Bauwelt

Institutsgebäude der Universität Alcalá


Eine Maske fürs Labor


Text: Cohn, David, Barcelona


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    Foto: Montse Zamorano

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Der spanische Architekt Héctor Fenández Elorza hat das neue Gebäude des Instituts für Zellbiologie und Genetik der Universität Alcalá gebaut. Das zu ergänzende Bestandsgebäude versteckte er hinter einer Maske aus Beton
Raue Materialien, einfache Formen und ein geschicktes Spiel mit Größenverhältnissen: Damit verleiht der Architekt Héc-tor Fernández Elorza selbst kleinen Projekten dramatische Wirkung. Das Gebäude für das Institut für Zellbiologie und Genetik der Universität Alcalá auf dem 36 Kilometer östlich von Madrid gelegenen Campus zeigt, wie das geht. Zwei waagerechte Schnitte über die gesamte Betonfassade, gefasst von weit vorspringenden breiten Gesimsen, erinnern an einen primitiven, abstrakten Mund oder ein Auge. So wird der kleinformatige Bau zu einer geheimnisvollen, bildhaften Maske. Ein zweigeschossiges Gebäude auf dem Areal eines ehemaligen Militärflughafens aus den 1940er Jahren wurde erneuert und erweitert. Trotz seines deutlich maroden Zustands und seines eher geringen architektonischen Werts, stand der schlichte Betonbau in Teilen unter Bestandsschutz. Das bestehende Gebäude wurde für neue Labore der beiden Fachbereiche umgenutzt und durch einen Neubau ergänzt, in dem Verwaltung, Seminarräume und ein Sitzungssaal untergebracht sind.
Vorne neu, dahinter alt
Der Architekt entwirft den kleinen Ergänzungsbau mit einer ganzen Menge gestalterischen Geschicks. Ein über die gesamte Länge reichender Lichthof setzt den Neubau vom Bestand ab. Die neuen Räume werden von langen, längs der Hoffassade verlaufenden Korridoren des Altbaus aus über eine Reihe von Brücken erschlossen. Das Gebäude selbst ist damit nicht mehr als eine schmale, nur raumtiefe Scheibe. Beim Altbau wurden die ursprünglichen Außenwände der Flure aus Beton zurückgebaut. Die neuen Flurfassaden wie Brücken erhielten die gleiche Verkleidung aus transluzenten Kunststoffpaneelen, damit gedämpftes Tageslicht in die Räume strömt.
Die neue Konstruktion – von der Bodenplatte, der Hauptfassade bis zu den Zwischenwände der Büroräume  – wurde komplett aus Ortbeton gegossen, den man roh beließ. Vier quergestellte Stützscheiben im Abstand von je zwölf Metern heben den neuen Vorbau vom Boden. Zusätzlich kragen beide Gebäudeenden dramatische neun Meter weit aus. Zwischen die Scheiben sind zwei ebenerdige, zu beiden Seiten vollflächig verglaste Seminarräume gestellt. Der dritte Zwischenraum bleibt offen. Er verbindet den Lichthof mit der Straße und bietet vom Erdgeschoss-Korridor des Altbaus Ausblicke auf den gegenüber liegenden Park. Auch die beiden lang gestreckten waagerechten Sichtschlitze der Verwaltungsbüros sind so angeordnet, dass sie – im Sitzen – den Blick über den Park ermöglichen. Als Gegenpart zum verschatteten Blick aus dem horizontalen Einschnitt in der südwestlichen Hauptfassade, bietet eine vom Boden bis zur Decke durchgehend verglaste Fensterfront den freien Blick auf den Innenhof und sorgt außerdem für indirekten Tageslichteinfall aus nordöstlicher Richtung. Der Besprechungsraum im Obergeschoss dagegen wird auch zur Straßenseite hin mit einer deckenhohen Sichtscheibe abgeschlossen; für den so notwendigen Schatten sorgt hier ein vorspringender L-förmiger Dachabschluss – der an eine Hand erinnert, die das Auge gegen die Sonne schützt.
Im Altbau musste die Konstruktion mit Winkeln und Unterzügen aus Stahl verstärkt werden, Teile des ursprünglichen Fußbodens wurden gegen Komposit-Platten aus Stahlblech und Beton ausgetauscht. Außerdem legte der Architekt die Konstruktion frei. Dafür entfernten sie abgehängte Decken und weitere nachträglich eingebaute Verkleidungen. Die Haustechnik, von den unter den Decken verlaufenden Lüftungsrohren über die Führungen für Datenkabel und Stromversorgung bis hin zur Beleuchtung (meist unverkleidete Standard-Neonröhren), bleibt sichtbar. Die Türen sind aus beschichtetem Stahl, die Fenster erhielten einen Schutz aus weit auskragenden Stahlhauben.
Die Materialien, die ins Auge fallen, sind in erster Linie roher Beton, galvanisierter Stahl, Glas und milchige Kunststoffpaneele. Die Außenwände des Neubaus wurden von innen isoliert und mit Glasfaserbeton-Paneelen verkleidet, die optisch dem Sichtbeton angepasst sind. Die schmalen Fensterschlitze der Büros lassen sich für eine Querlüftung öffnen, und entlang der Außenwände hat der Architekt hier außerdem tiefe Stellagen aus Stahl verbaut, eine davon auf Sitzhöhe.
Elorzas direkter, ungezierter Umgang mit dem Material lässt sich besonders eindrücklich an den gefliesten Wänden der Labore und Waschräume ablesen. Nach dem Vorbild der von ihm studierten Arbeiten Gunnar Asplunds hatte Elorza es sich zum Ziel gesetzt, die Fliesen ohne Verschnitt zu verlegen. Handlungsspielräume für die Handwerker ergaben sich nur über die Fugenbreiten, wobei hier mit dem starken Kontrast von weißer Keramik und schwarzem Fugenmörtel gearbeitet wird. In den Waschräumen im Obergeschoss werden die gefliesten Wände zudem durch überdimensionierte Oberlichter wirkungsvoll ausgeleuchtet –  auch hierzu ließ sich der Architekt von Asplund inspirieren.
Eigenwillige, durchaus elegante Details sind darüber hinaus die vertikal gespannten Kabelstränge, die als eine Art Geländer dienen, und sich im Leerraum zwischen den beiden Treppenläufen nach oben ziehen. Für die Außenbeleuchtung dienen halboffene Stahlrohre, in deren Innenwandung die elektrischen Leitungen offen verlegt wurden. Am oberen Ende befindet sich eine Fassung für eine wetterfeste Neonröhre. Alle diese Sonderlösungen verweisen auf das sehr begrenzte Budget, doch ganz offensichtlich schätzt Elorza diese Einfachheit bei den Detaillierungen.
Spanische und skandinavische Einflüsse
In seiner Dramaturgie aus klarer Geometrie, natürlichem Lichteinfall und den sichtbar belassenen konstruktiven Materialien lehnt sich Elorzas Entwurf eng an die Arbeiten seiner Madrider Lehrer an. Insbesondere an Alberto Campo Baeza und den jüngeren Jesús Aparicio, mit er das Dokumentationszentrum für Architektur Las Arquerias in Madrid entworfen hatte (Bauwelt 21.2004). Doch während Campo Baeza vor al-lem für die elegante Strenge und den Minimalismus seiner Formen bekannt ist, gehört Elorza zu einer Generation von dessen Schülern (darunter José María Sánchez García, María Hurtado de Mendoza oder Iñaqui Carnicero), die neue Wege gingen, um Baezas immateriellen Abstraktionen zusätzlich skulpturales Gewicht und Kraft zu verleihen.
Das Besondere bei Elorza ist wohl auch die bereits erwähnte starke Prägung durch die Architektur Skandinaviens. Schon während seiner Studienzeit an der ETSAM Madrid hatte sich Elorza an der Königlich Technischen Hochschule Stockholm  intensiv mit den Arbeiten von Asplund und von dessen Schüler Sigurd Lewerentz auseinandergesetzt. Von Asplund und Lewerentz, so Elorza, habe er zwei Lektionen gelernt, die fundamental für die eigene Arbeit seine. Die erste lässt sich daran ablesen, dass der Gesamtentwurf mit der  Grundrissorganisation für ihn zweitrangig ist und stattdessen den haptischen Qualitäten der Materialien erste Priorität zukommt – auch wenn der Architekt den Schwerpunkt von der fein ziselierten schwedischen Handwerkskunst in Holzverarbeitung und Maurerwerk auf die etwas rüdere Low-budget-Realität öffentlichen Bauens in Spanien überträgt.
Von Aplund und Lewerentz lernte er auch, nach der „besonderen Möglichkeit“ in jedem Projekt Ausschau zu halten, die sich im Allgemeinen in Form eines Problems darstelle. Für das Biologie-Gebäude bestand offenbarte es darin, dass die besten Ausblicke zum Park nach Westen hin wiesen – also genau  in die Richtung, aus der die harsche Sonneneinstrahlung kommt. Durch die Rahmung der schmalen Fenster mit tiefen Beton-Gesimsen und deren fast schon muskulöser Wirkung, wurde das Problem zu einer besonderen Möglichkeit, der Fassade ihren einzigartigen Ausdruck,  einer Maske gleich, zu verleihen.
Obwohl es sicherlich nicht passend wäre, Elorzas Arbeit in irgendeiner Hinsicht als skandinavisch zu bezeichnen, verweist der Sinn für Drama und Mysterium, der dem neuen Institutsgebäude inne wohnt, doch auf die Atmosphäre surrealer symbolischer Anspielungen, die in manchen Arbeiten von
Asplunds mitschwingt. Zugleich fühlt man sich an die düsteren, maskenhaften Architekturzeichnungen von John Hejduk oder Arbeiten Marcel Breuers aus seiner brutalistischen Phase erinnert – eine kleine Dosis Existenzangst, die aus dem diffusen Licht des europäischen Nordens in das gnadenlose Extrem aus Licht und Schatten des kastilischen Hochlands Spaniens hinüber reicht.
Aus dem Englischen von Agnes Kloocke



Fakten
Architekten Héctor Fenández Elorza, Madrid
Adresse Alcalá de Henares, Calle 33, Madrid, Spanien


aus Bauwelt 29-30.2014
Artikel als pdf

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