Bauwelt

So wohnt der Architekt

Zum Jahresanfang ein Blick in die eigenen vier Wände: Architekten berichten, wie sie für sich selbst oder für andere entworfen haben. Projekte aus Paris, Berlin, Rotterdam, Pulnoy, Zutzendorf, Päwesin, Stephanskirchen und Martelingen

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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    Alex Chinneck „Under the weather but over the moon“
    Foto: Alex Chinneck

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    Alex Chinneck „Under the weather but over the moon“

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    Kežmarská Hütte in der hohen Tatra, Jan Cyrany
    Foto: Atelier 8000

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    Kežmarská Hütte in der hohen Tatra, Jan Cyrany

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    Upside Down, Haus des Künstlers Jean-Francois Fourtou auf seinem Grundstück am Rand von Marrakesch, 2010
    Foto: courtesy of Aeroplastics contemporary, Brüssel, Jean-Francois Fourtou

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    Upside Down, Haus des Künstlers Jean-Francois Fourtou auf seinem Grundstück am Rand von Marrakesch, 2010

    Foto: courtesy of Aeroplastics contemporary, Brüssel, Jean-Francois Fourtou

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    Haus Fantastic in Lille, Jean-Francois Fourtou, 2011
    Foto: courtesy of Aeroplastics contemporary, Brüssel, Maxime Dufour photographies und Jean-FrancoisDufour

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    Haus Fantastic in Lille, Jean-Francois Fourtou, 2011

    Foto: courtesy of Aeroplastics contemporary, Brüssel, Maxime Dufour photographies und Jean-FrancoisDufour

So wohnt der Architekt

Zum Jahresanfang ein Blick in die eigenen vier Wände: Architekten berichten, wie sie für sich selbst oder für andere entworfen haben. Projekte aus Paris, Berlin, Rotterdam, Pulnoy, Zutzendorf, Päwesin, Stephanskirchen und Martelingen

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Wer heute noch darauf hofft, dass wir auch in Zukunft auf immer größerem Fuß wohnen werden, mit ständig zunehmender Wohnfläche pro Person, täuscht sich. Ein knapperes Regime steht bevor. Das zeigt sich inzwischen dort, wo der steigende Bedarf das Gut Wohnraum maßlos teuer werden lässt, zum Beispiel in Zürich. Eine jüngst erstellte Untersuchung belegt1, dass der Wohnflächenverbrauch gerade in den Innenstadtbezirken wie-der abnimmt, also dort, wo die Mieten schon früh stark gestiegen sind. Elektronische Prothesen, die uns den Verlust an Wohlstand und Großzügigkeit verschmerzen lassen, sind längst verfügbar. Ein häufig geklicktes Video auf Facebook zeigt, wie gefüllte Bücherregale, Pinwände, Adressbücher, Stereoanlagen und weiteres Schwergewichtige der Wohnungsausstattung sich in bunte Apps verwandelt und auf dem Bildschirm des Laptops eine neue Ordnung findet. Das Mobiliar passt sich an und führt zum Revival der skandinavischen Möbel, die mit ihren Insekten-Beinen auch eine kleine Wohnung nicht voll aussehen lassen. Auch vitra hat das erkannt und vor zwei Jahren den finnischen Möbelhersteller Artek mit seinen schlanken Alva-Aalto-Möbeln aufgekauft. All das belegt: Das Thema Wohnen ist wie lange nicht mehr in Bewegung geraten. Für die Planer heißt das: Sie müssen sich auf die neue Knappheit einstellen, vom Grundriss bis zur Ausstattung. Der Architekt als Gradmesser von Veränderungen wohnlicher Ansprüche steckt allerdings in einem Dilemma: Einerseits soll er als Entwerfer aufzeigen, wo der Weg hin führt, andrerseits wohnt er selbst und muss ganz banale Fragen im Selbstversuch beantworten. Das gleicht der Situation eines Arztes, der sich im Urlaub auf einer Südseeinsel mangels medizinischer Hilfe seinen Blindarm selbst herausnehmen muss und dem dabei von anderen Urlaubern assistiert wird. Die eigene Wohnung wird damit zum „Vorzeigeobjekt“, der Entwerfer steht unter ständiger Beobachtung. Die Architekten, die wir für dieses Heft ausgesucht haben, stellen sich diesem Selbsttest. Manche Wohnungen gleichen einer gebauten Autobiographie. Ohne Narzissmus geht das nicht. Der Schweizer Architekt Cédric Schärer, der sich eine Mini-Absteige umgebaut hat, suchte über den Dächern von Paris „ein verlorenes Paradies“ und fand es im „voyeuristischen Ausblick über die Stadt“.
Shabby Style
Andrerseits, viel Platz für Narzissmus gibt es bei den zur Verfügung stehenden Aufgaben ohnehin nicht. Meist geht es darum, banale, oft auch heruntergekommene Situationen aufzuwerten und sie in ein mehr oder weniger provisorisches neues Umfeld einzubauen. Der hier praktizierte Shabby Style ist ein Minimalismus des Vorgefundenen. Die jüngere belgischen Architektur hat vorgemacht, wie sich mit minimalen Budgets auf Restgrundstücken eine neue Poesie des Alltags entwerfen lässt2. In diesem Heft zeigt das französische Architektenkollektiv GENS an zwei Einfamilienhäusern, wie sich in peripheren Stadtlandschaften entwerfen lässt, ohne anekdotisch zu werden und ohne der banalen Umgebung die kalte Schulter zu zeigen.
Im Dialog mit den Bauherren wird die ökonomische Frage zum Motor des Entwurfs, die Form selbst wird zum spannungsvollen Abbild der knappen Kosten. Das Architektenkollektiv GENS praktiziert zum Beispiel eine Art „Salamitaktik“, bei der die Bauherren zu jedem Zeitpunkt des Entwurfs genau informiert sind, wieviel Form und wieviel nutzbaren Raum ihr Budget bei den jeweils gefällten Entscheidungen zulässt.
Die ökonomische Frage kann beim Entwerfen im ländlichen Raum auch mal weit über die Wohnung hinausführen. Neu- und Umbauten lassen sich oft nur umsetzen, wenn sie zu einer wirtschaftlichen Belebung beitragen. Dazu braucht es Architekten, die über den Tellerrand hinausblicken und die ökonomische Aktivierung von Anfang an mitplanen. Rudolf und Maria Finsterwalder tun dies seit Jahren (Heft 38.2008) auf dem Gelände der Landlmühle im bayerischen Stephanskirchen. Das ist ein mutiges Experiment, denn die Entwürfe müssen sich von Projekt zu Projekt selbst finanzieren und bewähren. „Wir basteln uns da ein neues Dorf“, kommentieren die Architekten ihr jüngstes Projekt, das Haus für einen Metzger, der die genossenschaftliche Dorfmetzgerei betreiben wird.
Die Reise-Wohnung
Architekten sind häufig Reisende, die ihre Entwürfe mit den Erfahrungen aufladen, die sie bei ihren Reisen in den Rucksack ihrer persönlichen Bilderwelt gepackt haben. Schwerpunkte werden ganz unterschiedlich gesetzt. Den Rotterdamer Architekten Nadine Roos und Bart Cardinaal gefiel etwa die Art, wie sich japanische Bewohner den vor der Tür liegenden Straßenraum mit Topfpflanzen aneignen und haben dies in ihrer Wohnung in eine offene Terrasse übersetzt. Der Architekt Daniel Verhülsdonk kam aus Mexiko mit schweren, fülligen Farben zurück, mit denen sich, wie in einem Alkoven, Raumteile besonders gewichten lassen. Wenn eine Wandausbuchtung des ehemaligen Kaminrohres den Architekten Cédric Schärer dazu anregt, diesen Hohlraum in eine Art abstrakter Wand-skulptur von Ellsworth Kelly zu übersetzen, dann erinnert das an die Bedeutung von Übergangsobjekten, die der Analytiker Donald Winnicott beschrieben hat. Es sind Objekte, die dazu beitragen, in der eigenen Wohnung eine individualisierte „Heimat“ zu generieren.
Der letzte Bau in diesem Heft, ein Wohnturm in den Ardennen, ist um eine starke Idee herumgebaut. Der belgische Architekt Pierre Hebbelinck, bekannt für seine akribische Entwurfsweise – er publizierte zu seinem Entwurfsprozess mehrere Bücher3 – hat hier für Bauherren gebaut, die man als Stadtflüchter bezeichnen kann. Das Projekt, das aus einem Traum entsprungen scheint, hatte einen jahrelangen, mitunter zermürbenden Entwurfsprozess zur Voraussetzung, bevor Bauherr und Architekt mit dem Ergebnis zufrieden waren.
Egal wieviel Flexibilität heute gefordert ist, den Wunsch nach einem elementaren Blick auf das Wohnen wird es auch in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche immer geben. Der Medienphilosoph Vilém Flusser hat dies schon vor zwanzig Jahren so formuliert: „Man hält die Heimat für den relativ permanenten, die Wohnung für den auswechselbaren, übersiedelbaren Standort. Das Gegenteil ist richtig: Man kann die Heimat auswechseln, aber man muss immer, gleichgültig wo, wohnen.“4
1 NZZ: „Die Zürcher rücken zusammen“, 10. September 2015
2 Die spanische Architekturzeitschrift a+t hat jüngst unter dem Stichwort „reclaim domestic actions“ eine Art Gebrauchsanleitung für die Wiederverwertung knapper Grundstücke und maroder Wohnungen veröffentlicht
3 Èditions Fourre-tout, Lüttich
4 Vilém Flusser: „Von der Freiheit des Migranten“,1994

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