Bauwelt

Arena Amazônia



Text: Schulz, Ole, Berlin


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    Für einige Manauaras ein weißer Elefant: Das neue Sta­-dion soll Ende 2013 er­öffnet werden, das Foto entstand im November
    Foto: Carla Lima

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    Für einige Manauaras ein weißer Elefant: Das neue Sta­-dion soll Ende 2013 er­öffnet werden, das Foto entstand im November

    Foto: Carla Lima

Den ganzen Tag hängen schwere Wolken über Manaus, und dennoch ist es feuchtheiß. Als die Führung über die Großbaustelle der „Arena da Amazônia“ um 15 Uhr beginnt, reißt der bedeckte Himmel auf, und das Thermometer klettert auf 35 Grad.
Sofort klebt die Kleidung am Körper, und es ist keine angenehme Vorstellung, man müste nun 90 Minuten über den Rasen rennen.
Vier Vorrundenspiele der Fußball-WM 2014 werden hier stattfinden, drei davon sind nach der Gruppenauslosung auf den frühen Abend vorverlegt worden, um den Sendern und Zuschauern in Europa entgegen zu kommen. Dass für den Ausgang der WM in Brasilien der Austragungsort mitentscheidend ist, steht damit fest.
Im Amazonas-Stadion sieht es Anfang November so aus, als könnte es noch etwas dauern, bis der rund 224 Millionen Euro teure, hochmoderne Bau für 43.500 Zuschauer fertiggestellt ist. Ein großer Teil der farbigen Schalensitze fehlt, ebenso wie die Dachkonstruktion aus transluzentem Glasfasergewebe. „89 Prozent der Arbeiten sind abgeschlossen“, sagt Eric Gamboa vom lokalen WM-Organisationskomitee, und auch die ausführende Baufirma Andrade Gutierrez soll „ganz entspannt“ sein. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff das Stadion wie vorge­sehen Ende Dezember feierlich einweihen soll.
Geplant und durchgeführt wird der Stadion-Bau von gmp Gerkan, Marg und Partner, von Planern also, die das Aufgabenfeld gut kennen. Sowohl Stadien zur WM in Südafrika 2010 als auch zur EM 2012 in Polen und der Ukraine wurden von den Hamburger Architekten gebaut. Ihre Handschrift lässt sich an der ungewöhnlichen Struktur der Amazonas-Arena schon jetzt gut erkennen: Von außen erinnert das Stadion an einen geflochtenen Obstkorb, der in dieser Region typisch ist – gmp nennt das eine Referenz an „die Faszination und die natürliche Formenvielfalt des tropischen Regenwalds“ und setzt auf eine „ganzheitliche ökologische Konzeption“. Unter anderem soll das Regenwasser gesammelt werden, um es für die Toiletten zu nutzen. Andererseits sollen die VIP-Lounges, die den gesamten Mittelrang einnehmen, klimatisiert werden. Ob am Ende die Wassermassen der sintflutartigen Regenfälle tatsächlich von dem eigens entwickelten Drainage-System aufgefangen werden können, wird man sehen. Das Projekt ist aufgrund der natürlichen Bedingungen im Amazonasgebiet jedenfalls auch für gmp eine Herausforderung, die an Werner Herzogs Spielfilm „Fitzcarraldo“ denken lässt. So musste das meiste Baumaterial über Tausende Kilometer herangeschafft werden, zum Teil per Flugzeug, zum Teil mit Schiffen.
Manaus ist zweifellos der exotischste und vielleicht auch der absurdeste WM-Ort in Brasilien. Die einstige Kautschukmetropole liegt rund 4500 Kilometer von Rio de Janeiro und São Paulo entfernt, mitten im Regenwald. Sie hat durch ihre Freihandelszone wieder eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung erlangt. 80 Prozent der in Brasilien produzierten Elektronikartikel sollen hier hergestellt werden. „Nacional“ und „Atlético Rio Negro“, die beiden großen Klubs der Stadt, spielen allerdings nur in der vierten Liga Brasiliens. Zu den Spielen der Meisterschaft des Bundesstaates Amazonas kamen dieses Jahr durchschnittlich 807 zahlende Zuschauer – mit ihnen wären nur zwei Prozent der Sitze im neuen Stadion belegt. Die monatlichen Unterhaltskoste für die Arena nach der WM werden auf 500.000 Reais (ca. 220.000 Euro) geschätzt. Wie das Stadion angesichts dieser Zahlen sinnvoll genutzt und finanziert werden soll, weiß bisher niemand so richtig. Tatsächlich war kurzzeitig überlegt worden, hier übergangsweise ein Gefängnis einzurichten. Nun solle es künftig, sagt Eric Gamboa, als Multifunktionsarena dienen, hier könnten Konzerte und andere Großveranstaltungen stattfinden. Gamboa hofft, dass das Stadion zum neuen Wahrzeichen von Manaus wird und Touristen anlockt.
Die Amazonas-Arena, etwa sieben Kilometer vom Flughafen auf halbem Weg ins Stadtzentrum gelegen, wird im Viertel Flores errichtet, einer Mittelklasse-Wohngegend im Süden von Manaus. Hier musste niemand umgesiedelt werden wie beim Bau anderer WM-Stadien in Brasilien. Doch Aktivisten und die einheimische Presse bezeichnen die neue Arena als ein nutzloses Prestigeobjekt. Natalia Caplan, Redakteurin der Tageszeitung „Em Tempo“, spricht von einer „Verschwendung öffentlicher und privater Mittel“. In einem Land mit „prekären öffentlichen Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Sicherheit“ hätten die Gelder anderswo sinnvoller investiert werden können. Für Leanderson Lima, Leiter des Sportressorts der Zeitung „A Crítica“, steht fest, dass „die große Chance verpasst wurde, im Zuge der WM-Vorbereitungen die Lebensbedingungen der Bewohner von Manaus zu verbessern“. Gerade der „chaotische öffentliche Nahverkehr“ und das städtische Verkehrssystem hätten ausgebaut werden müssen.
Ein Blick vor das Stadion genügt, um nachzuvollziehen, wovon Lima spricht: Die Avenida Constantino Nery, eine der Hauptverkehrsachsen der Stadt, ist oft durch Staus blockiert. Darum fordert auch das lokale „Comitê Popular da Copa 2014“, dass die versprochenen Verbesserungen im öffentlichen Nahverkehr noch umgesetzt werden. Doch das „Basiskomitee“, das die WM-Vorbereitungen kritisch begleitet, ist skeptisch. Nach der ursprünglichen Planung sollten in Manaus bis zur WM zwei Milliarden Reais (circa 880 Mio. Euro) in den Ausbau der städtischen Verkehrsinfrastruktur gesteckt und unter anderem ein Schnellbussystem mit eigenen Fahrspuren sowie eine moderne Stadtbahn in Betrieb genommen werden. Inzwischen wurde die Investitionssumme allerdings halbiert und die Bauzeit bis zum Jahr 2020 verlängert. Was bis dahin umgesetzt sein wird und ob dann der öffentliche Nahverkehr davon profitiert, ist ungewiss.
Viele „Manauaras“, wie die Bewohner von Manaus genannt werden, trauern dem „Vivaldão“ nach, dem 1970 errichteten al-ten Stadion, das dort stand, wo die Amazonas-Arena gebaut wird. Doch auch ohne Vivaldão hat Manaus fußballerisch bis heute etwas Außergewöhnliches zu bieten, das nichts mit der Welt kommerzialisierter sportlicher Großereignisse zu tun hat: das „Peladão“. Das traditionsreiche „große Straßenfußballspiel“ ist das wohl ungewöhnlichste Amateurfußballturnier der Welt. Über vier Monate treten dabei mehrere hundert Mannschaften aus dem Bundesstaat Amazonas gegeneinan­-der an, darunter auch indianische Teams. Am Ende gewinnt in Manaus nicht unbedingt die Mannschaft mit den besten Ergebnissen. Jedes Team hat eine junge Schönheitskönigin dabei, die eine fußballerische Niederlage auf dem Laufsteg noch in einen Sieg umwandeln kann.



Fakten
Architekten gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner, Hamburg
Adresse Avenida Constantino Nery, 4455-4801 - Flores Manaus - AM, Brasilien ‎


aus Bauwelt 48.2013
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