Bauwelt

Was schon da ist

Welchen Wert messen wir Bestand zu? Durch den Klimawandel und das unabdingbare Gebot der Ressourcenschonung habe diese Frage eine ganz neue Dringlichkeit erhalten, meint der BDA Nordrhein-Westfalen. Brauchen wir einen Kodex zum Umgang mit dem Bestand?

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

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34 Jahre Heizenergie habe die Weiterverwendung und Anpassung eines Bürogebäudes aus den 80er Jahren für den Bau der Münchner Rück rechnerisch eingespart, wenn man die „graue Energie“ des Altbaus in Betracht zieht, berichtete Matthias Sauerbruch beim Stadtbauweltgespräch in Bauwelt 36. Ein Musterbeispiel für die Thesen des BDA-Positionspapiers.
Abb.: Sauerbruch Hutton Architekten

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34 Jahre Heizenergie habe die Weiterverwendung und Anpassung eines Bürogebäudes aus den 80er Jahren für den Bau der Münchner Rück rechnerisch eingespart, wenn man die „graue Energie“ des Altbaus in Betracht zieht, berichtete Matthias Sauerbruch beim Stadtbauweltgespräch in Bauwelt 36. Ein Musterbeispiel für die Thesen des BDA-Positionspapiers.

Abb.: Sauerbruch Hutton Architekten


Was schon da ist

Welchen Wert messen wir Bestand zu? Durch den Klimawandel und das unabdingbare Gebot der Ressourcenschonung habe diese Frage eine ganz neue Dringlichkeit erhalten, meint der BDA Nordrhein-Westfalen. Brauchen wir einen Kodex zum Umgang mit dem Bestand?

Text: Maier-Solgk, Frank, Düsseldorf

Welche Häuser sind erhaltenswert, welche nicht? Das ist eine Frage, die umso strittiger ist, je jünger die Gebäude sind. Der Denkmalschutz hat seine mehr oder weniger klar definierten Kriterien, doch nur drei Prozent der Gebäude in Deutschland sind Denkmäler.  Was aber ist mit dem zum großen Teil noch nicht fachmännisch inventarisierten Bestand der 60er, 70er oder gar  80er Jahre – dessen Qualität, nach den üblichen historischen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Kriterien analysiert, zumindest für die Öffentlichkeit nicht offensichtlich ist? Welche Maßstäbe für eine Bewertung und Unterschutzstellung gibt es dort?  50 Prozent der Gebäude hierzulande wurden zwischen 1948 und 1990 erbaut, rund 75 Prozent des Bauvolumens entfällt bereits auf Maßnahmen im Bestand. Da ist es eigentlich erstaunlich, dass die Fragen des Umgangs mit dem Bestand in seiner Gesamtheit wenig geklärt sind. Vor allem wenn man bedenkt, dass heute das Gebot des Ressourcenschutzes hinzukommt: Renovierung und Anpassung sind bei ganzheitlicher Bewertung von Baustoffen und Produktionsprozessen oft preiswerter als ein Abriss.  Bestandsbauten besitzen einen materiellen Wert, weil sie graue Energie „speichern“, die für ihren Herstellungsprozess benötigt wurde. Ihr Erhalt wäre aus Klimaschutzgründen meist  vorzuziehen.
Diese Lagebeschreibung trägt gleichsam als blinden Fleck in ihrer Mitte die grundsätzliche Frage: Welchen Wert  messen wir Bestand zu? Das war der Ausgangspunkt von Überlegungen, die den BDA Nordrhein-Westfalen zur Bildung einer Arbeitsgruppe und zur Formulierung eines Positionspapiers motiviert  haben. „Bestand braucht Haltung – Zum Umgang mit dem bauli-chen Erbe“, so der Titel des aktuell diskutierten Entwurfs für ein solches Papier,  wolle  „Sensibilität und Respekt“ für den Bestand fördern, sagt der Vorsitzende des BDA Landesverbands NRW Peter Berner. Man plädiert in dem Papier für eine  veränderte, ganzheitliche Betrachtungsweise, die nicht nur kurzfristige ökonomische Berechnungen kennt, die die Grenzen des Denkmalschutzes  überschreitet und eine baukulturelle mit einer ressourcensparsamen Bewertung zusammenführt. Eine Pointe des Positionspapiers liegt darin, Kriterien nicht nur für die Bewertung des Bestands, sondern auch für die Art und Weise seines Weiterbauens zu suchen. Nicht umsonst taucht in Diskussionen immer wieder das Stichwort vom Architekten als „Weiterbaumeister“ auf. Muss vielleicht gar ein neues Selbstverständnis des Berufsstands entwickelt werden, ein Gegenbild zum „Architekten, der als Schöpfer möglichst innovativer Neubauten ein Spiegelbild der unsere Gesellschaft prägenden Wettbewerbs- und Wachstumsideologie ist“?
Raum für eine Neubetrachtung bieten schon die gültigen Gesetze, in denen, wie in der EnEV, außer von Denkmälern auch von einem „besonders erhaltenswerten Gebäudebestand“ die Rede ist, für den das Gesetz Ausnahmeregelungen vorsieht. Wie aber ist der besonders erhaltenswerte Gebäudebestand zu definieren? Das ist nicht näher ausgeführt. Ein Papier des Bundesumweltministeriums  von 2014 spricht von Gebäuden und Gebäudeensembles, deren Abriss die „Erlebbarkeit von gebauter Orts- und Stadtgeschichte“ beeinträchtigen würde. Was also tun? Aus Sicht des BDA in NRW bietet sich eine Dreiteilung an, die zwischen dem denkmalgeschützten, dem besonders erhaltenswerten und dem sonstigen Baubestand unterscheidet, wobei letzterer eher einer Bewertung mit Blick auf Ressourcenschonung  unterliegen würde. Was dem BDA offenbar vorschwebt: eine neue Art der Betrachtung, die weg vom Entweder-Oder des Denkmalschutzes zu einer Bewertung führt, die vom Alltäglichen und Geringfügigen ausgeht, so Jörg Beste vom Architektur Forum Rheinland, einer der Mitverfasser des Positionspapiers. Manch jüngere Stadtentwicklung in den neuen Bundesländern sei ein gutes Beispiel dafür, dass in derart umfassenderer Analyse  ein Gewinn für die Weiterentwicklung der Städte liegen kann, findet Peter Berner. Bei der Frage nach dem Umgang mit Bauten aus der DDR-Zeit ist ein solch geweiteter Blick unabdingbar.
Der Weg von der theoretischen Diskussion zur Praxis ist weit. Und ob die derzeitige Debatte um ein Positionspapier des BDA irgendwann in gesetzliche Vorschriften mündet oder nur in eine Art moralischen Kodex, ist kaum auszumachen. Was die Diskussionen im BDA als Zielsetzung erkennen lassen: eine Aufforderung an den Denkmalschutz, eine offene Diskussion über Kriterien und Werte zu beginnen, die beispielsweise – das immerhin eine praktische Perspektive – zu  Kooperationen von Architekten und Denkmalpflegern führen könnte und zu einer neuen Form von städtischen „Denkmalplänen“ bzw. bestandsorientierten Qualitätsanalysen. Eine Kooperation, bei der Architekten und  Bauherren den Denkmalschutz nicht als Verhinderungsinstanz betrachten, bietet interessante Perspektiven. Wer dabei von wem mehr lernen könnte, ist gar nicht ausgemacht, ebenso wenig, ob Architekten oder Denkmalschützer die zeitgemäßeren ästhetischen Maßstäbe für sich beanspruchen können. In jedem Fall scheint Vermittlungsarbeit über den Wert des jüngeren Bestands dringend notwendig. Noch immer übertreffen die Besucherzahlen am Tag des offenen Denkmals die des Tages der Architektur um ein Vielfaches.

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