banken geben und Bilanzjongleuren in der Ägäis Unterstützung zusagen, dürfen die Bürger nicht gestatten, aus öffentlichen Räumen den letzten Profit-Euro durch Provinzialisierung herauszupressen. Vielleicht kann Washington, wonach der Platz südlich des Berliner Hauptbahnhofs benannt ist, ein Ansporn sein: Die US-Hauptstadt demonstriert mit ihrer vom amerikanischen Präsidenten persönlich berufenen Hauptstadtkommission, was mit Verantwortung für den öffentlichen Raum einer Hauptstadt gemeint ist.

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