Bauwelt

Bau und Überbau – Kommentar zur Ergänzung der BauNVO

Sie wird wohl kommen – die von vielen Städten dringend erwartete Ergänzung der Baunutzungsverordnung, die im „Urbanen Gebiet“ mehr Mischung zulässt. Aber sie greift zu kurz. Einer der engagiertesten Verfechter von Reformen, der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter, kommentiert den zögerlichen Versuch, das Baurecht den städtebaulichen Zielen anzupassen

Text: Walter, Jörn, Hamburg

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    Welche Form und welches Recht braucht die Verdichtung der Stadt heute?
    Foto: Filip Dujardin

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Bau und Überbau – Kommentar zur Ergänzung der BauNVO

Sie wird wohl kommen – die von vielen Städten dringend erwartete Ergänzung der Baunutzungsverordnung, die im „Urbanen Gebiet“ mehr Mischung zulässt. Aber sie greift zu kurz. Einer der engagiertesten Verfechter von Reformen, der Hamburger Oberbaudirektor Jörn Walter, kommentiert den zögerlichen Versuch, das Baurecht den städtebaulichen Zielen anzupassen

Text: Walter, Jörn, Hamburg

Viele deutsche Städte erwarten in den nächsten Jahren wieder ein signifikantes Bevölkerungswachstum. Nach zwei Dekaden einer eher moderaten Entwicklung stehen sie wieder vor der Frage, auf welchen Flächen sie ihre ambitionierten Wohnungsbauprogramme umsetzen sollen und können. Die Konversionsflächen aus der Nachwendezeit sind zwischenzeitlich meist bebaut, und die Nachverdichtung im Bestand und in den inneren Peripherien stößt überall auf juristische Grenzen und Schranken. Dadurch steht das von einem breiten Konsens getragene Nachhaltigkeitsleitbild der „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ in der Gefahr, ausgehebelt zu werden: Fast in allen deutschen Städten wird wieder über große Siedlungserweiterungen im Außenbereich nachgedacht, um der drängenden Wohnungsnachfrage Herr zu werden. Das Nachhaltigkeitsziel, den Flächenverbrauch in der Republik auf 30 ha/Tag zu reduzieren, dem wir uns immerhin von 130 ha/Tag auf 70 ha/Tag angenähert hatten, rückt absehbar wieder in weite Ferne, wenn das Bauen innerhalb der bestehenden Siedlungskulisse nicht erleichtert wird.
Das hatte man sich eigentlich, ganz unabhängig von den aktuellen quantitativen Herausforderungen, 2007 mit der Charta von Leipzig längst vorgenommen, nämlich das Leitbild der „funktionsgetrennten Stadt“ endlich durch eines der „urban gemischten Stadt“ zu ersetzen. Hier setzte mit dem Hamburger Positionspapier zur „Großstadtstrategie“, dem sich später die Bauministerkonferenz (ARGEBAU) in einer modifizierten Fassung unter dem Titel „Kommunale Strategien für die Entwicklung gemischtgenutzter und verdichteter Gebiete“ angeschlossen hatte, die Debatte um die überfällige Novellierung der diesem Ziel entgegenstehenden Vorschriften in der BauNVO, dem BauGB und dem BImSchG einschließlich nachgeordneter Regelungen wie der TA Lärm ein. Sie erstreckte sich auf die in vielen Teilen überholten Gebietskategorien und Nutzungskataloge der BauNVO, aber auch auf die viel zu niedrigen Höchstdichten einer Bebauung, bis hin zu den Möglichkeiten, sich den technischen Fortschritt im passiven Lärmschutz durch eine Novellierung von BauGB und BImSchG zugunsten einer größeren urbanen Vielfalt und Mischung zunutze zu machen.
Übriggeblieben ist von dem vielen Änderungs- und Anpassungsbedarf – in einem hoffentlich nur ersten Schritt – die Bereitschaft des zuständigen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), ein sogenanntes „Urbanes Gebiet“ als zusätzliche Gebietskategorie in den Katalog der BauNVO aufzunehmen. Immerhin! Es soll „... dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben sowie sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen in kleinräumiger Nutzungsmischung, soweit diese Betriebe und Einrichtungen das Wohnen nicht wesentlich stören“, dienen. Damit soll vor allem ein höherer Wohnanteil in gemischten Gebieten zulässig werden, der nach der Rechtsprechung bislang in Mischgebieten auf 50% und in Kerngebieten auf 35% – und das nur als ausnahmsweise zulässige Nutzung (!) – beschränkt ist, weshalb diese Gebietskategorien für viele neu zu überplanende Fälle der inneren Verdichtung nicht geeignet waren. Es soll im „Urbanen Gebiet“ außerdem eine GFZ von bis zu 3,0 und ein maximaler Lärmpegel nach der TA Lärm, der
3 dB(A) über den bisherigen Immissionsrichtwerten für Mischgebiete liegt, zulässig sein.
Zu begrüßen ist an dem Vorschlag ohne Frage der Wille, höhere Wohnanteile mit nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben mischen zu können, die zulässige Dichte auf ein in innerstädtischen Quartieren realistischeres Maß anzuheben und auch auf die Lärmproblematik bei der Innenentwicklung einzugehen. Die Kritik macht sich zum einen am derzeitigen Formulierungsvorschlag des Ministeriums zu den im „Urbanen Gebiet“ allgemein und ausnahmsweise zulässigen Nutzungen, aber auch an der allgemeinen Zweckbestimmung hinsichtlich des Begriffes „kleinräumige“ Nutzungsmischung fest: Es geht um die Frage, ob Gebäude, die ausschließlich dem Wohnen oder Büros dienen, auch nebeneinander im „Urbanen Gebiet“ allgemein zulässig sein sollen, um die Frage, dass Vergnügungsstätten anders als im Regierungsentwurf nur ausnahmsweise zulässig sein sollen und vieles andere mehr.
Vor allem aber geht es um die allgemeine Zielsetzung, den Gemeinden bei der Festsetzung von „Urbanen Gebieten“ eine größtmögliche Flexibilität bei der Festlegung von Art und Maß des zulässigen Wohnanteils einzuräumen, die z.B. durch eine enge juristische Auslegung des Begriffes „kleinräumig“ schnell wieder eingeschränkt werden könnte. Denn die Quartiere, um die es gehen wird, werden sich hinsichtlich Ausgangslage und Zielsetzung ganz wesentlich unterscheiden: In Hamburg ist z.B. im Harburger Binnenhafen die Mischung von Wohnen mit hafenbezogenem und sonstigem Gewerbe, die nur begrenzt innerhalb von Gebäuden und z.T. nur in abgestufter Nachbarschaft möglich ist, das Thema. In der sehr viel zentraleren HafenCity ist dies die Mischung von Wohnen mit Büros, Hotels, Einzelhandel, Sozialen und Freizeiteinrichtungen, die sowohl in der Überlagerung als auch bezüglich der unmittelbaren Nachbarschaft sehr viel „kleinräumiger“ gemischt werden können.
Weitere Vorschläge werden nicht verfolgt
Kritikwürdiger und für die Praxis relevanter ist aber, dass das BMUB bislang einige über das „Urbane Gebiet“ hinausreichende Änderungsvorschläge nicht weiterverfolgt hat. Dies betrifft einerseits die für größere Städte viel zu niedrigen Obergrenzen der GRZ und GFZ in den einzelnen Gebietskategorien. Es ist nämlich bis heute ein Rätsel, was sich der Verordnungsgeber eigentlich dabei gedacht hat, von Arnis, der kleinsten Gemeinde (278 EW 2014) in Deutschland, bis zur Frankfurter City die gleichen Obergrenzen für die GRZ und GFZ vorzuschreiben. Der konsequenteste Vorschlag, den § 17 BauNVO einfach ersatzlos zu streichen, fand leider in der Arbeitsgruppe der Bauministerkonferenz keine Zustimmung. Die Sorge, die Gemeinderäte kleinerer Dörfer und Städte könnten so leichter unsittlichen Investorenwünschen erlegen sein, überwog. Man könnte aber auch mehr Vertrauen in die politischen Mandatsträger haben, zumal von der Gefahr eines Hochhausbooms in Arnis noch nicht berichtet wurde und die allgemeinen Abwägungsgrundsätze des §1 Abs. 5 und 6 des BauGB eigentlich völlig ausreichen.
Umso unverständlicher ist vor diesem Hintergrund aber, dass der Alternativvorschlag der Bauministerkonferenz, neben den grundstücksbezogenen Obergrenzen der GRZ und GFZ eine „Quartiersdichte“ einzuführen, vom BMUB nicht aufgegriffen wurde. Der Eindruck von Dichte wird für den Bewohner nicht durch die einzelne Parzelle geprägt, sondern durch den gesamten Stadtraum unter Einbeziehung der öffentlichen Außenräume. Diese fließen jedoch heute in die Berechnung der Dichtekennziffern nicht ein, so dass die Festsetzung großzügiger öffentlicher Grünanlagen, Parks, Plätze und Wege die rechnerischen Dichten künstlich nach oben treibt. Eine im Hinblick auf die gegenwärtige Debatte um attraktive öffentliche und für jedermann zugängliche Freiräume in der vitalen und ökologischen Stadt von morgen geradezu widersinnige Konstruktion. Relevant wird das vor dem Hintergrund der niedrigen Obergrenzen der BauNVO (Allgemeines Wohngebiet und Mischgebiet: GFZ 1,2; Besonderes Wohngebiet: GFZ 1,6; Kerngebiet: GFZ 3,0), die heute in städtischeren Lagen sowieso schon regelmäßig überschritten werden, so dass die ausnahmsweise Zulässigkeit höherer Werte längst zur Regel geworden ist. Mit Einführung einer „Quartiersdichte“ wären Überschreitungen der grundstücksbezogenen GRZ und GFZ dann zulässig, wenn nicht zugleich die „Quartiersdichte“ überschritten wird. Dies würde nach Hamburger Stichproben und systematischeren Untersuchungen (z.B. Eberle/ETH Zürich) in der Regel immerhin einen Spielraum von 0,3-0,5 bei der GFZ bringen.
Unabhängig von den Rechtsunsicherheiten, die damit verbunden sind, dass die Ausnahme, die zur Regel wird, kaum mehr begründbar ist, wird aber vor allem in der Öffentlichkeit bei den heutigen Regelungen der Verdacht geschürt, bei der Überschreitung der Obergrenzen könnten ungesunde Wohnverhältnisse vorliegen. Das mag sich für den Kenner der Materie – der weiß, dass die beliebtesten Quartiere aus dem Mittelalter und der Gründerzeit die heute zulässigen Obergrenzen bei weitem übersteigen – lächerlich anhören, für einen Laien oder fachlich nur durchschnittlich vorgebildeten Richter aber keineswegs. Hinsichtlich des Leitbildes einer gemischten und urbanen Stadt muss darüber hinaus bedacht werden, dass sich urbane Nutzungsmischung erfahrungsgemäß erst ab einer GFZ von 1,5 einzustellen beginnt, also die Einführung einer „Quartiersdichte“ zwingend erscheint, wenn man es mit der Charta von Leipzig ernst meint und sich nicht dazu entschließen kann, den § 17 BauNVO einfach ersatzlos zu streichen. Neben der Dichtethematik richtet sich die Kritik am derzeitigen Stand der Baurechtsnovelle auf die nicht aufgegriffenen Vorschläge zur Anpassung der Gewerbelärmvorschriften an die heutigen Gegebenheiten und Möglichkeiten. Die zu beachtenden hohen Lärmschutzniveaus sind einerseits eine große umweltpolitische Errungenschaft, andererseits aber in ihrer praktischen Anwendung ganz wesentliche Entwicklungshemmnisse zur Mobilisierung innerörtlicher Lagen für den Wohnungsbau. Dabei müsste am heutigen hohen Standard der Lärmschutzniveaus eigentlich gar nicht gerüttelt werden, wenn die Möglichkeiten des passiven Lärmschutzes beim Verkehrslärm auch bei gewerblichem Lärm rechtssicher genutzt werden könnten. Dies ist auf Basis der TA Lärm derzeit nicht möglich, die ausschließlich auf Außenpegel in 0,5 m Abstand vor der Fassade abstellt und als Lösungsinstrument nur die Untersagung einer heranrückenden Wohnbebauung oder lärmmindernde Auflagen für die emittierenden gewerblichen Betriebe – mit der häufigen Folge der Verdrängung – kennt. Beides steht ganz offensichtlich im Widerspruch zur gemischten und urbanen Stadt von morgen.
Zur Auflösung dieses Widerspruchs muss man sich die heute typische Problemlage vergegenwärtigen und sich den technischen Fortschritt zunutze machen wollen: Während zum Zeitpunkt des Erlasses des BImSchG vor 40 Jahren noch vielfach der produktions- und anlagenbezogene Lärm im Vordergrund des Regelungsbedarfes stand, ist es heute bei neuen Anlagen überwiegend der mit den Betrieben verbundene Verkehrslärm – vor allem nachts. Dies ist auf die Fortschritte beim Arbeitsschutz, aber auch die bessere Anlagen-, Einhausungs- und Gebäudetechnik zurückzuführen, während sich der betriebsbezogene Verkehrslärm meist im Freiraum abspielt. Neben dieser Veränderung auf der Emissionsseite hat es auf der Immissionsseite einen erheblichen Fortschritt bei den Schalldämmwerten moderner Fenster gegeben, die z.B. beim Hamburger „HafenCity-Fenster“ 30 dB(A) Minderung selbst im teilgeöffneten (gekippten) Zustand in den Innenräumen gewährleisten.
Insoweit kann mit gutem Gewissen und ohne Absenkung des letztlich für den Bewohner relevanten Immissionsschutzniveaus gefordert werden, dass auch hinsichtlich des Gewerbelärms passive Lärmschutzmaßnahmen als letztes Mittel der Wahl nach einer bauleitplanerischen Abwägung aller Belange (prioritäre aktive Schutzmaßnahmen reichen nicht aus, lärmgeschützte Außenbereiche sind vorhanden usw.) zulässig sein müssen. Dies wäre im Sinne einer Konkretisierung „gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse“ allein durch eine klarstellende Regelung im § 9(1)Nr.24 BauGB möglich, soweit eine analoge und wünschenswerte Konkretisierung im BImSchG im Sinne einer besseren Kongruenz zwischen BauGB und BImSchG zurzeit nicht durchsetzbar ist.
Summa summarum ist mit dem Referentenentwurf ein wichtiger Anfang gemacht, der aber leider sehr zögerlich und halbherzig ausgefallen ist. Aus Sicht der Praxis wäre deutlich mehr Entschlusskraft notwendig, um den juristischen Überbau nicht weiterhin zum größten Gegenspieler von Mischung und Urbanität in unseren Städten zu machen und den laufenden Wachstumsschub nicht erneut in einem monofunktionalen Siedlungsbrei auf der Grünen Wiese enden zu lassen.
Anmerkung der Redaktion: Am 30. November 2016 hat das Bundeskabinett eine Novelle des Baurechts beschlossen. Herzstück der Reform ist die neue Kategorie "Urbanes Gebiet".
Hier geht es zum Gesetzentwurf.

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