Bauwelt

Water Gypsies

Transformation nomadischer Wohnformen in Dhaka

Text: Zeiske, Christina, Berlin

Water Gypsies

Transformation nomadischer Wohnformen in Dhaka

Text: Zeiske, Christina, Berlin

Sieben Prozent der Fläche Bangladeschs sind von Wasser bedeckt. Auf diesem Netz aus Flüssen und Kanälen leben die Bede, muslimische Flussnomaden, seit über einem Jahrtausend. Das immer extremer werdende Klima, aber auch der zunehmende Bau von Dämmen und Schleusen machen das Befahren der Flüsse inzwischen oft zu gefährlich. So verlegen die Bede ihr Leben Schritt für Schritt auf festen Boden. Die Wohn-Architektur ihrer Boote übertragen sie auf die Behausungen am Ufer
Dhaka, die sich mit enormer Geschwindigkeit verändernde Metropole, ist ein Laboratorium spontan auftauchender und ebenso schnell wieder verschwindender, teilweise symbiotischer räumlicher Situationen. Das betrifft sowohl die Entstehung ungeplanter, als auch die Weiterentwicklung geplanter Strukturen. Räumliche Veränderungen, die in europäischen Städten Jahrzehnte dauern, finden hier gegenwärtig in kurzen Zeiträumen statt. Besonders die ungeplanten Strukturen bieten Gelegenheit, die Entstehung von Veränderungsprozessen und deren Gesetzmäßigkeiten zu erforschen.
Eine dieser Siedlungen ist die der Bede. Die Bede sind eine mehr als 1000 Jahre alte Volksgruppe, die im 17. Jahrhundert ihrem König Ballal Raja aus dem heutigen Myanmar über die Flusswege nach Bengalen folgte. Sie wurden nach und nach islamisiert und zogen in die Nähe von Dhaka, von wo aus sie sich in weite Teile Bangladeschs und Assams bewegten. Die Bede selbst sind der Auffassung, dass ihre Wurzeln arabische sind und ihr Name Bede sich vom arabischen Wort Beduine ableitet. Wie diese sind sie Nomaden, die allerdings größtenteils auf dem Wasser reisen. Ihren Lebensunterhalt verdienen sie mit dem Verkauf von Kochutensilien, selbst hergestelltem Muschel- und Perlenschmuck, Fisch, Gewürzen und Heilkräutern. Sie führen Shows mit Tieren auf, in denen sie auch magische Tricks zeigen, sie praktizieren Wahrsagerei und beschwören Schlangen. Acht bis zehn Monate im Jahr, von April bis Dezember, leben die Familien überwiegend auf Booten oder in Zelten und bereisen entlang der Wasserwege verschiedene Regionen Bangladeschs. Zu Beginn der Trockenzeit kehren sie für die Dauer von etwa zwei Monaten an einen permanenten Siedlungsort zurück.
Dieser Rhythmus verändert sich jedoch derzeit. Als eines der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder leidet Bangladesch verstärkt unter den Folgen sich verändernder Wettermuster. In den letzten Jahren traten unvorhersehbar starke Regenfälle im Wechsel mit Trockenperioden auf. Und auch das seit Jahrhunderten bestehende Netz aus Flüssen, Nebenflüssen und Kanälen, das sieben Prozent der Fläche des Landes einnimmt, verändert sich. Von ursprünglich 24.000 Kilometern sind mittlerweile nur noch 16.000 Kilometer während der Regenzeit und lediglich 6000 Kilometer während der Trockenzeit schiffbar. Die zunehmende Wasserverschmutzung, besonders hervorgerufen durch Abwässer der Industrie um Dhaka, neue Dämme und Schleusen sowie illegale Wasser­entnahmen machen das Befahren der Flüsse zunehmend gefährlicher, teilweise sogar unmöglich. Lebten zu Beginn der neunziger Jahre alle der 1,5 Millionen Bede auf dem Wasser, waren es 2002 nur noch etwa 800.000, bis zum Jahr 2009 nahm ihre Zahl um weitere 250.000 ab.
Vom Wasser aufs Land – Transformation einer Siedlungsform
Als die Bede vor etwa 25 Jahren begannen, sich permanent niederzulassen, entstand nördlich von Dhaka die Bede-Siedlung Tongi. Hier kann man heute neue Gebäudetypologien ganz unterschiedlicher Ausprägung studieren. Anfänglich wurden die Bootsdächer Jahr für Jahr während der Trockenzeit abgenommen und ans Ufer gebracht, um die Boote reparieren zu können. Doch in den letzten fünf bis sechs Jahren haben sich immer mehr Familien auf Dauer in Tongi niedergelassen. Sie ziehen das Leben an Land den Unsicherheiten auf dem Wasser vor. Ihr Broterwerb ändert sich auch, weil die Flüsse immer weniger befahrbar sind. Heute leben einige Bede ausschließlich auf Booten am Ufer, während sich immer mehr auf festem Boden niederlassen. So entwickeln sich allmählich aus den vormals temporär am Ufer platzierten Bootsdächern neue Gebäude-Typen, die, je nach Vorliebe ihrer Bewohner, mehr oder weniger formale und konstruktive Anleihen an traditionelle Elemente enthalten. Als Grundtypen lassen sich zwei Formen identifizieren. Dies sind einerseits die ursprünglichen Boote, andererseits die kubische Form, die sich kaum von den typischen selbst gebauten (Wellblech-)Hütten in Dhakas Armensiedlungen unterscheidet. Bei fast allen Varianten gibt es eine Plattform, die auf Stützen gelagert ist. Das Wohnen findet auf dieser Ebene und nicht direkt auf dem Boden statt. Dies liegt einerseits an der starken Hangneigung und andererseits an den wechselnden Flusspegeln. Die Konstruktion der Plattform wurde von der der Boote übernommen. Und auch ein weiteres bauliches Merkmal traditioneller Boote, das tonnenförmige Bootsdach, wird in verändertem Kontext und je nach Bedarf zu einem neu verwendeten Bauelement. Neben dem tonnenförmigen Typus gibt es kubische Hüttenformen, die ebenfalls auf Stützen gebaut sind. Die Maße der Hütten entsprechen teilweise denen der Boote. Es entsteht der Eindruck, als könnten sie leicht vom Ort weg bewegt werden.
Im Uferbereich finden sich eher leichter wirkende Bauten unterschiedlicher Größen auf hohen (Bambus-)Stützen, während die Gebäude entlang des Hanges, und damit weiter entfernt vom Ufer, bodennaher und tendenziell voluminöser erscheinen. Vereinzelt sind auch Sondertypen zu finden, was auch damit zusammenhängt, dass Familien mitunter ein Boot und eine Hütte besitzen. Als Baumaterial dienen häufig Bambus und andere günstige Materialien wie beispielsweise Kunststoffplanen und textile Stoffe. Metall, das in Dhaka allmählich den traditionellen Bambus als Baumaterial einfacher Hütten ablöst, ist für viele Bede unerschwinglich.
Die vorgefundenen Typologien der Bede zeigen, wie sich die „Ein-Raum-Behausung“ des Boots, in dem sich das Familien­leben der Bede traditionell organisierte, einer dauerhaften Siedlungsform annähert. Obwohl sich hier ähnlich „improvisierte“ und hybride Bauformen herausbilden, wie man sie auch in anderen Siedlungen armer Gesellschaftsgruppen in Dhaka findet, weist die Bede-Siedlung einen durchaus spezifischen Charakter auf. Es wäre zu wünschen, dass diese besondere Kultur der Bede auch in ihrem neuen, urbanen Kontext erhalten bleibt.

0 Kommentare


loading
x
loading

8.2024

Das aktuelle Heft

Bauwelt Newsletter

Das Wichtigste der Woche. Dazu: aktuelle Jobangebote, Auslobungen und Termine. Immer freitags – kostenlos und jederzeit wieder kündbar.