Bauwelt

„Naturstein“, „Olivenholz“ und Keith Haring

Ende September fand in Bologna die weltgrößte Fliesenmesse Cersaie statt. Die Hersteller warteten bei den Oberflächen wieder mit allerlei optischer Raffinesse auf

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

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    GFKH613 von Ascot Ceramiche
    © Keith Haring Foundation

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    In der „Città della Posa“ wurden während der Cersaie Verlegetechniken demonstriert. Besondere Beachtung fanden Lehrlinge aus der Region Bozen, die mit Fliesen Wandbilder zusammensetzten.
    Foto: Sebastian Redecke

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    In der „Città della Posa“ wurden während der Cersaie Verlegetechniken demonstriert. Besondere Beachtung fanden Lehrlinge aus der Region Bozen, die mit Fliesen Wandbilder zusammensetzten.

    Foto: Sebastian Redecke

„Naturstein“, „Olivenholz“ und Keith Haring

Ende September fand in Bologna die weltgrößte Fliesenmesse Cersaie statt. Die Hersteller warteten bei den Oberflächen wieder mit allerlei optischer Raffinesse auf

Text: Redecke, Sebastian, Berlin

Deutschland steht auf der Cersaie hoch im Kurs. Die italienische Keramikfliesenindustrie hat ihre Verkäufe hier im ersten Halbjahr 2014 um 17,6 Prozent steigern können, das ist weltweit betrachtet der zweite Platz – hinter Australien/Ozeanien mit einem verschwindend kleinen Markt. Mir wurde der bedeutende deutsche Markt damit erklärt, dass keramische Wand- und Bodenfliesen aus Italien, unabhängig vom Preis, hierzulande noch immer einen hohen Stellenwert hätten, wegen ihrer Herstellungsqualität und ihrer Tradition, die Wertigkeit verspricht.
Die übliche kleine, meist quadratische Fliese kommt aber kaum noch aus Italien. In diesem Segment sind längst Anbieter aus anderen Ländern im Geschäft, allen voran China und die Türkei. Italien dominiert bei den großen Abmessungen – und vor allem den besonderen Oberflächen. Da scheint inzwischen fast alles möglich. In diesem Jahr standen bei allen großen, renommierten Herstellern wie Marazzi oder Iris Ceramica mehr als je zuvor Naturstein-Imitationen im Mittelpunkt – vom Travertin bis zu allerlei Variationen des Granits. Selbst bei genauer Betrachtung kann man sie nicht mehr von einem echten Naturstein unterscheiden. Das gleiche gilt für Holzimitationen; gleich mehrere Produzenten stellten noch lebendigere und naturähnlichere Oberflächen vor als in den Vorjahren. Bodenfliesen sind auf Wunsch im Dielenformat lieferbar. Casalgrande Padana präsentierte ein Schlafzimmer mit Boden- und Wandfliesen aus „Olivenholz“. Es wirkte allerdings auffallend hell. Das gleiche Unternehmen bietet, wie zwei andere auch, Großfliesen an, die Corteen-Stahl imitieren. Der spanische Anbieter Azulev ist stolz auf seine Fliesenserie „Attico“, bei der eine Holz- und eine Betonoberfläche kombiniert werden.
Neben den Imitationen war die Tendenz zurück zum Dekor erkennbar. Selbst Pop-Art-Motive werden aufgegriffen. Ascot Ceramiche hat sich hierfür Keith Haring (1958–1990) ausgewählt. Ein Jahr haben die Verhandlungen gedauert, um die Rechte zu erlangen. Nun ist es möglich, ein komplettes Bad mit Keith-Haring-Motiven auszugestalten; der Hersteller plant eine Reihe mit weiteren Künstlern. Auch Farben spielen wieder eine Rolle, oft in Kombination mit dekorativen Elementen und ungewöhnlichen Fliesenzuschnitten – die 70er Jahre lassen grüßen. Bei den Abmessungen der Platten scheint man das Maximum erreicht zu haben. Es liegt bei 4 x 1,5 Metern! Was das für den Fliesenleger bedeutet, kann man sich vorstellen, spezielle Schulungen sind erforderlich. Einen weltweiten Markt für solche Platten etwa für Luxushotels soll es geben.
Der ökologische Gesichtspunkt bei der Herstellung, mit dem in den letzten Jahren geworben wurde, ist weitgehend verschwunden. Vittorio Borelli, der Präsident des italienischen Fliesen-Dachverbands Confindustria Ceramica, erklärte mir, die Beachtung von Energieeffizienz und ökologischen Vorgaben sei heute „Standard“ und bedürfe keiner besonderen Erwähnung mehr. Das unermüdliche Engagement der Hersteller, immer raffinierter die Oberflächen anderer Materialien zu imitieren, ist Teil einer langfristigen Strategie. Es geht nicht mehr darum, die traditionelle Fliese anzubieten, sondern eine Alternative zu Holz- und Natursteinböden oder vorgehängten Fassadenverkleidungen. Man will mit den widerstandsfähigen Fliesen Marktanteile ganz anderer Produkte gewinnen. Vorausgesetzt, der Kunde ist davon überzeugt, lockt hier mit der Scheinwelt eines alten, bewährten Produkts ein riesiges Umsatzpotenzial.

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