Bauwelt

Raus aus der Komfortzone des Gewohnten

Eine Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum plädiert anhand von zehn Thesen für neue Standards, die den Menschen und die Qualität in den Vordergrund des Wohnens rücken

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

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These zum Wohnen, hier auf Sofakissen
Foto: © schnepp • renou

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Raus aus der Komfortzone des Gewohnten

Eine Ausstellung im Deutschen Architektur Zentrum plädiert anhand von zehn Thesen für neue Standards, die den Menschen und die Qualität in den Vordergrund des Wohnens rücken

Text: Weckherlin, Gernot, Berlin

Der Ausstellungstitel, „Neue Standards“, lässt aufhorchen, verspricht er doch Beiträge zur Debatte um Standards im Wohnungsbau. Denn definitiv läuft in dieser Hinsicht in Deutschland etwas schief, wenn steigende Wohnkosten selbst die urbane Mittelschicht an ökonomische Grenzen bringen. Dass es angesichts wachsender Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen im unteren Preissegment zu Verteilungskonflikten mit sozialer Sprengkraft kommen könnte – diese Befürchtung befeuert inzwischen das politische Handeln. Nur ein Beispiel hierfür ist die Inauguration des „Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen“ durch die zuständige Ministerin Barbara Hendricks im Jahr 2014, das die Ausstellung im Berliner DAZ finanziert hat.
Die Kuratoren Olaf Bahner und Matthias Böttger wollen jedoch gemeinsam mit den zehn beteiligten Architektenteams – allesamt in diesem Feld tätige Fachleute – weniger nach Antworten suchen für ein wohlfeiles „mehr und billiger“ im Wohnungsbau durch Deregulierung, als vielmehr ein tiefer liegendes, kulturelles Problem von Standards ansprechen. Es geht um die Frage, wie wir in Zukunft wohnen wollen und inwiefern die stetig expandierenden Regulierungen mit diesen Wünschen in Konflikt geraten. Wie wäre die „Komfortzone des Gewohnten“, wie es die Kuratoren nennen, so zu hinterfragen, dass eine Planung möglich wird, die die Lebensgewohnheiten der Menschen stärker berücksichtigt?
Was also ist im DAZ ausgestellt, welche Thesen werden verhandelt? Um es vorweg zu nehmen: Die neuen Thesen klingen verdächtig oft nach etwas älteren. Tim Heide und Verena von Beckerath wollen etwa mit „Dichte als Möglichkeit“ der kritischen Reflexion „einer spekulativ-utopischen Konzeption“ räumlicher Dichte mit einem rosafarbenen Strukturmodell zu Leibe rücken. Laien zumindest dürfte das ratlos zurücklassen. „Wohnraum individuell ausbauen“, heißt die These von Henri Praeger und Jana Richter; ihr Vorschlag eines kostengünstigen Selbstausbauhauses in einer vorgefertigten Rohbaustruktur ist ebenfalls kaum als neu zu bezeichnen. Im DAZ bieten Wohnungstypen auf einer bemalbaren Grundriss­tapete die Möglichkeit zur Do-it-yourself-Gestaltung des Wunschplans. Verwandt dazu ist die These „Monotonie ist Qualität“ von Matthias Rottmann, die er mit adaptierbaren Prototypserien, einer Weiterentwicklung alter Montagebauideen, zu realisieren versucht.
Anne Kaestle hat unter dem Schlagwort „Wer teilt, hat mehr“ aus neuen und älteren Wohnungsgrundrissen von Berlin bis Tokio eine Ahnen­ga­le­rie der Clusterwohnung in Petersburger Hängung zusammengestellt, um den „Mehrwert“ aufzuzeigen, den das Wohnen in der Gemeinschaft bietet. Die Risiken der propagierten „Shared Economy“ – etwa dass Dritte den Mehrwerts abschöpfen – bleiben allerdings im Textbeitrag des Katalogs unerwähnt. Auch die Sitzskulptur unter der provokanten, aber rätselhaften These „gnadenlos Privat“ von Rainer Hofmann verweist eher bildlich auf das Projekt einer Genossenschaftswohnanlage in München mit gelungenem Partizipationsprozess. In eine „retrograde Innovation“ taucht die These „Re-Standard“ von Muck Petzet ein. In einem Interview mit Miroslav Šik werden alte Hüte von der Wohnung für das Existenzminimum bis zur Berliner Gründerzeit hervorgezaubert und auf sinnvolle Hinweise zur Vereinfachung überlebter oder übertriebener heu­tiger technischer Standards und Bauvorschriften hin abgeklopft.
Ausstellung und Katalog zeigen Potenziale und Abgründe dieser Debatte. Schon der Beitrag des Volkswirtschaftlers Guido Spars oder das Interview von Gudrun Sack mit dem Ethnologen Wolfgang Kaschuba lohnen den Blick ins Buch. Spars schreibt nüchtern zum Beispiel über den „Re-Standard“ dass man aus alten Fehlern wohl lernen könne. Wie aber diese Vorteile volks­wirtschaftlich quantifiziert werden können, ließe sich „angesichts der Pauschalität der Forderung nicht genau ermitteln“. Das ist die Crux der „Neuen Standards“: Sie sind entweder sehr spezifisch, oder sehr pauschal. Es ist vorhersehbar, dass trotz der interessanten Anregungen im DAZ viele wirksame neue Standards nicht unbedingt aus Architekturbüros kommen werden.
Die Ausstellung Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen ist noch bis zum 22.01.2017 im DAZ, Deutsches Architektur Zentrum, Köpenicker Str. 48/49, 10179 Berlin, zu sehen. Begeitend finden Symposien und Diskussionen statt, die die "Neuen Standards" debattieren. Weitere Informationen

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