Bauwelt

Französische Provokation in Rot?



Text: Nouvel, Jean, Paris; Brensing, Christian, Berlin


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    Christian Richters

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Zum zehnten Mal war mit Jean Nouvel ein prominenter Architekt aufgefordert, für die Dauer eines Sommers einen Pavillon für die Londoner Kensington Gardens zu bauen. Wir dokumentieren den Vortrag, mit dem Jean Nouvel sein Konzept den geladenen Gästen erläutert hat. Christian Brensing, vor Ort dabei, wundert sich in einem Kommentar über die blutrünstige Rhetorik.
12. Juli 2010, ein grau verhangener Nachmittag in London. Der rote Pavillon in Kensington Gardens braucht eigentlich die Sonne. Jean Nouvel erklärt dem Publikum, dass es auch ohne geht.

[Entschuldigt sich für sein Zuspätkommen...]  Heute ist kein Sommertag. Aber wir sind in einem wirklichen Sommerpavillon. Ich werde versuchen, Ihnen zu erläutern, warum der Pavillon geworden ist, wie er ist. Im Januar bekam ich den Auftrag. Jetzt haben wir Juli, und der Pavillon ist fertig. Eine ganz besondere Aufgabe. Ich bemühe mich mein ganzes Leben um eine kontextuelle Architektur. Hier wurde ich zuerst von der Aufgabe selbst verführt, einen Sommerpavillon für die Serpentine Gallery zu entwerfen und als zehnter Architekt in dieser Reihe von Prominenten zu stehen. Ich habe versucht, wirkliche Argumente für einen Pavillon an diesem Ort zu finden. Ich wollte nicht meinen „Stil“ vorführen, sondern etwas Sinnvolles für diese Zeit, für diesen Sommer und für diesen Ort machen.
Zuerst bin ich immer wieder durch den Hyde Park und durch die Kensington Gardens gegangen. Als französischer Architekt bin ich verzaubert von den englischen Gärten, vom Englischen Park, vor allem wegen seiner großen Freiheit. Als französischer Architekt denkt man ja, hier ist nichts gestaltet, nichts gemacht – freilich ist das ein mit großer Begabung entstandenes Nichts. Man sieht nur Landschaft, nur Rasen in der richtigen Höhe, nur Bäume in guter Verfassung.
Wenn man sich hier umschaut, scheinen sich alle wie zu Hause zu fühlen. Ich mag die Ungezwungenheit, mit der sich die Leute auf den Rasen legen, Fußball spielen oder kleine Bälle durch kleine Bögen treiben. Eine eigene Atmosphäre. Ich wollte etwas von dieser Art schaffen. Den Sommer und die Sonne feiern. Ich mag meinen Pavillon in der Sonne. Aber ich mag ihn auch in dieser Stimmung, die man nicht genau beschreiben kann. Ich wollte etwas Komplementäres zum Park schaffen. Rot ist die Komplementärfarbe von Grün. Rot ist aber auch die Farbe des Sommers, die Farbe des Begehrens, die Farbe der Liebe, die Farbe des Herzens. Rot bedeutet Emotion und Sinnlichkeit. Ich will diese Art Sinnlichkeit hervorrufen, die mit Sonne und Licht verbunden ist, mit Kontrast und Energie, – die aber auch einen direkten Bezug zur Theorie hat. Die Farbe Rot in der Architektur ist eine begrifflich-theoretische Farbe, keine natürliche Farbe. Es ist die Farbe derShow und des Zeremoniells; im Theater haben wir viele
Konnotationen des Rots, angefangen mit dem Samt.
Aus der Ferne kommend sieht man diesen roten Punkt inmitten des grünen Gartens und fragt sich: Was ist das? Ein Zirkus vielleicht? Kommt man näher, sieht man, dass es sich um einen sehr seltsamen Zirkus handelt. Es stellte sich natürlich die Frage, was man in diesem Pavillon tun kann. Heute Nachmittag ist es hier etwas Besonderes, denn mit den vielen Stühlen haben wir eine Art Theateratmos­phäre. Aber wenn Sie morgen wiederkommen, sehen Sie die Matratzen und Pols­ter, Sie können Schach und Backgammon oder Tischtennis spielen. Freitagabends gibt es einen Kinofilm und ein klei­nes Theaterstück. Sie fragen jetzt, wie hat sich das alles entwickelt? Ich begann mit einem Vorschlag eines Pavillons, mit der ephemeren Gestalt eines Zeltes, eines roten Zeltes. Ich wollte dieses Zelt mit dem bestehenden Ziegelpavillon der Ser­pentine Gallery in Beziehung setzen und schlug mobile Zelte auf Schienen vor. In der Diskussion mit der Galerieleitung, mit Julia Peyton-Jones und Hans Ulrich Obrist, wurde mir gesagt, ich solle möglichst darauf achten, dass der Pavillon später verkauft werden und an einen anderen Ort verfrachtet werden muss. Ich änderte meine Ideen. Ich achtete auf eine solidere Basis, auf eine schwerere und massivere Konstruktion – aber leichter zu transportieren, leichter an einem anderen Ort wieder aufzubauen. Das Grundgerüst besteht jetzt aus Metallträgern und nicht mehr aus einer leichten Aluminiumkonstruktion auf Schienen. Ich schlug so etwas wie ein großes Gerüst vor, einen großen Rahmen mit vielen Vorhängen. Wir verwendeten dünnes Glas. In der Mitte sollte es eine andere Attraktion geben. Es gibt eine Wand, die eine Fragmentierung von Bildern zeigt. Wenn Sie die große Wand am Eingang sehen, sehen Sie die Landschaft auf dem Kopf stehend, und dasselbe Bild wiederholt sich zehn oder zwanzig Mal. Ich schlug außerdem vor, die Landschaft mit einem Foto in Kontrast zu setzen. Jemand hatte mir vor einigen Jahren ein Foto von Jean Baudrillard gezeigt. Es zeigte Baudrillard, wie er in einem Französischen Park, dem Jardin du Luxembourg stand und Bilder von Bruchstücken roten Glases machte, die ein Künstler einige Tage zuvor dort aufgestellt hatte. Auch dort gab es diese Idee des Kontrastes zwischen Rot und Grün und die Wahrnehmung von Landschaft durch die rote Transparenz hindurch. Wie eine „mise en abyme“, ein Spiel im Spiel. Ich schlug also vor, dieses Bild von Baudrillard zu verwenden. Architektur bedeutet immer und überall, Empfindungen einzufangen, schwache Sinneseindrücke zu verstärken.
 
[Jemand aus dem Publikum zieht eine Markise herunter. Nouvel bedankt sich...] 
Sehr gut. Sie haben die variable Kon­zeption des Pavillons genau verstanden. Mit den etwa hun­dert Markisen kann man den Raum vollständig schützen. 
 
Frage aus dem Publikum: Gibt es Gemeinsamkeiten mit Bernard Tschumis Folies im Parc de la Villette in Paris?

Die einzige Gemeinsamkeit liegt darin, dass auch Tschumi die Farbe Rot als Kontrast benutzt hat. Bei den Folies-Bauten
gibt es einen Rahmen, ein Gitter, ein symbolisches Vokabular. Dieser Pavillon hier ist viel mehr am Gebrauch orientiert.
 
Frage aus dem Publikum: Wie nachhaltig ist der Pavillon?

Das ist die immer gleiche Frage. Die Frage nach der Religion von heute. Metall ist nachhaltig. Polycarbonate sind es auch. Textil ist es ebenfalls. Ist mein Pavillon recycelbar? Ja, sicher. Dieser Pavillon hier ist politically correct. Aber Nachhaltigkeit ist nicht sein wichtigstes Thema.


Kommentar Christian Brensing

Fulminant, pointiert und begleitet von regelrecht revolutionärem Pathos: so beendete Jean Nouvel seine Eröffnungsrede auf den von ihm entworfenen 10. Serpentine-Pavillon in Londons idyllischen Kensington Gardens. Keine architektonische Botschaft, sondern ein Appell an die Freiheit sei der ganz aus blutroten Materialien erstellte Pavillon! Für einen kurzen Moment stockte den Londonern, die das Bauwerk bis dahin als ein unbekümmertes Zeichen französischer Lebensart interpretiert hatten, der Atem. Hatten sie da etwas falsch verstanden? Als „Rhapsody in Red“, vielleicht noch als „Red Alert“ hatte die britische Presse den Serpentine-Pavillon tituliert. Ja, es sei richtig, sagte Nouvel zu Anfang seiner Rede brav: Britische Telefonhäuschen, Busse und Postautos – das „British traffic red“ – hätten ihn zu der Farbgebung inspiriert. Doch dann, zum Schluss, gab es eine unverhohlene Anspielung auf britische Ur-Ängste: auf die Revolution, drapiert mit Hymnen auf die Freiheit.
 
Nouvel beließ es bei dieser verbalen Spitze und vertraute dann auf den formalen wie farblichen Affront im Englischen Park. Die Komplementärfarbe zu Rot ist bekanntlich Grün. Englische Park-Idylle, mit einem Schuss revolutionärem Rot konfrontiert – das war es also. Von der Strategie her war dies nicht unähnlich der groben Holzkonstruktion Frank Gehrys vor zwei Jahren, die sich auf römische Katapulte bei der Eroberung Großbritanniens 43 nach Christus bezog. Auch dem Konstrukt Nouvels wohnt etwas betont Einfaches inne. Keine subtile oder gekünstelte Ästhetik blitzt irgendwo auf. Allenfalls die etwas deplaziert wirkenden, auf rotem Glas dargestellten Fotos von Nouvels Philosophen-Freund Jean Baudrillard versprühen Esprit.
 
Dreiteilig präsentiert sich die Konstruktion: Am südlichen Ende wirft eine zwölf Meter hohe und acht Meter breite, leicht geneigte, transluzente Wand aus dem Polycarbonat Makrolon ihren rötlichen Schatten auf die Bar. Direkt im Anschluss daran spannen in Längsrichtung verlaufende 18 Meter lange Stahlrahmen mit bis zu fünf Meter ausfahrbaren Markisen. Als nördlicher Abschluss erhebt sich ein roter Würfel aus Stahlträgern und Glasscheiben, der als Bühne und Projektionsfläche für die anstehende Veranstaltungsreihe „Park Nights“ genutzt wird. Alles andere ist nur schmückendes Beiwerk: rote Hängematten, rote Tischtennisplatten, rot-grüne Schachbretter und alternierend rot-grüner Bodenbelag. Mit anderen Worten, eine Welt aus Spiel und Spaß, die von den Besuchern, so weit in den ersten Tagen ersichtlich, auch angenommen wurde.
 
Historische Referenzen für Nouvels rote Ikone kann man in den Agitprop-Tribünen der Russischen Revolution, aber auch in Bernard Tschumis Parc de la Villette in Paris erkennen. Damals wie heute setzt die Architektur auf wenige durchschlagende Effekte. Ed Clark, Arup Projektingenieur, spricht in diesem Zusammenhang von einem „dynamic building“, das trotz seiner konstruktiven Solidität nur eine Initialzündung für potentielle soziale und künstlerische Aktivitäten schafft. Ein rotes Tuch für seine Besucher will der neue Pavillon sein? Das ist denn doch zu viel versprochen. Er ist eher eine Bühne für all die vergnüglichen, kurzweiligen und unterhaltenden Dinge, denen Englands Parklandschaften schon seit Jahrhunderten eine passende Kulisse bietet. Damit wären wir auch bei den Unabwägbarkeiten des englischen Sommers, dem Wetter bzw. den Lichtverhältnissen. Hier handelt es sich um zwei der unzuverlässigsten Komponenten, die schon manches sommerliche Vergnügen ins Wasser fallen ließen. Nouvel betonte mehrmals die Notwendigkeit des Sonnenlichts, welches das Bauwerk erst richtig erstrahlen lässt. Damit weist er auf ein Manko seines Entwurfs hin. Die Sonnenausbeute des engli­schen Sommers, der die Parks in gelbe Steppen verwandelt, wird wohl eher mager sein. Das nimmt dem Bauwerk ein gutes Stück von seiner Faszination. Nouvel hat allerdings auch hier noch einen Joker in der Hand. Wenn die Sonne verschwunden ist, wird die riesige Makrolon-Wand von innen erleuchtet. Die Materialmischung beginnt am Abend zu glühen, zu funkeln und zu reflektieren. Der neue Pavillon 2010 als riesige Guillotine vor dem züchtigen Gebäude der Serpentine Gallery: eine veritable bauliche Apokalypse.
 
 



Fakten
Architekten Nouvel, Jean, Paris
aus Bauwelt 29.2010

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