Bauwelt

Soziale Mischung oder Abgrenzung? Neubauquartiere in Deutschland


Segregation


Text: Maier-Solgk, Frank, Berlin


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    Prenzlauer Berg, Berlin
    Foto: Fey von dem Bussche

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    Rieselfeld, Freiburg
    Foto: Stadt Freiburg, Stadtplanungsamt

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    Erfttal, Neuss
    Foto: Harald Denner

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Wie wird in Neubauquartieren in Deutschland mit sozialer Mischung umgegangen? Der Blick auf aktuelle Beispiele in Freiburg, Köln, München und Neuss zeigt eine überraschende Bandbreite. Es finden sich: das gemischte Neubauviertel von der Größe einer Kleinstadt, der durch Abbruch sanierte „soziale Brennpunkt“, die homogene Baugruppe – und das innerstädtische Luxusquartier mit integrierten Sozialwohnungen.
Als soziales Phänomen bewegt sich Segregation in Deutschland, wie auch anderswo in der Welt, zwischen zwei Polen. An dem einen Ende der sozialen Leiter steht die zunehmende – freiwillige – Segregation einer gehobenen Mittelschicht, die über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, um sich ein Wohnen nach Wunsch zu leisten und sich auf diese Weise von den Konflikten in der Stadt abzugrenzen. Diese Segregation findet ihr fragwürdiges Extrem in abgeschotteten Luxuswohnanlagen, die von den Städten meist toleriert, wenn nicht sogar willkommen geheißen werden. Am anderen Ende der sozialen Leiter steht die – unfreiwillige – Segregation der von der Gesellschaft Benachteiligten, zum Beispiel von Menschen mit geringem Einkommen, niedrigem Bildungsstand oder auch Migranten. Vor allem die Kombination der zuletzt genannten Fak­toren führt in der Regel zu Problemsituationen, die die Städte zu verhindern suchen. Insbesondere im Neubau werden mit Blick auf diese Bevölkerungsgruppen vielfach gemischte Bewohnerstrukturen gefördert, um soziale Brennpunkte zu vermeiden.
Die folgenden fünf Beispiele – aus Freiburg, Köln, München (Maxvorstadt und Schwabing-West) und Neuss – stehen exemplarisch für die heutige Situation neugebauter Quartiere zwischen Segregations- und Mischungstendenzen. An ihnen lässt sich auch ablesen, welche Rolle architektonische und städtebauliche Qualitäten innerhalb dieser Tendenzen spielen.
I. Urbane Quartierskonzepte
Soziale Mischung lässt sich am einfachsten im Neubau auf der „grünen Wiese“ oder auch auf Stadtbrachen verwirklichen. Zwei wegweisende Beispiele für urbane, gemischte Quartiere auf solchen Flächen gibt es in Freiburg und München.
Kleinstadt in der Stadt – Rieselfeld, Freiburg
Seit Anfang der neunziger Jahre entstand in Freiburg die „Rieselfeldsiedlung“. Es ist eines der ersten Neubauviertel, die in Hinblick auf soziale Mischung konzipiert wurden und eines der größten Wohnungsprojekte Baden-Württembergs. Auf dem 70 Hektar großen städtischen Randgebiet versickerten die Abwässer auf Wiesen und Äckern. Heute leben hier mehr als 10.000 Einwohner, fast wie in einer autarken Kleinstadt. Die drei- bis fünfstöckigen Wohnblöcke sind meist in Niedrigenergiebauweise errichtet. Ein großes Plus des Viertels ist die differenzierte Gebäudetypologie, die unterschiedliche Zielgruppen anspricht. Es gibt Blockrandbebauung und Reihenhäuser, Zeilenbauten und ein Punkthaus (Architekten: Böwer, Eith, Murken). Das orthogonale Straßensystem erleichtert die Orientierung, wirkt aber etwas schematisch. Eine Hauptstraße, auf der auch eine Straßenbahn fährt, durchzieht als zentrale Achse das Quartier; Geschäfte in ihren Erdgeschosszonen sorgen für eine gewisse Urbanität.
Von Anfang an wurde in der Rieselfeldsiedlung großer Wert auf eine vielfältige Infrastruktur gelegt – ein Gymnasium, eine große Grundschule, Waldorfschule, Caritas-Kinderhaus, Stadtteiltreffs mit Kinder- und Jugendmediathek und Jugendarbeit, ökumenisches Kirchenzentrum und mehrere Sport­hallen. Unterstützt von einer regen Quartiersarbeit konnte so schon früh integrativ gearbeitet werden. Ursprünglich sollte die Hälfte der Wohnungen als öffentlich geförderte Mietwohnungen bereitgestellt werden. Im Laufe der Jahre änderte sich jedoch die Wohnraumförderung, sodass dieses ambitionierte Ziel aufgegeben werden musste. Heut sind rund 25 Prozent der Wohnungen öffentlich gefördert. Eine gute soziale Mischung der Bevölkerung, die den ohnehin günstigen Freiburger sozialen Verhältnissen entspricht, scheint aber dennoch erreicht worden zu sein. Neben einer Vielzahl kleinerer und größerer Investoren realisierten hier rund 100 Bauherrengemeinschaften, auch im Mehrfamilienhaus- und Geschosswohnungsbau, ihre Projekte.
Internationales Vorbild – Ackermannbogen, München
Eine andere Version eines innerstädtischen Neubauviertels, das eine ausgewogene soziale Mischung zum Ziel hatte, entstand in den letzten Jahren auf einem ehemaligen Kasernen­areal in München. Die Stadt hatte das Gelände des Ackermannbogens zwischen Schwabing und Olympiagelände vom Bund erworben und dafür einen städtebaulichen Ideenwettbewerb ausgeschrieben (Preisträger: Architekt Christian Vogel, Landschaftsarchitektin Rita Lex-Kerfers). Im Unterschied zum Freiburger Quartier handelt es sich um eine zentralere innerstädtische Lage. Die Bebauung ist aufgelockerter, eine breite Wiese und älterer Baumbestand vermitteln die Atmosphäre eines gewachsenen Stadtteils. Knapp ein Viertel der 40 Hektar großen Fläche sind Grünanlagen, die in Form eines breiten Achsenkreuzes das Quartier in vier Segmente teilen. Inzwischen sind drei Viertel der Fläche bebaut. Am Rande überwiegen, neben einer mit Wohntürmen punktierten Mäanderform Bauwelt 36, fünf- bis sechsgeschossigen Zeilenbauten; dazwischen liegen zwei- bis dreigeschossige Häuserzeilen, die meisten mit Vorgärten. Nach Abschluss der Bauarbeiten sollen hier einmal 5200 Menschen in rund 2200 Wohnungen leben. Auf dem noch freien Gelände soll ein Stadteilzentrum entstehen, ein Supermarkt und eine Gaststätte sollen die derzeit noch etwas spärliche Infrastruktur des Quartiers aufwerten.
Obwohl dieser Teil des Quartiers voraussichtlich erst in zwei bis drei Jahren fertiggestellt sein wird, gilt der Ackermannbogen schon jetzt als Erfolgsmodell. Die Nachfrage ist ungebrochen groß, es gibt keine Fluktuation und in Umfra­-gen wurde deutlich, dass die Wohnzufriedenheit hoch ist. Planungsexperten aus China und Südafrika kamen zu Studienzwecken in das Quartier. Vor allem die unterschiedlichen Förder- und Eigentumsformen und die Mischung der Bauträger haben dazu beigetragen, dass die soziale Zusammensetzung der Bewohner nicht dem Münchner Schickeria-Bild entspricht, sondern so vielschichtig ausfällt, wie die Stadt selbst ist. Im Ackermannbogen ist auch der genossenschaftliche Bauträger „wagnis“ aktiv, der, wie die privaten Baugruppen, von einem Architekten beraten wurde, den die Stadt finanziert. Auch aufgrund der dabei gemachten guten Erfahrung hat die Stadt Anfang 2012 ein Gesetz erlassen, das Genossenschaften ein Vorkaufsrecht einräumt. Das sei, so die Stadt München, das effektivste Mittel, um eine gemeinschaftsfreundliche Bewohnerstruktur zu erreichen.
Im Ackermannbogen sind rund 50 Prozent der Wohnungen freifinanziert, 50 Prozent werden in unterschiedlicher Weise gefördert (20 Prozent davon als sozialer Mietwohnungsbau, 30 Prozent nach dem München-Modell: Wohneigentums- und Mietförderung durch die Stadt für Personen mit mittlerem Einkommen). Ein Turmhaus mit hochpreisigem Wohnraum (Quadratmeterpreis über 6000 Euro) nimmt in diesem Umfeld eher eine Sonderstellung ein. Die Quartiersatmos-phäre ist insgesamt durch die verhältnismäßig große Zahl von Familien mit Kindern geprägt. 1230 der 5200 Bewohner sind unter 15 Jahren. Als eines von bundesweit sieben Modellprojekten wurde das Wohngebiet in das Forschungsprogramm „Experimenteller Wohnungs- und Städtebau“ (ExWoSt) und das dort aufgelegte Modellvorhaben „Innovationen für familien- und altengerechte Stadtquartiere“ aufgenommen.
Das besondere Plus des gesamten Viertels sind die vielen gemeinschaftsfördernden Quartiersinitiativen: Nachbarschaftsbörsen, Gruppenräume mit kulturellen Angeboten, Gemeinschaftsgarten mit Sitzgelegenheiten und Gemüsegarten, selbst entworfene Spielplätze, Handwerkerraum, Sommerfeste, regelmäßige Treffs zur Quartierentwicklung, eine eigene Zeitung. Gudrun Eberle, die die Nachbarschaftsbörse leitet – ihre Halbzeitstelle ist von der Stadt finanziert – betont, dass die Quartiersarbeit auf das Klima und die Qualität des gesamten Viertels ausstrahlt: „Auch der freifinanzierte Bereich profitiert von dieser Arbeit, die zum Teil auch ehrenamtlich erfolgt.“ Im Üb­rigen habe man die angestrebte Mischung in vielerlei Hinsicht erreicht. Der Ausländeranteil entspricht mit 23 Prozent dem von München. Die sozial durchmischte Bewohnerstruktur ist offensichtlich attraktiv: Die Wohnungspreise im frei­finanzierten Bereich haben sich seit Beginn des Verkaufs vor acht Jahren fast verdoppelt.
II. Soziale Aufwertungen
Die städtisch geförderte Neubausiedlung auf einer innerstädtischen Brache ist die eine Aufgabe. Eine nicht weniger komplexe ist die vielerorts anstehende Erneuerung von Siedlungen aus den sechziger und siebziger Jahren. Manche dieser Quartiere laufen Gefahr, zu Gebieten mit großen sozialen Problemen zu werden. Oft wurden sie in Zeilenbauweise oder in den dichten Formen einer Hochhausbebauung dort errichtet, wo es ehemals Arbeit gab und genügen den heutigen Wohnbedürfnissen nicht mehr.
Verbürgerlichung – Erfttal, Neuss
In Neuss war der Stadtteil Erfttal von überwiegend einkommensschwachen Haushalten geprägt. Mit 26 Prozent wies er zudem einen über 10 Prozent höheren Ausländeranteil als die Gesamtstadt auf (vor allem Aussiedler aus Osteuropa). Nach einem intensiven wohnungswirtschaftlichen, städtebaulichen und kommunalpolitischen Abwägungsprozess entschloss sich der Neusser Bauverein, dem rund 7000 Wohnungen im Stadtgebiet gehören, auf Grundlage eines Gutachtens von Pesch und Partner (Stuttgart), einen Teil der Bauten abzureißen und durch eine aufgelockerte Neubebauung zu ersetzen. Zunächst wurde ein Siebengeschosser mit 47 Wohnungen abgerissen. An seiner Stelle entstand eine zweigeschossige Reihenhausbebauung mit kleinteiligem Wohneigentum. Für Jürgen Grunst vom Neusser Bauverein, zuständig für den Bereich Neubau und Moderni­sierung, waren die alten verdichteten Wohnkomplexe ohnehin nicht mehr zeitgemäß. „Diese Gebäude sind schwerer zu bewirtschaften. Manchmal ist etwas schneller wieder zerstört worden, als wir sanieren konnten.“
Kern der Umwandlung des Quartiers, die man als Verbürgerlichungsprozess bezeichnen kann, war die Reduzierung der Zahl der Wohneinheiten von gut 200 auf rund 130. Diese bestehen nun vor allem aus knapp 100 Geschosswohnungen, 2 Wohngemeinschaften für insgesamt 16 Bewohner sowie 18 Ein­familienhäusern. Von der geringeren Dichte profitierte vor allem das Wohnumfeld: Die Mehrheit der neuen Gebäude ist zwei- bis dreigeschossig, wobei die Wohnungen nun entweder einen Garten oder eine Loggia haben. Auch hier ist es nicht zuletzt das relativ abwechslungsreich begrünte Umfeld (überwiegend Kinderspielplätze) zwischen den Wohnblöcken, das heute die freundliche Attraktivität der Siedlung ausmacht. Die Wohnanlage wird durch eine in die Baukörper integrierte Lärmschutzwand aufgewertet, die die Wohnsiedlung zudem als erkennbare Einheit stärkt.
Mit Blick auf die angestrebte soziale Struktur ist hervorzuheben, dass 69 Mietwohnungen im Rahmen eines Privatisierungskonzepts verkauft wurden. Die bisherigen Mieter konnten Wohneigentum zu einem günstigen Kaufpreis (790 €/mµ Wohnfläche) erwerben. Vor allem junge Familien haben diese Chance genutzt, auch einige der Familien mit Migrationshintergrund. Außerdem konnte eine Instandhaltungsrücklage gebildet werden, damit das Projekt über eine wohnungswirtschaftliche Ba-sis verfügt. Bei den günstigen Erwerbspreisen und den modera­ten Kapitalkosten bewegen sich die monatlichen Belastungen für die neuen Eigentümer meist in der Größenordnung ihrer bisherigen Mietkosten.
Das Ergebnis der Umwandlung ist eine höhere Akzeptanz im Stadtteil. Infolge der geringen Anonymität ist eine verstärkte soziale Kontrolle zu erkennen. Ihrer städtebaulichen Qualitäten wegen wurde die Siedlung im Wettbewerb Deutscher Bauherrenpreis 2012, Kategorie: „Hohe Qualität – Tragbare Kosten“ ausgezeichnet (Städtebau und Architektur: ARGE Agirbas/Wienstroer – Grosser – Pesch+Partner).
III. Das „Premiumsegment“
Während bei Siedlungen der sechziger und siebziger Jahre die Gefahr der „Gettoisierung“ meist erst am Ende einer längeren Nutzung aufkommt, steht eine ganz andere Form der Getto­isierung bei den neuen, gehobenen Wohnanlagen von vorn­herein fest. Ort des Geschehens sind überwiegend prosperierende Städte wie München, Hamburg, Berlin, Düsseldorf oder Frankfurt. Die Projektentwickler haben ihre „Premiumquartiere“ dort, um die sogenannte „Adressenbildung“ zu fördern, mit besonders klingenden Namen bedacht: Lenbach Gärten (München), Linden-Corso (Frankfurt), Diplomaten-Park (Berlin), Central-Park-Residence (Leipzig), Klostergärten (Münster), Kronprinzengärten (Berlin) oder Heinrich-Heine-Gärten (Düsseldorf). Dahinter verbergen sich meist relativ eng bebaute Siedlungen in guter Lage mit vorwiegend hochpreisigem Wohneigentums- und Mietangebot. Gestalterisch scheinen sie mehrheitlich einem architektonischen Musterbuch entnommen zu sein, bautypologisch handelt es sich in der Regel um Villen oder mächtige kubische Wohnblocks mit Penthouse und Dachterrasse, gelegentlich um schmalere Eigentumshäuser.
Bezogen auf den Wohnungs(neu)bau insgesamt mögen diese Siedlungen prozentual noch nicht ins Gewicht fallen. Sie besitzen jedoch bildprägenden Charakter für manche Stadtviertel und strahlen sowohl soziologisch, ästhetisch wie auch preislich in die Nachbarschaften aus. Damit können Großstädte wie München oder Berlin in ihren Innenstadtbereichen vielleicht leben, in mittelgroßen Städten wirken diese stilistisch fast einheitlichen Architekturen wie Fremdkörper. Zwar ist man hierzulande noch weit entfernt von Gated Communities in einem Ausmaß wie zum Beispiel in Warschau, doch sind auch diese Siedlungen zumindest teilweise im Zugang eingeschränkt, werden von „Concierge“ und „Doormen“ kontrolliert und mit Kameras in Buchshecken überwacht. Doch scheint ihr Erfolg hierzulande mehr oder weniger auf die Metropolen begrenzt zu sein. Die Klostergärten in Münster zum Beispiel sind, so ihr Betreiber, auch nach über zwei Jahren erst zu rund 70 Prozent verkauft bzw. vermietet.
Entre Nous – Die Lenbach Gärten, München
„Nein, hier sind keine Araber und auch nur vier russische Familien“, erklärt der für den Vertrieb der Wohnungen in den Münchner Lenbach Gärten Zuständige. Es ist eines der Vorzeige-Luxusquartiere der Stadt (siehe Bauwelt 36). Die Zusammensetzung der Bewohner sei in gewisser Weise heterogen. Zwei Blocks des Premiumquartiers am Alten Botanischen Garten in der Münchner Innenstadt, also rund 50 Wohnungen, fallen entsprechend den Münchner Vorschriften unter die Rubrik sozialer Wohnungsbau und werden für zum Teil unter 10 Euro pro Qua­dratmeter vermietet. Den Rest des Quartiers machen allerdings hochpreisige Eigentumswohnungen mit Wohnflächen zwischen 180 und 300 Quadratmetern und Preisen zwischen 6000 und 11.000 Euro pro Quadratmeter aus. Auf sie träfe zumindest zum Teil zu, was seit der Entstehung des Viertels über seine Bewohner kolportiert wird: Es sind Leute, die einen Großteil ihrer Zeit auf Mallorca oder Sylt verbringen und die Ausflüge nach München auf die Zeit des Oktoberfests und der Opernfestspiele begrenzen. Das erklärt die feierliche Ruhe, die inmitten der immergrünen Büsche etwas Endzeitliches ausstrahlt.
Kern des Viertels ist das sechsgeschossige Wohnhaus „Max Palais“, (das historische Max-Palais war ein von Leo von Klenze entworfener Adelspalast) dessen Hof nicht öffentlich zugänglich ist, anders als die sonstigen Freiflächen, die ein öffentlicher Weg quert. Das Max Palais ist über einen unterirdischen Gang mit dem Luxushotel „The Charles“ der Rocco Forte Gruppe verbunden. Hilmer&Sattler und Albrecht Architekten haben es in einem großbürgerlichen Retro-Stil mit Anleihen bei Grand Hotels gebaut. Alles wirkt irgendwie schablonenhaft, die kleine Grünanlage manieriert. Bis auf zwei sind alle Wohnungen des Karrees, wie nicht anders erwartet, verkauft. Das Gleiche gilt für die kubisch angeordneten sogenannten Steidlelofts, deren modernere Architektursprache immerhin Anschluss an die städtische Umgebung sucht.
IV. Gemeinschaftsbildung
Das Wohnen in einem Luxusquartier solcher Art ist nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung erschwinglich. Die Mehrzahl möchte aber auch gar nicht so wohnen. Für viele stellt die Verbindung von Individualität und Gemeinschaft derzeit das Ideal dar. Am ehesten verwirklichen lässt sich dies heute wohl in einer Baugruppe. Mit ihnen ermöglichen sich Vertreter ei­ner Mittelschicht mit ähnlichen Lebensvorstellungen und in einer ähnlichen Lebensphase gemeinsames Bauen, bei dem außer den finanziellen Vorteilen meist auch das gestalterische Niveau eine wichtige Rolle spielt.
Harte Schale, weicher Kern – Baufreunde Köln
In Köln hat die Baugruppe „Baufreunde“ im Stadtteil Sülz gemeinsam mit dem Architekturbüro office03 ein Projekt mit 18 Wohneinheiten entwickelt, in zwei parallelen Riegeln zwischen denen eine Grünanlage liegt. Vor kurzem sind die Wohnungen bezogen worden, fast ausschließlich von jungen Familien (und auch von den Architekten selbst); entstanden sind hier auch zwei Seniorenwohnungen. In intensiver gemeinsamer Planung gelang hier die von den Bewohnern gewünschte architektonische Vielfalt. So haben zum Beispiel alle Wohnungen entweder einen Garten oder eine große Dachterrasse. Zu ihrer Nachbarschaft schottet sich die Siedlung durch zwei einfassende Mauern ab, während nach Innen, zu den Bewohnergärten, größtmögliche Offenheit demonstriert wird. Die Architekten sprechen auch wegen der dunklen Putzfassade zur Straße hin von einem Gebäude, das sich „wie eine Auster“ verhält. Einer der Vorteile von Baugruppen ist die Transparenz der Kosten. Das war auch in Köln so. Mit 2800 Euro pro Qua­dratmeter fielen die Kosten im Vergleich zu Bauten in der Nachbarschaft noch moderat aus – immerhin gab es dafür auch ei-nen Tiefgaragenplatz.
Als eines von zehn Projekten hat das Quartier den Landespreis für Architektur, Wohnungs- und Städtebau NRW 2012 erhalten (Städtebau: Luczak Architekten, Köln). Doch auch in diesem Kölner Fall könnte man strenggenommen, wenn nicht von Segregation, so doch von einer Monokultur sprechen. Die 31 Haushalte ähneln sich: Akademiker, Doppelverdiener, 2 Kinder, ökologisch orientiert. Man ist zufrieden, genießt die praktischen Vorteile, kann zum Beispiel das Abholen der Kinder von der Schule besser organisieren. Das Beispiel entspricht dem verbreiteten Typus von Baugruppen, die hinsichtlich ihrer Zusammensetzung meist keiner Regulierung unterliegen.
Baugruppen stellen, ebenso wie genossenschaftliche Wohngesellschaften, aufgrund ihres initiativen Charakters eine interessante Ergänzung des Wohnspektrums dar. Sie sind, wie manche Baugruppen zeigen, vom Prinzip her in ihrer Zusammensetzung flexibel. In Tübingen zum Beispiel werden Baugruppen von Einwanderern gefördert Bauwelt 1–2, andere engagieren sich sozial, wie die Baugruppe „Am Urban“ in Berlin Bauwelt 47, die Gewerbe und soziale Einrichtungen integrierten. 



Fakten
Architekten Böwer, Eith, Murken, Freiburg; ARGE Agirbas/Wienstroer – Grosser – Pesch+Partner, Neuss; Luczak Architekten, Köln
aus Bauwelt 48.2012
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