Bauwelt

Violinen-Museum in Cremona


Lange stand er leer, der Palazzo dell’Arte in der südlichen Altstadt von Cremona. Mit dem Violinen-Museum samt Auditorium wurde nun eine angemessene neue Nutzung ge­funden, die der Liebe der Cremoneser zum Geigenbau Raum gibt


Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin


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    Betrachtet man eine Geige genauer, wird man das ein oder andere Detail der Westfassade des Doms zu Cremona wiederfinden.
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Betrachtet man eine Geige genauer, wird man das ein oder andere Detail der Westfassade des Doms zu Cremona wiederfinden.

    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Die Plastik „L’Anima della musica“ von Jaume Plensa im Hof des Museums
    Foto: Roland Halbe

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    Die Plastik „L’Anima della musica“ von Jaume Plensa im Hof des Museums

    Foto: Roland Halbe

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    Auch die Werkstatt des Geigenbauers wird in der Ausstellung dargestellt
    Foto: Roland Halbe

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    Auch die Werkstatt des Geigenbauers wird in der Ausstellung dargestellt

    Foto: Roland Halbe

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    Das hölzerne „Ei“ im ehemaligen Innenhof dient mit seiner Unterseite der Bar als übergroße Leuchte, ...
    Foto: Roland Halbe

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    Das hölzerne „Ei“ im ehemaligen Innenhof dient mit seiner Unterseite der Bar als übergroße Leuchte, ...

    Foto: Roland Halbe

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    ... im Ausstellungsgeschoss darüber als Raumkapsel zum Hören von Geigenklang.
    Foto: Roland Halbe

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    ... im Ausstellungsgeschoss darüber als Raumkapsel zum Hören von Geigenklang.

    Foto: Roland Halbe

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    Der „Brückenbau“ wurde zur Schatzkammer des Museums; hier werden die wertvollsten Violinen ausgestellt, unter ihnen Ex­emplare aus den Händen von Amati und Stradivari.
    Foto: Roland Halbe

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    Der „Brückenbau“ wurde zur Schatzkammer des Museums; hier werden die wertvollsten Violinen ausgestellt, unter ihnen Ex­emplare aus den Händen von Amati und Stradivari.

    Foto: Roland Halbe

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    Aus der Schatzkammer gelangt man in den Antonio Stradivari und seinem Wirken gewidmeten Bereich. Unter Aufsicht der Kustoden darf der Besucher die Schubladen öffnen und in den Werkzeugen des Meisters stöbern.
    Foto: Roland Halbe

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    Aus der Schatzkammer gelangt man in den Antonio Stradivari und seinem Wirken gewidmeten Bereich. Unter Aufsicht der Kustoden darf der Besucher die Schubladen öffnen und in den Werkzeugen des Meisters stöbern.

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    Im ehemaligen Innenhof des Westtrakts wird das Ausstellungskapitel „Die Freunde Stradivaris“ präsentiert.
    Foto: Roland Halbe

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    Im ehemaligen Innenhof des Westtrakts wird das Ausstellungskapitel „Die Freunde Stradivaris“ präsentiert.

    Foto: Roland Halbe

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    Raum zum zeitgenössischen Geigenbau
    Foto: Roland Halbe

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    Raum zum zeitgenössischen Geigenbau

    Foto: Roland Halbe

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    Die Musiker in der Mitte: Die Idee des Konzertsaals steht in einer Verwandschaftslinie, die von der Berliner Philharmonie bis zur Elbphilharmonie reicht.
    Foto: Roland Halbe

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    Die Musiker in der Mitte: Die Idee des Konzertsaals steht in einer Verwandschaftslinie, die von der Berliner Philharmonie bis zur Elbphilharmonie reicht.

    Foto: Roland Halbe

An klaren Tagen kann Oberitalien wie eine bis ins Detail entworfene Landschaft wirken, ein Kunstwerk, bei dem das Verhältnis von geometrischer Strenge und freien Linien perfekt ausbalanciert scheint: im Norden die schneebedeckten Zacken der Alpen, im Süden die baumdunklen Rücken des Apennin und dazwischen ein fruchtbarer, römisch-rechtwinklig geteilter Garten mit endlos fluchtenden Baumreihen und Bewässerungsgräben, mäandrierend durchströmt vom Po, der zwischen den kleinen Ortschaften Castel San Giovanni und Luzarra die Grenze bildet zwischen der Lombardei und der Emilia.
Etwa auf der Hälfte dieser Strecke liegt am nördlichen Flussufer Cremona. Spaziert man durch das Zentrum der etwa 70.000 Einwohner zählenden Stadt, fallen die Geigenbauwerkstätten in den Erdgeschossen mancher Häuser ins Auge. Rund 150 derartige Manufakturen gibt es heute in Cremona, und dabei handelt es sich mitnichten um ein touristisches Angebot der Stadt, in der dieses Instrument vor rund fünfhundert Jahren erfunden worden ist. Auch kann man die mit diesem Gewerbe im engeren und weiteren Sinn verbundenen Ausbildungsstätten bemerken, die sich im Stadtzentrum verteilen, allen voran die Scuola Internazionale di Liuteria, die Internationale Schule des Geigenbaus. Die Institution wurde zu Zeiten Mussolinis, im Jahr 1938, gegründet, ein Jahr nach den Feierlich­keiten, mit denen Cremona den 200. Todestag Antonio Stradivaris, seines berühmtesten Geigenbauers, beging.
Aus dieser Ära stammt auch der ehemalige Palazzo dell’Arte an der Piazza Marconi, der vom Cremoneser Architekturbüro Arkpabi (hinter dem Kürzel verbergen sich die beiden Inhaber Giorgio Palù und Michele Bianchi) zum Sitz des Geigenmuseums umgebaut worden ist. Das Gebäude, entworfen vom neapolitanischen Architekten Carlo Cocchia (1903-1993), ist der architektonische Glanzpunkt der Altstadterneuerung während des Faschismus; dem an der Archi­tektur dieser Zeit Interessierten sei aber auch ein Blick auf den nördlichen, kommerziellen Abschluss dieses Programms, die Galleria XXV Aprile zwischen Corso Campi und Giardini pubblici, empfohlen.
1941 begonnen, musste die Baustelle des Kunstpalastes 1943 kriegsbedingt stillgelegt werden; erst als Frieden eingekehrt war, stellte man das zweigeschossige Gebäude bis 1947 fertig. Danach diente es verschiedenen Zwecken: zuerst, im Jahr 1949, als Veranstaltungsort der Feierlichkeiten zu Stradivaris 300. Geburtstag, später, von 1957 bis `81, der bereits erwähnten Geigenbauschule, aber auch einer so profanen Einrichtung wie der Biglietteria des auf der Piazza eingerichteten Busbahnhofs.
Der Kunstpalast besteht aus zwei parallel angeordneten, blockhaften Trakten mit Innenhof, die im Obergeschoss über einen schmalen Brückenbau miteinander verbunden sind; nach Süden schließt ein niedrigerer Gebäudeteil, in dem ursprünglich Veranstaltungen stattfinden sollten, das Ensemble ab. Auffällig an dem im Grunde rationalistisch-strengen Entwurf Cocchias ist die reiche Detaillierung der backsteinernen Fassaden, das Innere hingegen weist keine ins Auge springende, über den Standard seiner Zeit hinausreichende Qualität auf.
Hier setzt denn auch der mit 62 Millionen Euro budgetierte Umbau von Palù und Bianchi an, deren Auftrag auch die komplette Ausstellungsarchitektur beinhaltete: Um Fläche zu gewinnen, haben sie die beiden Innenhöfe mit Glasdächern geschlossen, jeweils eine Zwischendecke eingezogen und die ehemaligen Hoffassaden in die so entstandenen Innenräume geöffnet. Die Struktur des Kunstpalastes konnte auf diese Weise erhalten bleiben, gleichzeitig ergab sich für die Ausstellung eine räumlich sinnfällige Gliederung.
Der Besuch beginnt im östlichen Trakt, wo die erhaltene Treppe hinauf in die Ausstellung führt. Ausgangspunkt der Sammlung ist übrigens eine Schenkung des Bologneser Geigenbauers Giuseppe Fiorini, der Anfang des 20. Jahrhunderts Werkzeuge Stradivaris erwerben und damit einen weiteren Verlust in der Geschichte des Cremoneser Geigenbaus verhindern konnte – Stradivaris Haus wie seine sterblichen Überreste waren bereits im 19. Jahrhundert der Stadterneuerung zum Opfer gefallen, als die Kirche San Domenico und ihre angrenzende Bebauung abgebrochen wurde. An ihrer Stelle befinden sich heute die Giardini, und wer sucht, kann darin immerhin eine Grabplatte finden, die an den großen Sohn der Stadt erinnert. Heute ist sich Cremona der Größe seiner Geschichte bewusster. Und so beleuchtet die Ausstellung die Entstehungsgeschichte der Violine – für Architekten von besonderem Interesse der Umstand, dass sich ihr Erfinder Andrea Amati bei der Gestaltung des Instruments von Details der Westfassade des Cremoneser Doms anregen ließ –, bringt die Arbeit des Geigenbauers nahe, lüftet das Geheimnis um die Seele der Geige und erzählt die Geschichte jener Cremoneser Familien, die an der Entwicklung des Instruments maßgeblich Anteil hatten. Der eigentliche Dreh- und Angelpunkt aber sind, wen über-rascht’s, die Violinen selbst – von den zwölf ältesten und wertvollsten Exemplaren, die zuvor im Rathaus aufbewahrt worden sind und die jetzt, lichtempfindlich, wie sie sind, im rot ausgekleideten Brückentrakt wie im Inneren eines übergroßen Instrumentenkoffers ausgestellt sind, über die besten Exemplare des Cremoneser Geigenbaus im 19. Jahrhundert bis hin zu zeitgenössischen Violinen, die seit 1976 im Rahmen des Concorso Triennale di Liuteria Internazionale prämiert worden sind. Für die Präsentation dieser drei „Geigenfamilien“ entwickelten Arkpabi drei Typen von Vitrinen, die sich, in Einklang mit der zunehmenden Modernität der darin präsentierten Instrumente, immer serieller gestaltet zeigen.

Instrument Konzertsaal

Der ehemalige Veranstaltungssaal wiederum dient jetzt als Behältnis für ein gestalterisch wie handwerklich höchst elaboriertes Auditorium, das in der Tradition von Scharouns Berliner Philharmonie steht, also einer Idee von Konzertsaal verpflichtet ist, die in jüngster Zeit wieder geschätzt wird, siehe Elbphilharmonie (Bauwelt 2.2017), siehe Pierre-Boulez-Saal (Bauwelt 4.2017). Vor allem zu Letzterem fällt die Ähnlichkeit ins Auge, nicht zuletzt aufgrund der umgebenden Altbausubstanz, die die freien Formen etwas beengt. Für die Raumakustik war mit Minoru Nagata übrigens derselbe Akustikplaner tätig wie für Elbphilharmonie und Pierre-Boulez-Saal.
Die Assoziationen, die dieser kurvenreiche Ausbau aus Ahorn-Holz erlaubt, sind vielfältig: Der Besucher kann sich an ein kostbares Instrument erinnert oder sich ins Innere eines Gehörgangs versetzt fühlen, und ein Architekt wird sich wohl fragen, ob Arkpabi damit nicht auch die strenge Formensprache Cocchias kontrastieren wollten. Giorgio Palù lächelt dazu nur vielsagend und gibt eine andere Erklärung: Die geschwungenen Ränge sollen wie vom Klang geformt wirken, eine unendliche, fließende Bewegung symbolisieren, „erstarrte Musik“, sozusagen.
Dass die Raumakustik den Entwurf wie die Konstruktion des Konzertsaals beeinflusst hat, ist kaum verwunderlich. Am augenfälligsten ist der weitgehende Verzicht auf konkave Formen im eigentlichen Saalbereich; diese prägen lediglich die rückwärtig gelege­-nen Eingangsbereiche und Gänge. Akustisch begründet ist auch die schwere Unterkonstruktion der hölzernen Skulptur aus Beton mit formgebendem Spritzbeton darüber, und aus dem gleichen Grund wurde der Boden ausgebaggert, um den Klangraum zu vergrößern. Akustisch transparent sind die hölzernen Gitter, mit denen die Fensterbahnen verschlossen worden sind; hinter ihnen befinden sich schwere Vorhänge, mit denen sich die Raumakustik weiter modellieren lässt.
465 Plätze bietet dieser Saal, dessen Bestuhlung ebenfalls von Arkpabi entworfen wurde. Die Architekten ließen sich dafür vom Design der fünfziger und sechziger Jahre und seinen mehrfach gekrümmten Oberflächen inspirieren. Die der Bühne nächst gelegenen vier Reihen sind flexibel, um Platz auch für ein grö­ßeres Ensemble zu bieten. Eine Größe von 25 Musikern sei optimal, bis zu 40 möglich, so Palù, jenseits davon verzerre der Raum den Klang.



Fakten
Architekten Arkpabi, Cremona
Adresse Piazza Guglielmo Marconi, 26100 Cremona CR, Italien


aus Bauwelt 8.2017
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