Bauwelt

Façade parlante


Museum für Architekturzeichnung


Text: Kil, Wolfgang, Berlin


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Denkbar unverblümt lassen Sergei Tchoban und Sergey Kuznetsov die Hülle ihres Museums für Architekturzeichnung in Berlin-Prenzlauer Berg vom Inhalt des Hauses erzählen. Die Sichtbetonfassade ist mit einem Relief aus Zeichnungs­fragmenten dekoriert.
Nur zehn Meter breit und zwölf Meter tief ist der Bauplatz, aber die Lage ist unübertrefflich: Berlin-Prenzlauer Berg, Teutoburger Platz, direkt am Zugang zum Kulturareal Pfefferberg. Wo inzwischen Künstler wie Olafur Eliasson ihre Ateliers betreiben, hat direkt neben dem Architekturforum Aedes nun auch Sergei Tchoban gebaut, und zwar auf eigene Rechnung: Für seine schon im DAM und in der Eremitage gezeigte Sammlung von Architekturzeichnungen (Bauwelt 45.12) hat der aus St.Petersburg stammende, inzwischen überwiegend in Berlin tätige Architekt sich jetzt ein eigenes Museum geleistet. Er will dort einer interessierten Öffentlichkeit historische, aber auch zeitgenössische Glanzstücke des sonst wenig beachteten Genres „Architekturzeichnung“ näherbringen.
Der viergeschossige Neubau mit gläsernem Dachpavillon setzt der angrenzenden Mietshausreihe einen aufsehenerregenden Endpunkt, zugleich wirkt er wie ein großer, maßgeschneiderter Sammlerschrank. Die minimale Grundfläche zwingt zu äußerster Verknappung, neben Treppen- und Aufzugsschacht gibt es pro Geschoss nur einen Raum: Im Erdgeschoss ist zuerst ein etwas edelholzlastiges Entree zu passieren, darüber erreicht man die zwei Ausstellungsebenen. Das nichtöffentliche Sammlungsdepot befindet sich im dritten Geschoss. Ganz oben lässt sich aus der rundum verglasten Dachkanzel und von zwei Austritten ein Panoramablick über die Dächer des Prenzlauer Bergs genießen; leider bleibt dieser privilegierte Ausguck nur internen Zusammenkünften von Tchobans Stiftung und besonderen Gästen vorbehalten. Die aufwendige Haustechnik, die für raumklimatische Bedingungen höchsten Anspruchs sorgt, ist im Keller verstaut.
Um die Eröffnung seines Hauses gebührend zu feiern, hat Sergei Tchoban den Paestum-Zyklus von Giovanni Battista Piranesi nach Berlin geholt. Die fünfzehn Blätter aus dem Bestand des Londoner Sir John Soane’s Museum sind noch nie zusammenhängend in der Öffentlichkeit zu sehen gewesen. In höchster Opulenz hängen die wenigen Großformate nun über beide Ausstellungsebenen verteilt, und nach kurzer Gewöhnung an die matten Lichtverhältnisse kann man sich fasziniert in die zahllosen Details der oft amüsant belebten Ruinenlandschaften vertiefen. Die Rauheit der Papiere wie die Sprödigkeit der Tintenspur verströmen dabei eine Aura, die kein noch so perfektes Druckverfahren zu reproduzieren vermag. Das Sammlungshaus erweist sich als wahre Schatzkammer; für Kenner und Liebhaber der Architekturzeichnung hat Berlin einen wichtigen Ort gewonnen.
Was an dem Bau beim ersten Anblick manieriert wirkt – die klötzchenhaft verdrehte Stapelung der Geschosse – erweist sich nach Kenntnis seines Innenlebens als überraschend funktional begründet. Wie bei Sammlungshäusern dieser Art unverzichtbar, sind die Schauräume fensterlose Cubes. Nun sind völlig kistenförmige „Einräume“ für die Ausstellungsregie aber oft zu dröge, weshalb man nach Anlässen zur Gliederung der langen kahlen Wände gesucht hat: Also gibt es im ersten Obergeschoss eine Nische, im zweiten wurde die Längswand leicht geknickt. Und genau diese Abweichungen treten im Außenbild hervor; wer schon drinnen war, mag sich beim Rückblick an die Interieurs erinnern. Und sogar an das Befinden sensibler Kunstfreunde wurde gedacht: Am Ende des Rundgangs kann man sich auf einer verglasten Außenloggia nach dem langen Aufenthalt in Blindräumen unter Dämmerlicht entspannen.
Noch umstrittener als die Stapelfigur dürfte die Wahl des Fassadendekors sein: Mithilfe eines aufwendigen Verfahrens wurden digital bearbeitete Fragmente historischer Zeichnungen auf die sehr feinen Betonoberflächen übertragen, die zudem in ihrer Färbung vergilbtes Pergament assoziieren sollen. Mit solch überdeutlichem Verweis auf den Daseinszweck des Hauses wagt Sergei Tchoban einen weiteren Schritt auf seiner Suche nach einer zeitgenössischen Architecture parlante. Einst ließ er eine riesige Rasterfassade mit einem langen Döblin-Zitat beschriften und überraschte damit die Passanten am Berliner Alexanderplatz. Auch mit den folklorebunten Figuren aus Strawinskys Ballett „Petruschka“ an einem Petersburger Geschäftshaus hat er sich schon früher nicht um puristische Bilderverbote geschert. An der radikalen Erzählabsicht seiner Bauten scheiden sich die Geister. Doch erst wenn man die akzeptiert, ist überhaupt darüber zu befinden, ob das für das Museum gewählte Verfahren, feinste Federstrichkunst in strapazierfähiges Betonrelief zu übersetzen, denn auch überzeugend gelungen ist – technologisch wie ästhetisch. 



Fakten
Architekten SPEECH; Tchoban, Sergei, Moskau, Berlin; Kuznetsov, Sergey, Moskau
Adresse Christinenstraße 18 10119 Berlin ‎


aus Bauwelt 28.2013
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