Bauwelt

Der Sieger aus Basel

Erst düpierte ein vielversprechender Ideenwettbewerb ein halbes tausend Büros, die ohne größere Diskussion in die Ecke gestellt wurden. Der folgende Realisierungswettbewerb brachte zwar eine herausragende Architektur – städtebaulich ist er aber ein Fehlschlag

Text: Geipel, Kaye, Berlin

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Der Ideenwettbewerb im Februar diesen Jahres: 460 Modelle auf einem Tisch
Foto: Kaye Geipel

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Der Ideenwettbewerb im Februar diesen Jahres: 460 Modelle auf einem Tisch

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Der Sieger aus Basel

Erst düpierte ein vielversprechender Ideenwettbewerb ein halbes tausend Büros, die ohne größere Diskussion in die Ecke gestellt wurden. Der folgende Realisierungswettbewerb brachte zwar eine herausragende Architektur – städtebaulich ist er aber ein Fehlschlag

Text: Geipel, Kaye, Berlin

Am 19. Februar stand ein brechend voll beladener Tisch mit 460 Modellen im Souterrain des Kulturforums, an den Seiten Dutzende von Stellwand-Schluchten. Ein monumentaler Aufwand und ein überaus zaghaftes Ergebnis der Jury. Über 1000 Büros hatten die Unterlagen angefordert, 460 hatten eingereicht, aber prämiert wurden nur zehn anstelle der angekündigten 20 Projekte: rechteckige und quadratische Lösungen, Hofkonzepte und niedrige Bauweise, formale Zurückhaltung und die Akzeptanz der städtebaulichen Situation. Eine bodentiefe Verbeugung vor Mies im Süden und Scharoun im Norden und Osten. Der Vorsitzende der Jury, Arno Lederer, bei einer tumulthaften Präsentation der 10 Preisträger heftig angegriffen, formulierte es so: „Vielleicht war die Herausforderung zu groß. Man kann sich (...) schnell blamieren“. Diese erste Runde legte die Schlussfolgerung nahe, dass es hier nicht um Erweiterung, sondern um Unterordnung ging. Die Ikonen der Moderne und ihre heutigen Fürsprecher verteidigen das Revier.
Der Realisierungswettbewerb
Die zehn prämierten Büros des Ideenwettbewerbs hatten nun Anrecht auf Teilnahme am Realisierungswettbewerb – 19 Teams aus Architekten und Landschaftsarchitekten, die dem internationalen Bewerbungsverfahren standgehalten hatte, sowie 13 unvermeidliche Stars der Szene von Chipperfield über OMA bis SANAA, die direkt eingeladen wurden. Die Einladung für die Bekanntgabe der Entscheidung am 17. November erfolgte am Vortag. Journalisten aus dem Ausland gab es nicht, die Pressekonferenz fand in einem bescheidenen Seitenraum statt, das Preisträgermodell stand ohne jeden Glamour auf einem kleinen Rolltisch, mit einem Tischtuch überhängt. Als dann aber Monika Grütters, Kulturstaatssekretärin und Bauherrin – sie hatte beim Bund 200 Millionen Euro locker gemacht – und im Anschluss die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ans Pult traten, fielen große Worte. Endlich ein Herzog & de Meuron-Bau für Berlin! Ein Archetypus! Berliner Ziegelbau! Und, als Antwort auf die Komplexität des Bauplatzes: Ein wunderbar einfaches, verständliches Gebäude! Reminiszensen an die hochgeschätzte Ber­liner Industriearchitektur, durchsetzt von einem ausgeklügelten Geflirr von Glasziegeln! Der Preisträger, Jacques Herzog, machte es übersichtlicher und sagte ganz einfach: Es ist EIN HAUS.
Ein Museum in Form einer riesigen Scheune, das gleichzeitig Bierzelt und Tempel evoziert. Daran kann man sich abarbeiten. Und natürlich legten die Basler Architekten Spuren für den architektonischen Feinschmecker. Der fixe Verdacht auf die Grobform einer Großmarkthalle lässt sich schnell von historischen Referenzen zerstreuen. Der Neubau soll, so Jacques Herzog, exakt die gleiche Giebelform aufweisen wie die Alte Nationalgalerie von Friedrich August Stüler und es gibt eine Folge von drei monumentalen, mittig unter dem First platzierten Säulen.
Dieser Entwurf versöhnt. So sah es die Jury. Er durchschlägt mit großer architektonischer Ges­-te den Knoten eines mehr als 20-jährigen Streits um die Zukunft des Kulturforums. Unter Hans Stimmann hatte sich in den 1990er Jahren die Idee breit gemacht, den städtebaulichen Raum des Kulturforums nach dem Vorbild der europäischen Stadt zu prägen. Und es stimmt ja: Im wilden Durcheinander von zugeparkten Stichstraßen, einem amputierten Kirchvorplatz, zerstückelten Grünräumen und der unsäglichen schräg gekippten Piazzetta von Rolf Gutbrod ist höchstens der Anflug der Idee einer überzeugenden Stadtlandschaft zu erkennen, die das Zusammenspiel großartiger Einzelbauten hätte spürbar machen können. Eine Stadtlandschaft, die durch eine gekonnte Freiraumraumplanung das Kräftefeld von Stülers Kirche, Scharouns Philharmonie und Staatsbibliothek und Mies Nationalgalerie auf dem Sockel erkennbar gemacht hätte. Dass die Stadt in all den Jahren nicht in der Lage war, das Terrain frei zu räumen, machte es Gegenvorschlägen leicht, sich unter dem Stichwort „Europäische Stadt“ der Verwertung der neolibera­-­len Stadt anzudienen und damit in der Berliner Tagespresse immer wieder auf den vorderen Seiten zu landen.
Der preisgekrönte Entwurf teilt all den großen und kleinen Vorschlägen auf Arrondierung eine Absage: Er besteht aus einem großen, faszinierenden und – laut Juryprotokoll – im „besten Sinne irritierenden, merkwürdigen“ Architekturobjekt, das die Erhabenheit der Neuen Nationalgalerie um einen populären Enkel ergänzt. Es holt gewissermaßen den industriellen Klassizismus des Schinkelschen Packhofs von der Museumsinsel des 19. aufs Kulturforum des 21. Jahrhunderts. Gleichzeitig erteilt er all jenen Bescheidenheitsgesten eine Absage, die die Jury in der ersten Runde herausgefischt hatte und die – zumeist kraftlos – auf die Fortführung der Scha­roun’schen Stadtlandschaft gesetzt hatten.
Über das ganze Programm von knapp 15.000 Quadratmeter stülpt der Neubau ein exquisit gemachtes Backstein-Festzelt im XXL-Format: Die neue Hallenarchitektur, die den möglichen Bauplatz bis an die Grenzen ausreizt, hat auf allen vier Seiten große Öffnungen, die direkt zum Achsenkreuz der beiden „Fußgängerboulevards“ führen, die Ost und West und Nord und Süd mit­einander verbinden. Das Museum als Meeting-Point einer Fußgängerkreuzung, deren Raumprogramm sich diesem Kreuz unterordnen und die Sammlungen auf die vier Quadranten verteilt.
Urbanes Kreuzfahrtschiff
Städtebaulich ist für diesen nach Innen gehol­-ten Außenraum ein hoher Preis zu zahlen, es knirscht an allen Ecken und Kanten und vom Podest der Nationalgalerie sieht das neue Museum aus, als würde ein Kreuzfahrtschiff in voller Fahrt die Hafenmauer rammen. Die Eigenständigkeit der Stülerkirche ist dahin.
Was bedeutet diese Übergröße für die Idee der Stadtlandschaft als offenem Raumkörper? Eine Antwort liefert der Kontakt mit dem Boden. Dieser Bau ist ein Solitär glatter Flächen, der ohne Vermittlung aus dem Boden wächst, nach West und Ost langgestreckte niedrige Bandfassaden und riesige Dachflächen aufweist, nach Nord und Süd zwei monumentale Giebelfassaden zeigt: keine Rücksprünge wie bei der Staatsbibliothek, keine Vorplatz-Linien wie bei der Stülerkirche, kein Sockel mit langsamem Aufstieg wie bei Mies. Räumlich irritierend ist vor allem die nahezu geschlossene Fassadenfläche vis-a-vis der Nationalgalerie, die Stülerkirche ist an den Neubau wie angedockt. Kurz, das neue Museum ist ein architektonisch raffinierter und geometrisch simpler Bau, der mit seinem Versprechen, die dringend nötigen städtebaulichen Verbindungen im Inneren zu lösen, die Außen­räume zu schematischen Flächen längs von Straßen reduziert. Begegnungsorte gibt es dann
jeweils zu den Öffnungszeiten im Meeting-Point.
Qualifzierung des öffentlichen Raums
Die Stadtlandschaft am Kulturforum verkörpert seit jeher die Idee der Stadt am Rande der Mau­-er, sie ist den Bauten und ihrem Umfeld in ihre kulturpolitische DNA mit eingeschrieben. Ja, es ist richtig, das Spannungsfeld zwischen Mies und Scharoun hat die erfolgreiche Weiterentwicklung der Stadtlandschaft eher behindert als unterstützt. Die Leere des Kulturforums zeugt von gefrorener Zeit, vom Stillstand und unversöhnlichem Gegenüber unterschiedlicher Auffassungen, wie ein dynamischer und offener urbaner Raum erfolgreich zu gestalten sei. Man übersieht, dass Mies‘ Nationalgalerie in der Nutzung immer auch ein bewegliches Umspielen des stereometrischen Körpers ermöglicht hat: von seinem Sockel aus hatte man das ganze Forum vor sich im Blickfeld. Die Nationalgalerie trifft es besonders hart: Ihr wird eine nahezu geschlossene Fassadenfront entgegengesetzt. All das, was Stadtlandschaft historisch ist, nämlich das Umspielen der Architektur, das Freitreten um die einzelnen Baukörper, ist damit obsolet. Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher sprach im Bauwelt-Interview von einem Transformieren der Stadtlandschaft. Operation geglückt, Idee begraben: Berlin wird ein architektonisch herausragendes Museum bekommen; die Weiterentwicklung der Stadtlandschaft und ihrer offenen Räume aber ist damit passé.
Der soeben verhandelte Koalitionsvertrag der neuen rot-rot-grünen Regierung in Berlin hat für diese Entscheidung noch eine Pointe parat. SPD, Linke und Grüne haben sich auch zum Kultur­forum ihre Gedanken gemacht. „Der die Museen verbindende Frei- und Stadtraum muss den Architekturikonen einen angemessenen Rahmen geben. Das Land Berlin kümmert sich deshalb aktiv um die Qualifizierung des Öffentlichen Raums. Die St. Matthäus-Kirche von Stüler wird vor zu eng heranrückender Bebauung geschützt“. Ich bin gespannt, wie die neue Stadt­regierung diese Aufgabe lösen will.
42 Finalisten des Realisierungswettbewerbs
1. Preis Herzog & de Meuron Basel Ltd., Basel
2. Preis Lundgaard & Tranberg Arkitekter A/S, Kopenhagen
3. Preis Bruno Fioretti Marquez Architekten GbR, Berlin
Anerkennung Aires Mateus e Associados, Lissabon
Anerkennung Office for Metropolitan Architecture (OMA), Rotterdam
Anerkennung SANAA Ltd., Tokyo
Anerkennung Staab Architekten GmbH, Berlin
Engere Wahl Barkow Leibinger Ges. v. Architekten mbH, Berlin | cukrowicz nachbaur architekten zt gmbh, Bregenz
2. Rundgang 3XN Architects A/S, Kopenhagen | ARGA16 Fabian Scholz & Yosi Segas, Berlin | Christ & Gantenbein Architekten ETH SIA BSA, Basel | CHOE HACKH NETTER ARCHITEKTEN, Frankfurt am Main | Pedro Domingos arquitectos unip. + Pedro Matos Gameiro arquitecto, Lissabon | Max Dudler Architekt, Berlin | Sou Fujimoto Architects, Tokyo | Grüntuch Ernst Architekten Planungsgesellschaft mbH, Berlin | Hascher Jehle Planen und Beraten GmbH, Berlin | Heinle, Wischer und Partner, Freie Architekten, Berlin | Mangado y Asociados S.L., Pamplona | Sauerbruch Hutton Architekten, Berlin | Schulz und Schulz Architekten GmbH, Leipzig + Petra und Paul Kahlfeldt Architekten, Berlin | Snøhetta Oslo AS, Oslo | SO-IL Ltd, New York | TOPOTEK 1, Berlin | Emilio Tuñón Arquitectos, Madrid, Tuñón & Ruckstuhl Architekten GmbH SIA, Rüschlikon | WEYELL ZIPSE Architekten & HÖRNER Architekten, Basel 1. Rundgang Beatriz Alés + Elena Zaera, Castelló | Behnisch Architekten, Stuttgart | David Chipperfield Architects Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin | Dost Architektur GmbH, Schaffhausen | gmp Intenational GmbH, Berlin | Zaha Hadid Architects Ltd, London | Florian Hoogen Architekt, Mönchengladbach | Shenzhen Huahui Design Co, Ltd., Shenzhen | LACATON & VASSAL ARCHITECTES, Paris; Josep Lluis Mateo – MAP Arquitectos SLP, Barcelona | Dominique Perrault Architecture, Paris | REX Architecture PC, New York | Riken Yamamoto & FIELDSHOP Co., Ltd., Yokohama | Holzer Kobler Architekten GmbH, Zürich
Jury Fachpreisrichter Roger Diener, Basel; Heike Hanada, Berlin; Arno Lederer, Stuttgart; Hilde Léon, Berlin; Marianne Mommsen, Berlin; Till Schneider, Frankfurt am Main; Enrique Sobejano, Madrid
Sachpreisrichter Michael Eissenhauer, Berlin; Monika Grütters, Berlin; Herlind Gundelach, Berlin; Regula Lüscher, Berlin; Petra Merkel, Berlin; Hermann Parzinger, Berlin
Wettbewerbskoordination
ARGE WBW-M20; Salomon Schindler (Schindler Friede Architekten) und Marc Steinmetz (a:dks mainz berlin)
Fakten
Architekten Herzog und de Meuron, Basel
aus Bauwelt 40.2016
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