Bauwelt

Mutter aller leer stehenden Gebäude


Der Flughafen


Text: Zareh, Vesta Nele, Berlin


  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Maximilian Meisse

    • Social Media Items Social Media Items

    Foto: Maximilian Meisse

  • Bilderliste
    • Social Media Items Social Media Items

    Zeichnung: Vestah Nele Zareh und Bruno Cruz/© Bauwelt

    • Social Media Items Social Media Items

    Zeichnung: Vestah Nele Zareh und Bruno Cruz/© Bauwelt

1,2 Kilometer liegen zwischen dem einen und dem anderen Ende, knapp 300.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche umfasst Europas zweitgrößter Bau. Ein Großteil der Raumfluchten befindet sich in desolatem Zustand. Während um eine langfristige Nutzungsvision gestritten wird, bespielen neue Event-Mieter das Haus. Sollen Events wie die Modemesse Bread & Butter das Denkmal auf Dauer in Beschlag nehmen? Oder will man weiter über große, unrealistische Museumsprojekte spekulieren?
Seitdem vor drei Jahren der Flugbetrieb in Tempelhof eingestellt wurde, stehen Flugfeld und Flughafengebäude für neue Nutzungen offen. Dabei zeigte sich schnell, dass es ungleich einfacher ist, das Flugfeld in eine neue Nutzung zu überführen, als für das riesige, sanierungsbedürftige Gebäude ein schlüssiges Konzept und einen solventen Investor zu finden. Wo das Flugfeld zu Träumen über Parkflächen und ökologische Wohnquartiere anregt, ruft der von den Nationalsozialisten zwischen 1936 und 1941 nur grob fertiggestellte Bau schon wegen seiner schieren Größe sowohl Be- als auch Entgeisterung hervor. Eine schlüssige Vision aber, wie man die 294.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche (abzüglich der bereits vermieteten Flächen) nach der Schließung des Flughafens anders nutzen und langfristig sanieren kann, hat zurzeit niemand.
Denkmalschutz
Die absehbaren Schwierigkeiten im Umgang mit dem Flughafen waren auch der Grund dafür, dass in der Debatte um mögliche Zukunftszenarien Anfang der 90er Jahre ein Komplett- oder Teilabriss diskutiert wurde. Diese Diskussion hatte sich 1994 mit der Entscheidung erübrigt, das Gebäude von Ernst Sagebiel (1892–1970) unter Denkmalschutz zu stellen. Es war damit in der jetzigen Form gerettet. Das erschwert aber auch die Situation für alle möglichen Nutzer, die sich nun mit den strengen Vorgaben des Denkmalschutzes auseinandersetzen müssen, denn die Unterschutzstellung schließt alle orts- und baugeschichtlichen Phasen mit ein. Die Denkmaleigenschaft beschränkt sich nicht nur auf die Bausubstanz der Entstehungszeit, sondern umfasst auch die Um- und Einbauten der U.S. Air Force, die während der knapp 50 Jahre andauernden Nutzung in einem der Verwaltungsbauten unter anderem ein komplettes Hotel und großflächige Sportanlagen oberhalb der Abfertigungshalle im Mittelbau eingebaut hatten. Auch das Rollfeld mit insgesamt 25 Hektar asphaltierter Fläche steht unter Denkmalschutz und darf nicht verändert werden.
Jeder Projektvorschlag muss mit der zuständigen Denkmalschutzbehörde von Tempelhof-Schöneberg abgestimmt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um ein temporäres Projekt handelt, das für drei Tage einen Hangar belegt, oder um eine langfristig angelegte Nutzung eines Bürotrakts. Eingriffe in die Fassade sind sowieso ausgeschlossen. Dass es dabei auch für temporäre Nutzungen nicht einfach ist, dem Denkmalschutz zu entsprechen, erfuhren schon die Veranstalter der Modemesse Bread & Butter, denen untersagt wurde, ihre Zelte im Rollfeld mit Ankern zu sichern. Der Eishockeyverein ECC Preußen Juniors machte ähnliche Erfahrungen. Inzwischen gibt es aber für alle temporären Installationen brauchbare Lösungen. Schwieriger wird es wohl werden, die durch die U.S. Army umgebauten Räume zu nutzen. Hier lässt sich eigentlich nur vorstellen, was zu den Einbauten passt, also Clubs oder Lounges – alles andere würde mit den historischen Holz­theken, Couchlandschaften und Bowlingbahnen kollidieren.
Vor allem aber ist die mögliche Nutzung vom Grad der Sanierung abhängig. Große Teile des Gebäudes sind momentan nicht nutzbar. Seit Bekanntwerden einer möglichen Schließung des Flughafens 1996 wurde in den Erhalt der Bausubstanz nicht mehr investiert. Die gesamte Elektrik und das Rohrnetz sind veraltet und müssten ersetzt werden. Der für neue Nutzungen notwendige Brandschutz fehlt. Darüber hinaus zeigte eine 2010 durchgeführte Bestandsaufnahme der Bauschadstoffe, dass es teuer wird, wenn die Substanz angetastet werden muss: Zu den Altlasten zählen unter anderem Asbest, teerhaltige Baustoffe und künstliche Mineralfasern. Die vom Senat für die Sanierung veranschlagten 70 Millionen Euro – an anderer Stelle werden auch 120 Millionen genannt – erscheinen angesichts der Größe des Baus verschwindend gering. Sie deuten jedenfalls darauf hin, dass von dieser Summe nur Teile des Gebäudes saniert werden könnten.
Kaum Variationen bei den Räumen
Das Gebäude, das trotz Bauboom in Asien noch immer zu den größten Gebäude der Welt gehört, weist im Inneren eine erstaunlich geringe Varianz an Raumformen auf. Im Grunde kann man sie drei unterschiedlichen Raumtypologien zuordnen. Zur ersten Typologie gehören die sieben Hangars und die zwei Flugsteige, die knapp ein Drittel der gesamten Fläche ausmachen und sich auf der Flugfeldseite in den beiden ausgreifenden Flügeln befinden. Ihre Tiefe beträgt durchgängig 49 Meter. Allerdings variieren sie in der Länge, sodass sie zwischen 3500 und 6000 Quadratmeter groß sind. Sie sind nicht beheizbar und lassen sich komplett öffnen, was riesige überdachte Bereiche schafft.
Die zweite Typologie besteht aus den über 9000 Büroräumen, die Tempelhof damit auch zum größten Bürokomplex innerhalb Berlins machen. Sie sind über das gesamte Gebäude verteilt, und da dieses nahezu ausschließlich durch ein Achsraster von 3,40 Metern gegliedert ist, haben die meisten Büros eine durchschnittliche Größe von 17 Quadratmetern. Alle Büroräume werden über mittig liegende Flure erschlossen, sodass eine Unterteilung der Bürotrakte in kleinere Bereiche oder eine Querzusammenlegung kaum möglich ist. Hier würden die höchsten Sanierungskosten anfallen; viele dieser Räume waren über Jahrzehnte ungenutzt und sind stark sanierungsbedürftig. Ein Großteil von ihnen ist zudem nicht als herkömmliches Büro nutzba. Sie liegen an den geschlossenen Hangars und sind somit nur indirekt belichtet.
Die dritte Typologie umfasst sogenannte Sonderräume. Sie liegen meist im Mittelteil des Gebäudes. Zu ihnen zählen die Warteräume, die Eingangs- und Abfertigungshalle des ehemaligen Flughafens aber auch die von den Nationalsozialisten geplanten Festsäle und die durch die U.S. Army ausgebauten Räume. Diese durch ihre ehemalige Funktion besonders charakteristischen Räume unterliegen strengen Bestimmungen des Denkmalschutzes. Mit ihrer Ausstattung kann und muss jeder neue Nutzer arbeiten.
Call for Ideas 2009
All diese Fakten sind in dem Exposé aufgelistet, das die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2009 im Rahmen des sogenannten Interessenbekundungsverfahren herausgegeben hat. Ziel des offenen „Call for Ideas“ war es, „nationale und internationale Partner und Investoren zu gewinnen, die konkrete Projekte und Investitionsideen mit einbringen“ würden. Den Rahmen für das Verfahren bildete der Masterplan in seiner überarbeiteten Form von 2008 mit der darin beschriebene Absicht, in dem Gebäude ein „ internationales Zentrum für Kultur, Medien und Kreativwirtschaft“ anzusiedeln: das Tempelhof Forum THF. Diese Ankernutzung sollte wesentliche Teile des Gebäudes belegen und mit anderen neuen Nutzungen Synergien erzeugen. Parallel zu diesem Verfahren war es allerdings schon möglich, Mietanfragen an den damaligen Verwalter des Gebäudes, die BIM GmbH zu richten. Zu den eingereichten Vorschlägen gehörte unter anderen die Idee, in einem der Kopfbauten ein queeres Hostel einzurichten, samt dazugehörigem Club und Kontaktbörse. Darüber hinaus wurden in einem Bürgerdialog 350 Vorschläge gesammelt, viele davon verknüpft mit der Fortführung der Flughafennutzung. Blickt man zurück auf diesen Call for Papers, so kam das einzige ernst zu nehmende, separat eingereichte Angebot von dem New Yorker Kosmetikmilliardär Ronald S. Lauder, der aus dem Flughafen ein ambulantes Gesundheitszentrum machen wollte, dies allerdings an den Fortbestand des Flughafens als Privatflughafen gebunden hatte. Lauder scheiterte am Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der eine wie auch immer geartete Nutzung als Flughafen ausschloss. Ob sich bei dem Interessenbekundungsverfahren weitere potentielle Investoren eingefunden hätten, lässt sich nicht sagen, denn mit der über zehn Jahre laufenden Zusage an die Bread & Butter, die vor Ende des Verfahrens gegeben wurde, war das gesamte Procedere unterwandert, und die Frage nach dem Warum ging in den Schlagzeilen über die Ankunft der Modemesse unter.
Eventnutzung
Damit war die Zeit der Events in Tempelhof eingeleitet, die heute vor allem den Hangars temporäre Großveranstaltungen beschert. Die Bread & Butter belegt die von ihr angemieteten 60.000 Quadratmeter nur für wenige Wochen im Jahr. Zum Eventcharakter der Messe gehört, dass sie sich mit jeder Veranstaltung „neu erfindet“ und daher an einer beständigen Adressbildung schon per se nicht interessiert ist. In den von ihr gemieteten Bereichen nimmt sie deshalb keine permanenten Veränderungen vor. Stattdessen werden für jede Phase neu temporäre Einbauten in den Hangars und auf dem Rollfeld erfunden, die danach wieder entfernt werden. Eine Ausnah­me bilden die Raumabschlüsse der Flugsteige (Bauwelt 6.2010). 2019 laufen die Verträge mit der Bread & Butter aus – ein Konflikt mit der IGA 2017 ist vorprogrammiert (siehe auch Seite 46/47). Die Mieten spielen einen Teil der Unterhaltskosten ein.
Mit diesen und ähnlichen Nutzungen entwickelt sich der Flughafen zurzeit zu einem messeähnlichen Veranstaltungsort. Die landeseigene Tempelhof Projekt GmbH, die für die Vermietung und Verwaltung des Gebäudes zuständig ist, bewirbt es auch in diesem Sinne als Kulisse für Veranstaltungen. Darüber hinaus wird an einem längerfristigen Nutzungskonzept gearbeitet. Im linken, zur Stadt hin geöffneten Flügel des Kopfbaus, in dem das Hotel der U.S. Air Force untergebracht war, soll demnächst das Internationale Design Zentrum als Ankernutzung einziehen – das Stichwort „Kreativzentrum“ bekommt dann ein Aushängeschild.
Der größte konstante Mieter ist die Polizei – als Berliner Urgestein schon seit dem Flugbetrieb im Gebäude, belegt sie den gesamten rechten Kopfbau. Dies wird langfristig auch so bleiben. Zu den „alten“ Mietern gehört auch das Landeskriminalamt, daneben gibt es diverse Werkstätten, eine Tanzschule und sogar einen Kindergarten. Gerade den neuen Mietern aus der Kreativszene, die man ja eigentlich gewinnen will, fehlen eindeutig identifizierbare Orte, die gut zugänglich sind und die die neuen Nutzungen auch nach außen repräsentieren können.
Der Bau, der im zweiten Weltkrieg nicht fertiggestellt wurde, hat von Anfang an zusätzliche Nutzungen aufgenommen. Dies begann bei den Nationalsozialisten, die den Flughafen-Rohbau nie als Flughafen genutzt haben, sondern ab 1939 mit Zwangsarbeitern in den Untergeschossen Waffen und in den darüber liegenden Hallen Flugzeuge produzierten und den Bau ab 1940 teilweise auch als Luftschutzbunker benutzten, während nebenan der alte Flughafen weiter in Betrieb blieb. Dies galt aber auch für die U.S. Air Force, die hier zwischen 1947 und 1993 mit ihrem zweitgrößten deutschen Militärstützpunkt stationiert war.
Was tun mit dem Dach?
Zur fehlenden Adressbildung aufgrund der monumentalen Fassade kommt die schwierige Erschließungssituation. Viele Bereiche sind nur über den Mittelbau vom Platz der Luftbrücke aus zu erreichen – Ausgangspunkt für endlose Fluchten von Gängen. Die riesigen Treppentürme, die die Stadtfassade über die gesamte Länge gliedern, erschließen die den Hangars vorgelagerten Büroräume und theoretisch auch die Dachflächen. Doch die meisten von ihnen befinden sich seit 70 Jahren im Rohbau und sind nicht zu benutzen.
Langfristig wird es nicht reichen, in einem chronologischen Endlos-Puzzle Stück für Stück immer neue Teile des Gebäudes an Firmen oder Investoren zu vermieten, die auf irgendeine Art zu einer Thematik passen, deren Konzeption nach und nach entwickelt wird. Natürlich fasziniert der Sagebiel-Bau ob seiner schieren Größe. In der Realität präsentiert er sich aber als nahezu unzugänglicher, hermetisch geschlossener und für viele Nutzungen äußerst unpraktischer Koloss, und städtebaulich bildet er eine veritable Barriere zwischen Stadt und Feld. Wenn der Bau eine Chance haben soll, braucht es ein grundlegendes Konzept und eine politische Zielsetzung, wie man zum einen mit den wechselnden, zum anderen mit den langfristig möglichen und denkbaren Nutzungen um­gehen will. In jedem Fall muss an der Lesbarkeit und der Erschließung des Gebäudes gearbeitet werden. Die direkten Verbindungen zwischen Stadt und Gebäude sind ungelöst. Ganz eigene Fragen wirft zudem ein Teil des Gebäudes auf, der auf den ersten Blick nicht einmal ins Auge fällt, obwohl er ganz besondere Möglichkeiten böte – das Dach. Die Dachkonstruktion war unter den Nationalsozialisten als sogenanntes Luftstadion für das Tempelhofer Feld geplant; 80.000 Besucher sollten hier Platz finden. Entsprechende Baumaßnahmen vor­ausgesetzt, zu denen das Anbringen von Geländern, der Schutz der Dachhaut und die Bereitstellung von Fluchtwegen gehören, wäre eine Dachnutzung heute durchaus vorstellbar, wenn auch mit viel geringeren Besucherzahlen. Rein theoretisch stehen 100.000 Quadratmeter Terrassenfäche zur Verfügung. Räumlich gesehen liegt der Vorteil dieses Orts darin, dass er einen Überblick über den monumentalen Baukörper ermöglicht, der aufgrund seiner konvexen Form von der Stadtseite aus immer nur in Abschnitten wahrgenommen werden kann. Ob man diesen Überblick auf den Monumentalbau überhaupt haben will, sei einmal dahingestellt. Sicher ist aber eines: Wenn auf dem Flugfeld 2017 die Internationale Gartenbauausstellung ausgerichtet wird, stünde hier oben ein fantastischer Aussichtspunkt auf den Park zur Verfügung.



Fakten
Architekten Sagebiel, Ernst, (1892-1970)
Adresse Platz der Luftbrücke 5, 12101 Berlin


aus Bauwelt 36.2011
Artikel als pdf

0 Kommentare


loading
x

7.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.