Bauwelt

Möglichkeitsräume

Zwei Ausstellungen in Berlin widmen sich der Faszination von Zerstörung und Verfall

Text: Tempel, Christoph, Berlin

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    Arata Isozaki, ­Tsukuba Centre in Ruins III, 1985, Siebdruck
    Abb.: Misa Shin & Co; Alexandra Höner (Foto)

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    Arata Isozaki, ­Tsukuba Centre in Ruins III, 1985, Siebdruck

    Abb.: Misa Shin & Co; Alexandra Höner (Foto)

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    Ryuji Miyamoto, ­San-no-miya, Kobe, After the Earthquake, 1995, Silbergelatine Druck
    Abb.: Galerie Klüser, München

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    Ryuji Miyamoto, ­San-no-miya, Kobe, After the Earthquake, 1995, Silbergelatine Druck

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    Asta Gröting, Berlin Fassaden, 2016, Installa­tionsansicht im Maschinenhaus des Kindl – Zentrum
    für zeitgenössische Kunst in Berlin
    Foto: Jens Ziehe; © Asta Gröting/VG-Bild Kunst, Bonn 2017

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    Asta Gröting, Berlin Fassaden, 2016, Installa­tionsansicht im Maschinenhaus des Kindl – Zentrum
    für zeitgenössische Kunst in Berlin

    Foto: Jens Ziehe; © Asta Gröting/VG-Bild Kunst, Bonn 2017

Möglichkeitsräume

Zwei Ausstellungen in Berlin widmen sich der Faszination von Zerstörung und Verfall

Text: Tempel, Christoph, Berlin

Jeweils drei Ausstellungen werden im „Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst“ in Berlin-Neukölln gleichzeitig gezeigt: eine ortsspezifische Installation im zwanzig Meter hohen Kesselhaus der früheren Berliner Kindl-Brauerei, ­eine monografische Schau im Erdgeschoss des angrenzenden Maschinenhauses sowie eine thematische Ausstellung in dessen 1. und 2. Obergeschoss. Alle drei können mit einer Eintrittskarte besucht werden und ergänzen sich im besten Falle zu einem größeren Ganzen, was den Besuch mehr als lohnend erscheinen lässt.
Derzeit bereichern sich die aktuelle Gruppenausstellung „Ruinen der Gegenwart“ und Asta Grötings „Berlin Fassaden“ gegenseitig so hervorragend, dass sie die dritte Schau im Bunde – die ortsspezi­fische Installation „Silo of Silence – Clicked Core“ der in Berlin und Seoul lebenden Künstle­rin Haegue Yang – ein wenig an den Rand drängen.

„Ruinen der Gegenwart“ ist die erste Zusammenarbeit von Kai 10/Arthena Foundation in Düsseldorf und dem Kindl-Zentrum. Beide Kunst­räume gehen auf privates Engagement zurück, ­beide haben sich am jeweiligen Ort bereits nach kurzer Zeit als interessante Ergänzungen zu den Kunstmuseen und -sammlungen etabliert. In Düsseldorf versteht man sich als Bindeglied zwischen Kunst und Wissenschaft – und so ­haben die beiden Kuratoren Julia Höner und ­Ludwig Sey­farth das Thema Ruine mit wissenschaftlicher Akribie durchdrungen.
Inhaltlich spannt die Schau einen Bogen von den urbanen Interventionen Gordon Matta-Clarks in den 70er-Jahren bis zu den jüngsten Zerstörungen archäologischer Artefakte im Mitt­leren Osten; es werden aber auch Industrie- und andere Ruinen in der Umgebung der Ausstellungsorte thematisiert. Im lesenswerten Katalog widmet sich Seyfarth einführend der Architektur und der Darstellung von Ruinen in der Kunst, während sich Höner dem Zusammenhang von Körper und Ruine annimmt sowie dem fragmentierten Menschenbild der Moderne, das seine Entsprechung im Bild der Ruine findet.
In dem knapp 24-minütigen Film „Day’s End“ (1975) sägt Gordon Matta-Clark gemeinsam mit Helfern Teile aus der Hülle eines leer stehenden Lagerhauses in New York und schafft so spektakuläre Ausblicke auf den Hudson River und den Himmel. Man sieht das eindrucksvolle Schauspiel des einfallenden Sonnenlichts, vor allem aber die schwere Handarbeit, die dieses ermöglichte. Der dort geplante alternative Treffpunkt für Künstler und Freunde wurde sofort von der Polizei geschlossen, das Gebäude versiegelt. Anders als in New York greift Matta-Clark in Paris mit Genehmigung der Stadt kreisförmig in ein zum Abriss bestimmtes Gebäude ein. Ein großes Loch klafft auf den vier historischen Fotos in der Fassade und gibt den Blick frei auf ausgesägte Stockwerksdecken und das Innere des verlassenen Hauses. Dahinter wächstdas Centre Pompidou in den Himmel und macht den Maßstabssprung deutlich, der vielfach mit der Moderne in die Innenstädte einzog.
Arata Isozaki, dessen Heimatort in der Nähe von Hiroshima durch den Atombombenabwurf zerstört wurde, collagiert 1968 zwei Gebilde in eine Aufnahme des niedergelegten Stadtzentrums, die zwischen den Zuständen des Zerstörten und des Unfertigen oszillieren, und nennt das Blatt „Re-ruined Hiroshima“. Man kann diese beiden Strukturen als Ruinen wahrnehmen oder als „Möglichkeitsräume“ lesen, die unserer Vorstellung zukünftige Entwicklungen eröffnen. 1985 fertigt Isozaki drei Siebdrucke, in denen er sein zwei Jahre zuvor fertiggestelltes Tsukuba Centre in grellen Farben als Ruine darstellt. Gebaute Realität und narrative Fiktion verweben sich hier, wobei es Isozaki darum geht, eine ungewisse Zukunft sichtbarzumachen – und nicht darum, die Vergangenheit zu glorifizieren, wie es Albert Speers „Ruinenwerttheorie“ tat.
Wie wenig Möglichkeitsraum reale Ruinen wirklich bieten, zeigt die Serie „Kobe, After the Earthquake“ (1995) des Fotografen Ryuji Miyamoto. Der kurze Erdstoß kostete damals 5500 Menschen das Leben, 280.000 wurden obdachlos. Ein als Ganzes umgekipptes und damit nicht mehr bewohnbares Haus versperrt zu allem Übel noch eine Straße, und die brutal umgeknickte Reihe von Strommasten belegt die Schwierigkeit, in solchen Momenten nicht nur die elektrische Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Obwohl vom Fotograf ästhetisch ins Bild gerückt, zeugen die Ruinen vor allem von der Erinnerung an die zerbrechlichen menschlichen Körper, die einmal dort gelebt haben.
Auch die Aufnahme einer Straße im kriegszerstörten Homs in Dorothee Albrechts Arbeit „House of Ruins“ (2017) dokumentiert nicht vorrangig sich bietende Möglichkeiten. Die Kombination mit Aufnahmen aus dem ebenso kriegszerstörten Düsseldorf lässt, im Wissen um die wiedererrichtete nordrhein-westfälische Landeshauptstadt, Hoffnung für Syrien aufkommen. Albrecht evoziert in einer weiteren Schicht ihrer Arbeit genau dies, wenn sie archäologische ­Relikte der Akropolis als „Leftovers Ready to be Recombined“ betitelt.
Sechs weitere Positionen gehen dem Phänomen Ruine in unterschiedlichen Medien auf den Grund, tragen aber nicht dazu bei, dass das ­Thema wirklich berührt. Seltsam abstrakt und akademisch mutet „Ruinen der Gegenwart“ an. Hier kommt die Hausregie ins Spiel und zwar in Form der Ausstellung „Berlin Fassaden“ von Asta Gröting, die der künstlerische Direktor An­dreas Fiedler kuratiert hat. Die in Berlin lebende Bildhauerin hat für ihr Projekt (2016) Silikonabformungen von Berliner Fassaden mit Ein­schuss­löchern und anderen Spuren des Zweiten Weltkriegs angefertigt. Acht dieser zum Teil mo­numentalen Stücke hängen in einer Art Petersburger Hängung an der Stirnwand des Erdgeschosses, sieben weitere liegen auf dem Boden.
Die Abformungen funktionieren wie Langzeitbelichtungen, die die Geschichte vom Moment der Einschüsse bis zum jetzigen Zeitpunkt abbilden. Staub, Dreck und selbst Graffiti werden von der Trägermasse angenommen und lassen die Negativabdrücke wie bemalt wirken. Aus der schweren Silikonhaut treten die Einschusslöcher wie Narben der Geschichte hervor, die Architektur wird durch den Negativeffekt jedoch seltsam verunklärt. Im Katalog zeigt die Künstlerin die Fassaden und das Abformen. Plötzlich erkennt man Gesimse, nimmt Rundfenster im Silikonabguss wahr, versteht, dass das gekrümmt am Boden liegende Stück von einer Säule abgenommen wurde und deswegen nicht plan liegen kann. Katalog und Schau ergänzen und erhellen sich gegenseitig und machen aus „Berlin Fas­saden“ ein echtes Ausstellungserlebnis.
Die Unmittelbarkeit der Umsetzung und die Haptik der Exponate ergänzen auch die etwas entrückt wirkende Gruppenausstellung im Obergeschoss. Sie erden deren Thema und erweitern es um den Aspekt der Fassade als Erinnerungsträger. Vielleicht muss man noch einmal wiederkommen und die „Ruinen der Gegenwart“ mit anderen Augen sehen.

Ruinen der Gegenwart
Kindl - Zentrum für zeitgenössische Kunst, Am Sudhaus 3
Bis 11. Februar
Der Katalog kostet 20 Euro

Asta Gröting. Berlin Fassaden
Bis 3. Dezember
Der Katalog kostet 15 Euro

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