Bauwelt

Segregation in der Stadt


Editorial


Text: Schultz, Brigitte, Berlin


Ihre neue Nachbarin ist eine alleinerziehende Mutter mit fünf Kindern, drei davon schwer verhaltensauffällig, sie ist gerade zum Islam konvertiert, ihre ständig wechselnden Mitbewohner sprechen selten ein Wort Deutsch. Ein Problem für Sie? Falls die Frau zufällig Professorin, eine etablierte Künstlerin, einfach nur wohlhabend oder die Freundin einer Freundin ist, wahrscheinlich nicht.
Und falls sie von Hartz-IV lebt? Die Antwort ist, mit dem französischen Soziologenpaar Pinçon-Charlot gesprochen, einfach: Wer die Wahl hat, sucht als Nachbarn seines Gleichen. Wir möchten alle unsere Ruhe und möglichen Konflikten oder Unwägbarkeiten aus dem Weg gehen. Nun ist Stadt traditionell der Ort, der durch den Kontakt einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen solche Bequemlichkeiten aufbricht, uns mit unseren Ängsten konfrontiert und die eigenen Vorurteile hinterfragen lässt. Das macht die Lebendigkeit einer Metropole aus, so entsteht Neues, Unerwartetes, oft Inspirierendes, das den schwer greifbaren Begriff der Urbanität mit Bedeutung füllt. In dem Maß, in dem sich die Berührungspunkte zwischen verschiedenen Lebenswirklichkeiten reduzieren, ist diese urbane Mischung bedroht.
An den Rand gedrängt
Auch wenn es die Bundesregierung gerade aus ihrem Armutsbericht getilgt hat: Die zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft bleibt eine Tatsache. Im europäischen Ungleichheits-Ranking belegt Deutschland zwar den Platz in der goldenen Mitte – die Einkommensungleichheit nimmt hierzulande jedoch besonders schnell zu, wie die OECD 2011 ermittelte. Und die soziale wie räumliche Segregation, die Aus- und Abgrenzung verschiedener Bevölkerungsgruppen, wird zu einem wachsenden Problem unserer Städte. Dabei geht es nicht um migrantische „Parallelgesellschaften“, die in deutschen Städten nachweislich nur als hartnäckiger Mythos existieren. Ein viel realeres Phänomen ist die sozio-ökonomische Polarisierung, die in „sozialen Brennpunkten“ oder abgeschotteten Luxusvierteln lediglich ihre Extreme findet. Eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik lieferte Mitte des Jahres alarmierende Ergebnisse, die wir für diese Ausgabe gemeinsam mit dem Grafiker Deniz Keskin visualisiert haben: Obwohl die Zahl armer Familien im Durchschnitt in vielen Städten zurückging, ist die Segregation der von Armut Betroffenen in den meisten Städten gestiegen. Während die Zentren eine Aufwertung erleben, werden arme Haushalte mit Kindern buchstäblich an den Rand gedrängt, sie landen oft in Großsiedlungen oder solchen der 50er und 60er Jahre.
Um dieser Segregation entgegenzusteuern, bedarf es der fein justierten „Einmischung“ von Seiten der Städte. In Zeiten, in denen die Wohnungspolitik dereguliert, kommunale Wohnungsbestände privatisiert und Sozialwohnungskontingente abgebaut werden, ist das keine leichte Aufgabe. Wie deutsche Kommunen und Wohnungsunternehmen versuchen, soziale Mischung zu fördern, über welche Instrumente sie verfügen, in welche Konflikte sie bei deren Anwendung aber auch geraten, legen Tilman Harlander und Gerd Kuhn dar.
Auf der Suche nach Best-Practice-Beispielen lohnt sich der Blick aufs Detail. Wir haben fünf Neubauquartiere, die auf der Skala zwischen Segregation und Mischung unterschiedliche Positionen einnehmen, unter die Lupe genommen und in die Lagepläne eingezeichnet, was normalerweise verborgen bleibt: Wie sind die Eigentumsverhältnisse? Wie mischen sich verschiedene Wohnangebote? Wo verlaufen bei der Baugruppe, dem Luxuswohnblock oder dem Sozialwohnungsbau die gebauten Grenzen zwischen öffentlichem und privaten Raum? Die Pläne zeigen: Die Sortierung in Schubladen wie „gemischt“ oder „segregiert“ ist nicht immer so eindeutig möglich, wie auf den ersten Blick vielleicht gedacht.
Wie wird sich die Segregation hierzulande entwickeln? Der Blick auf unsere europäischen Nachbarn führt verschiedene Richtungen vor Augen, von den nordeuropäischen Wohlfahrtsstaaten mit ihrer geringeren Polarisierung bis zu süd- und osteuropäischen Ländern, wo Gated Communities inzwischen Normalität sind. Welche Folgen das haben kann, zeigt das Beispiel Warschau: Die polnische Hauptstadt ist durch über 400 Gated Communities derart fragmentiert, dass eine sinnvolle Stadtplanung für die weiterhin kommunal verwalteten Gebiete außerhalb der Zäune schier unmöglich wird. Erfreulicher ist da schon der Blick zu unserem südlichen Nachbarn, der Schweiz, wo Genossenschaften derzeit mit neuen Mischungs-Konzepten experimentieren.
So schwierig die „richtige Mischung“ zu erreichen ist – so notwendig scheint sie für eine ausgeglichene Stadtgesellschaft. Und wer würde diesem Ziel widersprechen? Tatsächlich gibt es Stimmen, die in segregierten Vierteln Vorteile sehen. Welche, erfahren Sie im letzten Beitrag zum Thema, dessen Thesen wir auf http://www.bauwelt.de/cms/bauwelt-index.html zur Diskussion stellen.



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