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Urban Guru

Jane Jacobs zum 100. Geburtstag

Text: Schubert, Dirk

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    Foto: Keith Beaty/Toronto Star via Getty Images

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    Jane Jacobs im September 1980
    Foto: Ron Bull/Toronto Star via Getty Images

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    Jane Jacobs im September 1980

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    Jacobs’ Haus in der Hudson Street 555 in New York City, das 2015 für 3,5 Millionen Dollar verkauft wurde. Ab 1968 lebte Jacobs in Toronto, Kanada.
    Foto: Gordon Gibson, Blog­4cities.worldpress

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    Jacobs’ Haus in der Hudson Street 555 in New York City, das 2015 für 3,5 Millionen Dollar verkauft wurde. Ab 1968 lebte Jacobs in Toronto, Kanada.

    Foto: Gordon Gibson, Blog­4cities.worldpress

Urban Guru

Jane Jacobs zum 100. Geburtstag

Text: Schubert, Dirk

Am 4. Mai 2016 wäre Jane Jacobs 100 Jahre alt geworden. Seit dem 50-jährigen Jubiläum des Erscheinen ihres Klassikers „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“, 2011, sind unzählige Ar­tikel und viele Bücher über sie, ihr Wirken und ihren Einfluss erschienen. Über 120 Auflagen ihres bahnbrechenden Buches in verschiedenen Sprachen wurden gedruckt. Inzwischen gibt es wenig kreative Planungskonzepte, die sich nicht auf sie beziehen. Ihre Ideen bilden damit eine Art Steinbruch für vielfältige stadtplanerische Perspektiven und Reformströmungen. Fast jede Planung wird mit einem Jane Jacobs Zitat „begründet“, kaum ein Beitrag über Städtebau, der nicht ein Bonmot von Jane Jacobs bemüht. New Ur­banism, Space Synthax, Creative City, Denkmalschutz, Gentrification, Stadt als organisierte Komplexität, Dichte, Diversität und Nutzungsmischung sind nur einige Themenkomplexe, die sich auf die damals mit dem Fahrrad in New York zur Arbeit fahrende Journalistin als Kronzeugin beziehen. Viele Planer geben inzwischen vor, nach ihren Vorstellungen zu arbeiten – ohne es zu tun; andere tun es – ohne im Detail mit ihren Arbeiten vertraut zu sein.
„Not a single sparrow shall be displaced“ (Nicht einmal ein Spatz soll verdrängt werden) war der ambitionierte Slogan, den eine Initiative um Jane Jacobs in New York um 1961 entwickelte, als ein Areal in ihrem Stadtteil Greenwich Village flächen­saniert werden sollte. Eine Protestbewegung gegen den „bulldozer approach“ des damals einflussreichen New Yorker Planungszaren Ro-bert Moses formierte sich und es gelang die Flächensanierung zu verhindern. Vom Slum mutierte Greenwich Village rasch zum ersten Quartier, dass 1969 in New York unter Denkmalschutz gestellt wurde. Unter dem (damals unbekannten) Begriff Gentrification werden aktuell Aufwertungsprozesse gebrandmarkt und 50 Jahre nach der Veröffentlichung ihres Bestsellers wird wieder das „Recht auf Stadt“ eingefordert und mit der Parole „Wir Bleiben Alle“ gegen Spekulation, Aufwertung und Verdrängung gekämpft.
Jane Jacobs Familie kaufte Ende der 50er das Haus Hudson Street 555 in Greenwich Village für 8000 Dollar und entschied sich gegen das damals domonierende Leitbild des suburbanen Wohnens. 2015 wurde das Haus (von anderen Eigen­tümern) für 3,5 Millionen Dollar veräußert. Nicole Kidman gehört inzwischen zu den Nachbarn, und für eine Penthousewohnung wird schon mal eine Monatsmiete von 45.000 Dollar aufgerufen. Vor der Eingangstür Hudson Street 555 fand der Autor 2009 einen Blumenstrauß mit einem Zettel: „Jane Jacobs 1916–2006 – From this house a housewife changed the world.“ 1968 siedelte Jane Jacobs mit ihrer Familie nach Toronto über, da die Söhne der engagierten Pazifistin in den Vietnamkrieg hätten eingezogen wer-
den können. Sie lebte vier Jahrzehnte in Toronto.
Jane Jacobs genießt in Nordamerika längst den Status einer Ikone. Ihre Ehrennamen gehen von „Urban Hero“, „Urban Visionary“, „Mrs. Insight“, „Urban Futurist“, bis „The Prophet“. Weniger positive Kennzeichnungen reichen von „dogmatischer Amateur“ bis zu „trouble maker“. „Tod und Leben großer amerikanischer Städte“ war ein klassischer Fall: Das richtige Buch zur rechten Zeit. Jacobs stellte das Denken, Tun und Handeln der Disziplin Stadtplanung radikal in Frage und begründete damit einen Umbruch pla­-ne­rischer Leitbilder. Stilistisch eine Melange aus Literatur, Journalismus und Soziologie - formulierte sie eine Radikalkritik am Städtebau und an der Stadtplanung, eine Breitseite gegen die damalige Praxis der Flächensanierung und die Dominanz der Verkehrsplanung. Sie wandte sich gegen Slumsanierung und damit entstandene standardisierte Wohnblocks, gegen die Zerschneidung von Nachbarschaften durch Stadtautobahnen, gegen Monostrukturen, Zersiedlung und Sprawl.
Jane Jacobs Thesen erwuchsen aus ihren täglichen Beobachtungen und eigenen Erfahrun­-gen. Was hier funktionierte, suchte sie zu beschrei- ben, zu ergründen, zu erklären und als Perspektive auf andere Quartiere zu übertragen. Natürlich wurde diese induktive Methode als unsystematisch und unwissenschaftlich kritisiert, basierte sie doch empirisch nur auf wenigen Fallstudien „rückständiger“ Viertel in den USA. „Trust your eyes and your instincts“ galt für sie als Maßstab. Vor allem aber stellte Jane Jacobs die wichtigen und richtigen Fragen.
Kreativitätsfördernde lebendige Urbanität, innerstädtische Quartiere und Nutzungsvielfalt, spontaner Austausch und Zufallsbegegnungen sollten nach ihren Vorstellungen mehr Gemeinschaft, mehr Bürgersinn und mehr sozialer Zusammenhalt befördern. „It takes a village“, beschrieb Hillary Clinton die Vorzüge des Lebens in überschaubaren Strukturen. Jane Jacobs selbst warnte vor der Ideologie des „Heils aus Ziegelsteinen“, also mit Mitteln der gebauten Umwelt ursächlich gesellschaftliche Strukturen beeinflussen zu können. Ihre Vorstellungen intakter, vielfältiger und nutzungsgemischter Nachbarschaften – wie sie selbst sie im Village gelebt und erlebt hatte – bleiben auch in einer sich rasch globalisierenden Welt unverändert aktuell. Inwischen werden neue „heile“ Nachbarschaften (häufig gated) gesucht und geplant, Mischnutzung ist zum Mantra von Developern geworden.
Aber „our Jane“ war schon kurz nach ihrem Tod, 2006, immun gegen jegliche öffentliche Kritik, und ihr wurde posthum eine Aufmerksamkeit zuteil, wie sie sonst nur populäre Politiker, Sport-ler und Künstler erfahren. In einem 2003 erschienen Sammelband über die 40 „bedeutendsten“ Rebellen in der amerikanischen Geschichte heißt es: „Jacobs was the urbanist’s Joan of Arc.“ Natürlich waren ihre Ideen nicht vor Vereinnahmungen und Verfremdungen gesichert. Unzählige Publikationen beginnen mit WWJJHS („What would Jane Jacobs have said“?) und instrumentalisieren ihre Gedanken, ohne eine kritische Re­flexion ihrer Arbeiten mit allen Inkonsistenzen und inhärenten Widersprüchen.
Fakten
Architekten Jacobs, Jane (1916-2006)
aus Bauwelt 24.2016
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