Bauwelt

Wohnhäuser Ginger und Fred in Stephanskirchen


„Wir basteln an unserem eigenen Dorf“, so die Architekten. Zu dieser Bastelei gehört jetzt auch ein Haus für den Metzger, der die neue genossenschaftliche Metzgerei betreibt.


Text: Finsterwalder, Rudolf, Stephanskirchen; da Sila Araujo Finsterwalder, Maria Jose, Stephanskirchen


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    Die beiden neuen Häuser, mit jeweils einer Wohnung, liegen auf einem schmalen Grundstück am Dorfeingang. Im Vordergrund das Haus des Metzgers
    Foto: Josefine Unterhauser

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    Die beiden neuen Häuser, mit jeweils einer Wohnung, liegen auf einem schmalen Grundstück am Dorfeingang. Im Vordergrund das Haus des Metzgers

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    Im Vordergrund das Haus des Metzgers, der andere Bau wird vermietet
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    Im Vordergrund das Haus des Metzgers, der andere Bau wird vermietet

    Foto: Josefine Unterhauser

Die beiden kleinen Wohnhäuser sind Teil eines größeren Nutzungsprogramms für das Gelände der Landlmühle, das sich seit 140 Jahren im Fa-milienbesitz befindet. In den letzten Jahren entstand die Idee, diesen Ort zu einer zeitgemäßen Dorfstruktur weiterzuentwickeln, die breit gemischten Aktivitäten Platz bieten soll.
Welche Nutzungen braucht ein Dorf, damit es unter heutigen Bedingungen als Lebens- und als Wirtschaftsort funktionieren kann? Das ist die Frage, die uns genauso wie die nach einer zeitgemäßen Architektur umtreibt. Neben einer im Entstehen begriffenen ökologischen Landwirtschaft mit Viehwirtschaft, Streichelzoo und Schulungspavillon gibt es auf dem Gelände bereits eine Boulder- und eine Kletterhalle, ein Yoga-Atelier – Nutzungen, die wir gemeinsam mit außenstehenden Partnern angeregt haben. Außerdem gibt es einen Parkplatz, von dem aus die Besucher ins umliegende Erholungsgebiet aufbrechen können. Demnächst wird eine genossenschaftlich betriebene Metzgerei mit eigenem Schlachtbetrieb ihre Türen öffnen. Ein Prinzip der Dorfstruktur: gemeinschaftliche, öffentliche und private Funktionen sollen voneinander profitieren, ohne sich zu stören. Solche Programme entwickeln sich nicht von heute auf morgen; es gibt viele Aspekte, die beim Aufbau zu berücksichtigen sind. Der Metzger zum Beispiel suchte nach einer möglichst nahegelegenen Wohnung. Kurz entschlossen haben wir uns überlegt, auf einem zur Mühle gehörenden kleinen Grundstück neben der Bahnlinie, die das Areal tangiert, selbst zu bauen.

Zerschnittenes Grundstück

Das Baufeld auf dem schon ein Wohnhaus aus den fünfziger Jahren steht, hat einen komplizierten Zuschnitt. An eine weitere Bebauung war nie gedacht worden. Manchmal geben Zufälle einen ersten Anstoß, in diesem Fall waren es gleich zwei. Als der neue Gasanschluss verlegt werden sollte, kam der Zulieferer zu uns und wollte die Leitung quer über das Grundstück legen: „Dort werden Sie ja sowieso nicht bauen!“ Nein, hatten wir niemals vor, aber die Leitung ließen wir außen herum verlegen. Als wir einige Wochen später im Haus des Galeristen Thaddaeus Ropac eingeladen war, gab es einen weiteren Anlass, über die Möglichkeiten des Grundstücks nachzudenken.  Thaddaeus Ropac hat viele anregende Kunstwerke in seinem Haus, darunter auch gewendelte und gedrehte Skulpturen von Tony Cragg, die als fragile, bisweilen instabile Gebilde in den umgebenden Raum ausgreifen. Schnell entstanden  erste Entwurfsskizzen: Wenn wir nur schlank genug in die Höhe bauen würden, wäre vielleicht sogar Platz für zwei dreigeschossige Wohnbauten mit kleinem „Fußabdruck“. Das hat uns gefallen. Das leichte Verkippen der Baukörper könnte einen monoli-thischen Ausdruck unterstreichen: die frei schwingende Vertikale wurde zum entscheidenden Entwurfsprinzip. Sie gab  uns aber auch die praktische Anregung, in diesem Fall selbst als „Entwickler“ aufzutreten:  auf einer Grundfläche von 6 auf 9 Metern hätte jeweils ein Wohnung Platz,  eine für den Metzger, die andere würden wir vermieten. Beim weiteren Entwerfen zeigten sich weitere Vorteile der Idee: die gekippten Außenwände erinnern von Ferne an Piet Bloms legendäre Baumhäuser, vor allem ermöglichen sie ganz verschiedene Blickbeziehungen, die mal nach oben in den Himmel, mal in die Horizontale zu den Bergen, mal nach unten zu den Bewohnergärten gerichtet sind.  Im Inneren gibt es einen vertikal durchgesteckten Luftraum, der den gekippten Wänden folgt. Und es gibt eine Treppe mit zwischengeschalteten Podesten, die wir groß genug gezeichnet haben, um dort bei Bedarf eine Leseecke oder ein schmales Sofa positionieren zu können.
Wir nannten die Häuser Ginger und Fred, obwohl dies vor Jahren schon einmal Frank Gehry vorgemacht hatte. Da wir überzeugt waren, dass der Name für unsere beiden schlanken, etwas aus der Fasson geratenen Holzhäuschen genauso gut passt wie für das Pendant an der Moldau in Prag, haben wir den Namen beibehalten; das Bauamt in Stephanskirchen, das den Bauantrag freigegeben hat, war amüsiert: „Die beiden Häuser tanzen ja wie im Film.“
Ginger wurde um eine alte Birke herum entworfen und steht in der Landschaft, als sei sie selbst so etwas wie ein Baum. Fred hingegen reagiert mit seinem Volumen direkt auf die Südseite von Ginger, greift hinüber und führt wieder weg. Beide Häuser erhielten eine durchgehende Holzschalung aus Lärche, die den monolithischen Charakter unterstreicht, das war uns wichtig. Dies gilt auch für den Innenraum. Wir planten einen weitgehend offenen Grundriss über drei Geschosse, der bis unter das Dach reicht und trotz der beschränkten Platzverhältnisse großzügig wirkt. Die Grundrisse sind flexibel – bis auf die Küche sollten Wohnen, Schlafen und Arbei-ten bei Bedarf auch ihren Platz wechseln können, wenn die Bewohner dies wünschen.  
Wir sind davon überzeugt, dass sich im Laufe des Lebens ändernde Bedürfnisse längst auch für das Wohnen im dörflichen Umfeld ein wichtiger Entwurfsparameter geworden sind. Wohnen und Arbeiten sollten wieder mehr, als dies in der Nachkriegszeit üblich war, als aufeinander abgestimmtes System gedacht werden. Die beiden kleinen Wohnhäuser auf der Landlmühle sind ein Beispiel dafür. Sie stehen nicht für sich selbst, sondern sind Teil eines auch wirtschaftlich dynamischen Umfelds der Dorfentwicklung. Der Berliner Architekt Klaus Overmeyer hat vor zwei Jahren in seinem Buch den Ausdruck Raumunternehmer („Raumunternehmen: Wie Nutzer selbst Räume entwickeln“, Jovis Verlag, Berlin 2014) geprägt. Wir denken, dass dieser Ausdruck nicht nur für aus der Funktion gefallene innerstädtische oder periphere Quartiere, sondern auch für den ländlichen Kontext passt. Für den Architekten heißt das, die vorhandenen Raumressourcen als solche wahrzunehmen und sie nicht nur formal, sondern in Zusammenhang mit neuen Nutzungen, mit Arbeits- und Freizeitangeboten zu betrachten, für die es eine Notwendigkeit geben könnte. Voraussetzung ist, dass Nachbarn und andere Partner in diesen Entwurfsprozess frühzeitig eingebunden werden.  Wenn der Architekt solche Anregungen mitkonzipiert, kann er flexibler entwickeln als es klassische Entwickler tun. Unser Ort Stephanskirchen profitiert natürlich vom Nachfragedruck, der im Umkreis von München herrscht – ohne diesen Druck wären solche Konzepte nicht möglich. Klar ist auch, dass es ohne eine  Bank, die für solchen Projekten gegenüber aufgeschlossen ist, gar nicht geht. 



Fakten
Architekten Finsterwalder Architekten, Stephanskirchen
Adresse Stephanskirchen


aus Bauwelt 1-2.2016
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