Bauwelt

Versöhnung mit den ­Riesen

Großstrukturen der 60er und 70er Jahre, die aktuell in der Diskussion stehen – eine lesenswerte Studie fragt nach der ursprünglichen Konzeption der „Riesen“, bewertet die Aspekte der Kritik an ihnen und benennt Qualitäten und Chancen. Unsere Autorin ist Mitherausgeberin

Text: Escher, Gudrun, Xanten

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    „Kleiner Hannibal“, 1972–74, 230 Wohnungen
    Foto: Ben Kuhlmann

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    „Kleiner Hannibal“, 1972–74, 230 Wohnungen

    Foto: Ben Kuhlmann

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    „Großer Hannibal“, 1973–75, 410 Wohnungen, Dortmund, Arch.: G.Odenwaeller, H.Spieß
    Foto: Ben Kuhlmann

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    „Großer Hannibal“, 1973–75, 410 Wohnungen, Dortmund, Arch.: G.Odenwaeller, H.Spieß

    Foto: Ben Kuhlmann

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    Großwohnsiedlung Duisburg-Homberg-Hochheide, 1969–73, Arch.: Suter + Suter, Lörrach
    Foto: Ben Kuhlmann

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    Großwohnsiedlung Duisburg-Homberg-Hochheide, 1969–73, Arch.: Suter + Suter, Lörrach

    Foto: Ben Kuhlmann

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Versöhnung mit den ­Riesen

Großstrukturen der 60er und 70er Jahre, die aktuell in der Diskussion stehen – eine lesenswerte Studie fragt nach der ursprünglichen Konzeption der „Riesen“, bewertet die Aspekte der Kritik an ihnen und benennt Qualitäten und Chancen. Unsere Autorin ist Mitherausgeberin

Text: Escher, Gudrun, Xanten

Vor rund fünfzig Jahren galten Wohnhochhäuser schon einmal als die richtige Antwort auf den enormen Bedarf an neuen Wohnungen. Die Euphorie währte jedoch in vielen Fällen nicht lange. Erst recht, seit die Bestände gealtert sind und Instandhaltungsmaßnahmen ausblieben, gerieten die „Riesen“ in die Kritik. Wohnungsbau war damals, in den 60er und 70er Jahren, allerdings nur eine Facette der neuen Großbauten. Verkehrsknotenpunkte, Büros, öffentliche Verwaltungen, Einkaufszentren, Kultureinrichtungen und vieles mehr fanden dort Platz.
Heute bestimmt eher die kleinteilige, nutzungs- gemischte und nachhaltige Stadt, zusammengefasst unter dem Schlagwort der „Europäischen Stadt“, die Leitbilddiskussion für die Zukunft des Städtischen – selbst dort, wo in wachsenden Agglomerationen wieder in großem Umfang neu gebaut wird. Diesem Leitbild scheinen insbesondere die älteren, raumgreifenden Großstrukturen im Wege zu stehen, zumal sie oft die Stadträume in zentralen Lagen prägen. Wo Nutzungen weggefallen sind oder die Räumlichkeiten den Erwartungen nicht mehr entsprechen, machen sich Leerstände breit, der Erneuerungsdruck wächst. Viele dieser Bauwerke und Anlagen werden in letzter Zeit heiß diskutiert. Dabei schwanken die Forderungen zwischen Abrissbirne oder Denkmalschutz. In jedem Fall sind die „Riesen“ Ausdruck ihres Entstehungskontexts, und nicht selten weisen sie eigene architektonische Qua­litäten auf. Aber wie präsent sind städtebauliche und architektonische Kriterien in der öffentlichen Wahrnehmung? Woran macht sich öffentlich geäußerte Kritik eigentlich fest? Darüber hinaus: Gibt es eine Zukunft für die „Riesen“? Welche Ressourcen könnten sie für aktuelle Anforderungen bieten? Ist es überhaupt der Mühe wert, sich mit den „Riesen“ zu versöhnen?
Diese und weiterführende Fragen zu den Großbauten setzte die Fachgruppe Städtebauliche Denkmalpflege auf die Agenda ihrer Jahrestagung 2015.1 Da damals mehr Fragen als Antworten zutage traten, lag es nahe, genauer hinzusehen und Einzelfälle zu analysieren, denn es ist zweierlei, sich im Netz für #sosbrutalism zu engagieren und in der Theorie die Schönheit des Großen zu preisen – oder am konkreten Baukomplex offenkundige Probleme zu lösen. Mit Unterstützung der Initiative StadtBauKultur NRW widmeten sich in der Folge die Mitglieder der Fachgruppe Alexandra Apfelbaum, Yasemin Utku und die Autorin dieses Beitrags ausgewählten Objekten an zehn Standorten in NRW, die aktuell diskutiert wurden. Unser Ansatz war es, der fachlichen Analyse des Ist-Zustands einerseits das ursprüngliche Planungskonzept und andererseits Argumente der heutigen Kritik gegenüberzustellen – anschaulich gemacht mit kleinen Bildern und Plänen des früheren Zustands sowie eigens angefertigten, aktuellen Fotos von Ben Kuhlmann, gesehen aus der Fußgängerperspektive „auf Augenhöhe mit den Riesen“.
Unter den zehn Objekten haben wir mit dem Rathaus in Gronau und dem Neuen Stadthaus Bonn zwei öffentliche Verwaltungen untersucht, mit der Ruhruniversität Bochum und dem IWZ Köln zwei Hochschulen, mit der ehemaligen Commerzbank Dortmund und der Karstadt-Verwaltung Essen zwei Bürobauten, mit den Königsplätzen in Paderborn und dem Bushof in Aachen zwei Multifunktionsbauten und mit „Hannibal I und II“ in Dortmund und den „Weißen Riesen“ in Duisburg reine Wohnbauten. Ein wichtiges Kriterium der Betrachtung war der öffentliche Raum innerhalb und außerhalb der Baustruktur, ob explizit im Projekt mitgeplant oder nicht, sowie die Positionierung im Stadtgefüge. Eine in Eigenproduktion erstellte Dokumentation liegt vor, ergänzt um einen Text von Sonja Hnilica und ein Nachwort von Tim Rieniets, Geschäftsführer von StadtBauKultur NRW.
In meinem Einleitungstext verweise ich da­rauf, dass viele Großbauten schon in ihrer Entstehungszeit umstritten waren. Gebaute Großstrukturen der 60er und 70er Jahre haben ein Versprechen an die Gesellschaft gegeben, es aber nicht immer in der erwarteten Weise eingelöst. Das Versprechen bestand darin, bedrückenden Missständen abzuhelfen und dank einer florierenden Wirtschaft den Boden für eine gedeihliche Zukunft zu bereiten. Darüber, wie die Zukunft aussehen sollte, gingen die Meinungen von Anfang an auseinander – und so auch über die gebauten Repräsentanten der neuen Zeit. Umgekehrt ging aus der Modernisierungswelle ein gestärktes Bewusstsein dafür hervor, dass der verbleibende historische Bestand bewahrt werden müsse, die Denkmalschutzgesetze wurden formuliert. Der provokante Titel „Haus für Haus stirbt dein Zuhause“, den Peter M. Bode 1975 für sein Denkmalschutz-Plädoyer wählte, polarisiert bis heute, sodass gegen Unterschutzstellungsverfahren für Großbauten wie in Gronau, Bonn, Köln, Essen oder Dortmund entsprechend polemisiert wird.
Für die „Weißen Riesen“ in Hochheide war der Konflikt insofern vorprogrammiert, als dafür eine alte Zechensiedlung weichen musste, was hefti­-ge Proteste auslöste – Flächensanierung lautete das Credo, das den Weg zu gesunden Wohnungen in gleich guter Qualität für alle Menschen ebnen sollte. Der damalige Investor rechnete vor, dass dank der Hochhäuser sogar mehr Wohnungen auf gleicher Fläche zur Verfügung stünden, ergänzt um einen öffentlichen Park, denn die Autos wurden in Tiefgaragen verbannt. Wie hier galt auch in Dortmund die Ausstattung der Wohnungen mit separaten Toiletten, Balkons, Müllschluckern und Aufzügen als hochmodern, bis heute lässt es sich in den Wohnungen gut leben. Wären da nicht die Begleitumstände.
Die Analysen der zehn Fallbeispiele lassen einige Gemeinsamkeiten erkennen. So wurde häufig das ursprüngliche Konzept nur zum Teil verwirklicht, aber vor allem mangelte es an der Bauerhaltung und Pflege des Umfelds. In den knappen Kalkulationen waren die Kosten hierfür nicht berücksichtigt. Mehr noch, um angesichts von Hypothekenzinsen von 15 Prozent und mehr überhaupt z.B. Wohnungsbau oder Multifunk­tionsobjekte wie in Paderborn und Aachen realisieren zu können, wurde auf Teilprivatisierung gesetzt. Das erschwerte oder verhinderte sogar koordinierte Instandhaltung. Und den Kommunen sind wie im Falle von Duisburg dadurch die Hände gebunden. Erst nach jahrelangem Ringen und Dank der Fördergelder für den Stadtumbau West gelang dort der Ankauf von einem der mittlerweile zwei leer stehenden Hochhäuser – nur um es abzureißen. Weitere drei sollen folgen, ohne dass damit der heute bestehende Überhang an Wohnraum im Stadtteil schon behoben wäre. In der ganzen Debatte fand jedoch bisher die architektonische Qualität der Hochhaussiedlung mit sechs präzise positionierten Scheiben nach Entwurf von Suter & Suter keine Berücksichtigung. Auch bei den anderen Beispielen bezogen sich die kritischen Stimmen so gut wie nie auf die Architektur oder gar die städtebauliche Gesamtsituation, sondern unterfüttern das Pauschalurteil „Betonklotz“ mit vorgeblich objektiven Argumenten wie dem, die Bauten seien unbrauchbar und eine Erhaltung zu teuer.
Unser Anliegen ist es deshalb, zum genaueren Hinsehen und zum Weiterdenken anzuregen. Hinweise geben in der Dokumentation jeweils kurze Zusammenfassungen unter der Überschrift „Chancen und Potenziale“. Aber damit lassen wir es nicht bewenden. In einer zweiten Phase beginnt aktuell eine Veranstaltungsreihe in den Volkshochschulen der zehn Städte mit Vor-Ort-Besichtigungen und Diskussionsrunden. Des Weiteren ist eine Wanderausstellung mit Fotos von Ben Kuhlmann vorgesehen, die die Diskussion an neue Orte weiterträgt, wo es weiteren Riesen auf Augenhöhe zu begegnen gilt. Darüber hinaus ist eine Einbettung in das internationale Projekt der „Big Beauties“ zum Europäischen Kulturerbejahr ECHY 2018 angedacht, das in die Bundesförderung aufgenommen wurde.
1 Der Tagungsband erscheint in Kürze im Klartext-Verlag Essen als Band 7 der Reihe „Beiträge zur Städtebaulichen Denkmalpflege“
Fakten
Architekten Suter + Suter, Lörrach; Einsfeld, Odenwaeller, Spiess, Dortmund
aus Bauwelt 19.2017
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