Bauwelt

Athener Gottesdienst

Das Konzept der documenta 14, neben Kassel auch Athen zum Ausstellungsort zu machen, war im Vorfeld höchst umstritten – in Deutschland ebenso wie in Griechenland. Man war deshalb gespannt, was auf der Pressekonferenz zur Eröffnung in Athen geschehen würde. Das documenta-Team hat sich mit einer fast schon sakralen Inszenierung erfolgreich aus der Affäre gezogen

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Eventteaser Image
  • Social Media Items Social Media Items

Pressekonferenz zur Eröffnung der documenta 14 am 6. April 2017 in der Athener Megaron-Konzerthalle
Foto: Angelos Tzortzinis/dpa

  • Social Media Items Social Media Items
Pressekonferenz zur Eröffnung der documenta 14 am 6. April 2017 in der Athener Megaron-Konzerthalle

Foto: Angelos Tzortzinis/dpa


Athener Gottesdienst

Das Konzept der documenta 14, neben Kassel auch Athen zum Ausstellungsort zu machen, war im Vorfeld höchst umstritten – in Deutschland ebenso wie in Griechenland. Man war deshalb gespannt, was auf der Pressekonferenz zur Eröffnung in Athen geschehen würde. Das documenta-Team hat sich mit einer fast schon sakralen Inszenierung erfolgreich aus der Affäre gezogen

Text: Friedrich, Jan, Berlin

Vorne auf der Bühne bewegt sich etwas. Es scheint loszugehen! Um ehrlich zu sein: Ich bin ein bisschen aufgeregt. Und Aufregung ist ein Gefühl, das sich sonst nicht unbedingt bei mir einstellt, wenn ich eine Pressekonferenz besuche. Wieso auch? Das ist ja mein wöchentliches Brot. Doch hier liegt die Sache etwas anders. Gestern Abend bin ich in Athen angekommen, um heute an der Pressekonferenz zur Eröffnung der documenta 14 teilzunehmen und mich in den nächsten Tagen an den unzähligen Ausstellungsorten in der Stadt umzuschauen, zur Vorbereitung dieser Stadtbauwelt-Ausgabe. Ich bin das erste Mal in Athen, das erste Mal in Griechenland, das erste Mal auf der Eröffnungspressekonferenz einer documenta – und, was freilich das entscheidende erste Mal in dieser Reihe ist: Die documenta findet zum ersten Mal nicht nur in Kassel, sondern gleichberechtigt auch in Athen statt. Ich bin also höchst gespannt, was der künstlerische Leiter der documenta 14, Adam Szymczyk, und sein Kura­torenteam aus der Idee einer „Ausstellung in zwei Teilen“ mit dem provokanten Titel „Learning from Athens“ gemacht haben. Mit mir in gespannter Erwartung sitzen mehrere Hundert Gäste im großen Saal der Athener ­Megaron-Konzerthalle: Neben Vertretern der deutschen, griechischen und internationalen Presse sind die weitaus meisten hier „documenta-Fachbesucher“, will heißen: die gesamte internationale Kunstszene.
Applaus für die Performer
Jetzt ist das Licht im Saal ausgegangen. Im schummrigen Halbdunkel dort vorne auf der Bühne kann ich erkennen, dass in mehreren Reihen hinter­einander eine Menge Leute auf Stühlen sitzen; ich schätze, es sind mindestens hundert. Musik wird eingeblendet, eine Collage aus metallisch-­industriellen Klängen. Die Leute auf der Bühne machen dazu bald weitere Geräusche: Sie stöhnen, johlen, brüllen schließlich; das ganze steigert und steigert sich – um nach einige Minuten unvermittelt zu verklingen. Tosender Applaus! Wir Besucher der Konzerthalle sind soeben Zeugen der ersten Performance der documenta 14 geworden, einer Aufführung von ­„Epicycle“ des griechischen Komponisten Jani Christou (1926–1970). Dem Stück liegt ein Tonband zu Grunde, das Christou 1969 aufgenommen hat. Zu diesem Band können beliebig viele Performer improvisieren, so hat der Komponist es vorgegeben. In diesem Fall waren die Performer die Mitwirkenden der documenta 14 – künstlerischer Leiter, Kuratoren, Geschäftsleitung, viele der teilnehmenden Künstler – die sich, wie jetzt klar ist, alle auf der Bühne versammelt haben.
Zum ersten Mal an diesem Mittag bin ich irritiert – nicht zum letzten Mal. „Epicycle“ hat mir gefallen, es scheint passend ausgesucht als Ouverture einer documenta, bei der, so viel war schon im Vorfeld zu erfahren, Performance, Klang und die Notation von Klang eine wichtige Rolle spielen sollen. Es ist auch nicht das Stück selbst, das mich nachdenklich stimmt. Sondern der Umstand, dass die Pressekonferenz der größten Kunstausstellung der Welt mit ihrem ja durchaus umstrittenen Konzept von zwei Standorten mit einem frenetischen Applaus der Zuschauer beginnt – inklusive der anwesenden Journalisten. Wenn es ab jetzt etwas nüchterner weitergeht, denke ich mir, und wir bald hier rauskommen, um die documenta-Standorte und -Arbeiten zu erkunden, geht das schon in Ordnung.
Doch die Sache fängt gerade erst an. Jeder der Zwölf, die auf der Bühne in der ersten Reihe sitzen, wird in der Folge seinen Auftritt haben. Nach Adam Szymczyk, der bemerkenswert schnoddrig vor allem Danksagungen an die beteiligten Institutionen herunterleiert, sind alle Kuratoren des Athener Teils der Ausstellung dran, den Ansatz des Teams zu erläutern. Bald wird klar: Das hier ist keine Pressekonferenz, sondern eine ausge­klügelte Inszenierung des künstlerischen Teams und seines politisch-­moralischen Sendungsbewusstseins. Immer wieder werden dieselben Botschaften wiederholt: Dass die Künstler und Kuratoren dieser documenta auf der Suche nach Mitteln sind, wie wir uns vom kalten Griff des global entfesselten Neoliberalismus auf unser aller Geist und Körper ­befreien können. Dass diese documenta den kolonial geprägten, euro­zentrischen Blick auf die (Kunst-)Geschichte abzulegen gedenkt, den ­neokolonial geprägten Blick dazu. Dass diese documenta dem derzeit wiedererstarkenden Herrschaftsanspruch des weißen, rassistischen, ­heterosexuellen Mannes (der sich in der Wahl Donald Trumps manifestiert) ein selbstbestimmtes, vielfältiges Lebensmodell entgegensetzt. Dass ­diese documenta auch Vorschläge parat hat, wie man als Besucher einer Stadt dieser Stadt auch etwas zurückgeben kann – anders als der Tourist, der nur nimmt. Dass wir alle lernen müssen, Unsicherheit zuzulassen, ohne dabei in Angst zu verfallen. Dass „Learning from Athens“ eigentlich erst einmal nichts anderes bedeutet als alles bisher Gelernte zu vergessen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“.
Eine eingeschworene Gemeinde
Keinerlei Unsicherheit scheint auf der Bühne allerdings darüber zu herrschen, wo der Feind steht, von dem es sich fortlaufend abzugrenzen gilt. In immer kürzerer Frequenz höre ich: neoliberal, kapitalistisch, kolonial, neokolonial, rassistisch, chauvinistisch. Als dann ein Mitglied des syrischen Künstlerkollektivs Abounaddara eine anrührende, für alle im Saal im Grunde beschämende Rede gehalten hat, springt das Publikum begeistert auf; dem Mann wird stehend applaudiert. Dasselbe geschieht kurz darauf noch einmal, als Mitglieder der aus Kassel angereisten „Society of Friends of Halit“ vom Schicksal Halit Yozgats berichten, der vor genau elf Jahren, am 6. April 2006, in seinem Kasseler Internetcafé von der rechtsextremen Terrorgruppe NSU ermordet worden war. Stehende Ovationen. Aus uns allen, die wir hier in der Megaron-Konzerthalle versammelt sind, hat der perfekt inszenierte documenta-Gottesdienst eine eingeschworene Gemeinde gemacht. Widerspruch ist eigentlich nicht vorgesehen.
Viele Journalisten harren trotzdem bis zum Ende aus, um tatsächlich noch ihre Fragen zu stellen, zur Konzeption der documenta, zu den Kosten, zu den Vorbehalten, die es in Kassel und Athen gab und noch gibt. Aber offenbar sind Szymczyk und seine Kuratoren nach zweieinhalb Stunden der Selbstinszenierung überhaupt nicht mehr in der Lage, sich Kritik zu stellen. Als ein Pressevertreter wissen will, ob es eine offizielle Botschaft der documenta 14 gäbe, kommt als Antwort von der Bühne herunter: „Es gibt keine offizielle Position der documenta, Sie sehen ja, hier sitzen ­hundert Leute, jeder hat seine eigene Position.“

Zwei Monate später. Wieder sitze ich – unbelehrbar? – auf einer Pressekonferenz zur documenta-Eröffnung, heute in der Kongresshalle Kassel. Erwartet mich eine Wiederaufführung des Athener Gottesdienstes? Zum Glück nicht. Dieses Mal geht es weit weniger missionarisch zu. Es gibt selbstverständlich wieder politische Botschaften – wir haben es ja auch mit politisch engagierter Kunst zu tun –, aber alles wirkt wesentlich ­stärker bezogen auf die Ausstellungskonzeption und die Arbeiten von ­einzelnen Künstlern, die angekündigt werden. Ob die documenta hier gleich die Gelegenheit genutzt hat, eine ihrer eigenen „Learning from Athens“-Lektionen umzusetzen? Oder ob man schlicht der Auffassung war, das Kunstpublikum in Kassel müsse anders bedient werden als das in Athen?

0 Kommentare


loading
x
loading

8.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.