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Stillleben in Bewegung

Beobachtungen zur Raumgestaltung in den Filmen von Angela Schanelec

Text: Mehl, Isabel, Karlsruhe

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Marseille
Peripher Filmverleih

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Stillleben in Bewegung

Beobachtungen zur Raumgestaltung in den Filmen von Angela Schanelec

Text: Mehl, Isabel, Karlsruhe

Einsam, verkopft, suchend, flüchtig, verwinkelt, egozentrisch, kurzum: komplex. Bei Angela Schanelec reflektiert der Raum die inneren Zustände der Charaktere.
Oftmals sind Filme so schnell geschnitten, die Kamerafahrten so waghalsig und die Settings so schnell wechselnd, dass man erst nach dem Film die Ruhe findet innezuhalten. An die (Stimmung der) einzelnen Räume kann man sich danach in den seltensten Fällen erinnern. Doch die Geschichte kann man wiedergeben. Bei Angela Schanelec verhält es sich andersherum: Es gibt keine Geschichte, die nacherzählt werden könnte; zu schnell würde man sich in den Beziehungsnetzen und den vagen Momenten verheddern. Die einzelnen Sequenzen lassen sich hier Zeit, und so sezieren wir sie mit den Augen und lassen unsere Blicke über die Oberflächen der Möbel, die Strukturen der Wände und den Aufbau des Zimmers schweifen. Schanelec zeigt Räume. Und das für Zeitspannen, die Geschichten in uns entstehen lassen (können). Später erinnert man sich an Atmosphären, an das Licht im Raum, den Blick in das Zimmer und aus dem Zimmer, und vielleicht würde man die Umgebungen schildern, in denen sich die Protagonisten bewegen, um ein Gefühl für sie zu vermitteln.

Auf den ersten Blick wirken die Filme von Schanelec wie künstlich verlangsamtes und nachgestelltes Leben. Eine oft zitierte Kritik an ihren Filmen ist, dass in ihnen nichts passieren würde. Ja, Geschichten auf dem Silbertablett erwartet man hier vergeblich. Die Zuschauer sind an dem, was sie sehen, in viel größerem Maße beteiligt, als man es etwa aus Hollywood gewohnt ist. Gezeigt wird präzise gestaltetes Beobachtungsmaterial, aneinandermontierte Gedankenschnipsel über den Alltag und unser Erleben desselben. Dabei nimmt Schanelec immer wieder die zwischenmenschliche Kommunikation in ihren unterschiedlichen Ausprägungen unter die Lupe und lässt vieles unausgesprochen – als etwas im Raum Stehendes. Ihre mise en scène ist statisch, mit langen Einstellungen und wenig Schnitten. Trotz aller Flüchtigkeit des Films ist der von Schanelec eingefangene Raum ein entscheidendes Gestaltungselement, über das eine Brücke zwischen Zuschauer und Geschehen etabliert wird. Ihr spezieller Blickwinkel – bzw. der ihres langjährigen Kameramanns Reinhold Vorschneider – bringt die (Architektur der) Räume über den Bildausschnitt, Bildaufbau, Lichtsetzung etc. auf besondere Weise zum Sprechen. Den Räumen wird ein kommunikatives Element verliehen, was sie als beinahe zusätzlichen Akteur in der filmischen Narration verortet. Der Raum ist Bühne und Kommunikator zugleich, ein Aspekt, zu dem sich Angela Schanelec in Interviews immer wieder äußerte. Der Art und Weise, wie der Raum in diesem Sinne im Film eingefangen wird, soll hier nachgespürt werden.

Einige Streiflichter.


Marseille

Nachbar: Wo warst du denn?
Sophie: In Marseille.
N: Wieso gerade Marseille?
S: Ich hab mit jemand die Wohnung getauscht.
N: Ja?
S: Ja. aber sie war nicht hier. Ich versteh's auch nicht.
N: Aber du warst bei ihr.
S: Ja. Aber es war nicht ihre Wohnung, irgendein Ferienapartment.
N: Aber du hast nicht bezahlt?
S: Nein.
N: Nein, hier war niemand. Hätt' ich gemerkt.
 
Am rechten Bildrand erscheint eine Figur, sie bleibt stehen, beobachtet den Umbau der Couch in ein Schlafsofa, stellt ihre Tasche schließlich ab, Schlüssel wechseln die Besitzerin. Die Kamera bewegt sich während dieser Szene kaum, kein Schnitt stört die Beobachtung. Die Protagonistin Sophie, eine Fotografin aus Berlin, verbleibt durchgängig im rechten Bildraum, während Zelda, mit der sie ihre Wohnung in Berlin gegen die hier gezeigte in Marseille tauscht, zwischen Off- und On-Raum wechselt. Zelda bewegt sich in ihrer Rolle als Gastgeberin routiniert und scheint die Wohnung für und anstelle von Sophie zu durchwandern. Sie verkörpert hier Sophies inneres Spiegelbild. Die eierschalenfarbene Wand isoliert Sophie zusätzlich, indem sie sie grafisch vom Geschehen abtrennt und so die Statik ihrer Position unterstützt. Ihr innerer Zustand der Verunsicherung, Rastlosigkeit und ungewissen Erwartung wird hier in den Bildaufbau übersetzt. Das Publikum wird über die Langsamkeit der Szene in einen mit der Figur parallel ablaufenden Prozess der Eingewöhnung in einen neuen Raum geleitet. Und so fängt dieser an zu erzählen: Es ist ein Ferienappartement ohne richtiges Bett, aber mit Ausblick vom Balkon. Es gibt keine persönlichen Gegenstände, dafür einen Stadtplan von Marseille, den wir später sehen werden. Neben ihm wird Sophie ihre Fotografien von Marseille anbringen, um eine Spur zu legen, das Unpersönliche zu durchbrechen und sich den Raum zu eigen zu machen.


Mein langsames Leben


Valérie: Du hast immer noch keine Bilder an den Wänden.
Maries Kind: Ja, ich hab keine.
V: Willst du was von mir?
MK: Ja.
V: Willst du dir was aussuchen oder soll ich dir was malen?
MK: Wie du willst.
V: Wie du willst.
MK: Dann mal mir was.

Schicht um Schicht nähert sich die Kamera den beiden Protagonisten in Mein langsames Leben. Wir hören sie bereits, als wir noch mehrere Raumschichten von ihnen entfernt sind – eine Glastür, der Rücken am Tisch links im Bild dahinter, ein auf der Couch lesendes Kind und die Balkontür liegen noch zwischen Publikum und Protagonisten. Zu Beginn laufen beide Handlungsebenen, die hier räumlich gebündelt sind, parallel ab. Die beiden Handlungspaare interagieren, und wir hören und sehen beide – Mutter/Kind, Frau/Mann. Als das Gespräch zwischen Letzteren persönlicher wird (sie spricht über eine Verletzung an ihrer Hand), kommt die Kamera näher. Valérie, eine Architekturstudentin, ist gerade in dieses Haus gezogen, und bevor wir ihr Zimmer sehen werden, wird es bereits sprachlich thematisiert. Sie und Thomas lernen sich hier gerade kennen; er erwähnt beiläufig seine Scheidung, während der er in ihrem jetzigen Zimmer wohnte. Schließlich verlassen sie das Bild, und das Gespräch hallt auf dem verlassenen Balkon nach. Wir hören und sehen: große Fenster, im Sommer etwas heiß, aber Blick ins Grüne. Später werden sie ein Paar.


Nachmittag

Mutter: Und wo sind die Teppiche?
Sohn: Verkauft.
M: Das ist nicht dein Ernst.
S: Die sind in der Reinigung.
M: Ja was jetzt?
S: Ich hab sie verkauft. Aber wir kommen zurecht.
M: Und was hast du mit dem Geld gemacht?
S: Mama –
M: Das waren alte Teppiche.
S: Der in deinem Zimmer ist noch da.
M: Ja, aber was habt ihr gemacht mit dem Geld?
S: Gar nichts, Mama. Ja, was macht man mit Geld.
Später.
S: Wir konnten die Teppiche einfach nicht mehr sehen. Einfach nicht mehr sehen. Wir haben auch gar kein Geld dafür bekommen. Sie liegen auf Kommission in einem Laden.
M: Na, dann kann ich sie ja wieder abholen.
S: Wenn ich dir sage, wo der Laden ist, ja.

Die Terrasse in Nachmittag ist Fluchtpunkt des gesamten Films, der in einer Stadtrandvilla bei Berlin spielt. Er zeigt die dortige Ankunft der Schauspielerin Irene (gespielt von Schanelec selbst), deren Sohn Konstantin die meiste Zeit ohne sie dort zu wohnen scheint. Irenes erster Weg führt auf die Terrasse, die Sonnenbrille noch auf der Nase, blickt sie in den Garten. Meist treten die Figuren auf dieser Bühne »Terrasse« als Solitäre ins Rampenlicht, verharren sinnierend in ihrer Position – auf dem Geländer sitzend, in der Tür stehend oder in deren Rahmen lehnend. Dabei erinnert der Bildaufbau selbst stark an das Theater – die Ursache für diese Referenz könnte in Schanelecs ursprünglich theaterschauspielerischer Ausbildung liegen (und der Film ist an das Drama Die Möwe von Anton Tschechow angelehnt). Die unbewegte Kamera spiegelt die Bewegungslosigkeit der Figuren und verlagert den Blick von der Beobachtung zur Reflexion. Die Offenheit des Raums, die meist auf Distanz bleibende Kamera und die Gartengeräusche lassen einen Ruhepol entstehen, an dem viel geschaut und wenig gesprochen wird. Das eigentliche Geschehen findet im Innern der Figuren statt. Die offenen Terrassentüren und lichtdurchfluteten Räume der Szenerie kontrastieren dabei mit der inneren Verschlossenheit und Zurückgezogenheit der einzelnen Figuren. Die Protagonisten befinden sich in Transitprozessen – die Mutter ist aus der Stadt angereist und versucht später, ihren neuen Freund in diesen Ort zu integrieren, die Freundin des Sohnes befindet sich im Abnabelungsprozess von eben diesem, während Konstantin sich schreibend auf die Suche nach sich selbst macht.

Die Terrasse in Nachmittag ist der Küchentisch in Mein langsames Leben. Einmal klären die beiden Figuren sachlich ab, ob und wie sie gleich miteinander schlafen werden; das andere Mal treffen sie sich an selber Stelle nach ihrer soeben erfolgten Abtreibung. Die minimale Variation in Kameraposition und Kadrierung spiegelt die Korrespondenz beider Szenen. Bei hellem Licht wird die versteinerte Kälte eines sich voneinander entfernenden Paares offengelegt. Die Glastür macht die Zuschauer zu beinahe versteckten Betrachtern und lenkt ihre Aufmerksamkeit dabei umso gezielter.

Dieses Dirigieren des Blickes findet sich in anderen Filmen Schanelecs wieder, so z.B. bei der Rückkehr Sophies nach Berlin. Die Kamera ist auf die Wohnung ihres Nachbarn gerichtet. Dabei erinnert der zentralperspektivische Bildaufbau an die Malerei und lässt im Fluchtpunkt ein Bett mit Telefon erkennen. Später sehen wir Sophie beim Zähneputzen, während die Tür links im Bild das Licht der Morgendämmerung auf sie wirft. Das Zusammenspiel von hellen und dunklen Flächen, Leerräumen im Bild und der Zersplitterung der Kadragen inszeniert den Blick des Publikums, unterstützt dessen Eindruck, auf eine Bühne
zu blicken, und spielt bewusst mit Nähe und Distanz der Zuschauer. Und: Schanelec bewegt sich hier keinesfalls allein auf weiter Flur, sondern ruft Filmgeschichte wach, z.B. Jean-Luc Godards Le mépris (1963).

Stimmungsräume

Schanelecs Zugriff auf Räume ähnelt sich
durch ihre Filme hinweg; es lässt sich ein wiederkehrender Umgang mit Raumelementen
wie Türen, Wänden, Fenstern und Durchsichten beobachten. Ein Grund hierfür kann in ihrer Zusammenarbeit mit einer konstanten Crew liegen, zu der neben ihrem Kameramann auch die Schnittmeisterin Bettina Böhler gehört. Auch drehte sie bis zu ihrem Film Orly (2010), der am gleichnamigen französischen Flughafen spielt, oft in Wohnungen von Freunden, also
in ihr bekannten Räumen. Gerade dadurch ermöglichte sich ihr eine Zersetzung des Raums aus dem Inneren heraus – das glaubt man ihren Bildern anzusehen. So wie wir an Hochhäusern vorbeischlendern und über die von uns angenommene Kommunikationslosigkeit sinnieren, spiegelt Schanelec die Kommunikationsstarre im Bürgertum wider. Dabei richtet sie den Blick auf ein ihr bekanntes Milieu – sie spreche nur über das, was sie kenne, hat sie einmal gesagt. Doch ebenso, wie sie sich der Räume bedient, sind die Charaktere doch zu sehr Figuren, als dass es sich um reine Milieustudien handeln würde. Dazu ist auch ihre Erzählweise zu artifiziell und speziell (auch wenn sich sicherlich einzelne Parallelen zu anderen Regisseuren der Berliner Schule ziehen ließen, wie zum Beispiel zu Thomas Arslans Ferien, 2007). Gerade weil Schanelec nicht »realistisch« erzählt, keine Situationen aus dem Leben, sondern über das Leben schafft, bleibt ihre Auseinandersetzung mit der conditio humana übertragbar. Sie erzählt von menschlichen Zuständen.

Architektonischer und filmischer Raum (der die filmische Inszenierung des ersten beinhaltet, aber auch den psychologischen Raum der Figuren und des Publikums) gehen bei Schanelec eine Symbiose ein und verschmelzen miteinander. Der dabei entstehende Raum reflektiert die inneren Zustände der Charaktere – einsam, verkopft, suchend, flüchtig, verwinkelt, egozentrisch, kurzum: komplex – und macht sie sichtbar. Die dabei entstehende Atmosphäre hat Wiedererkennungswert. Die Auseinandersetzung mit ihren Filmen erfolgt in besonderem Maße darüber, welche Luft die Protagonisten atmen, in welchen Räumen sie agieren, wie das Licht ist, wo die Wände stehen und worauf der Blick der Akteure fällt. Hinzu kommt der Aspekt der Zeit: Denn gerade die Dauer der einzelnen Sequenzen, die im Filmbild vor unseren Augen vorüberziehende Zeit, macht diesen Raum im doppelten Sinne erst erfahrbar.

Reinhold Vorschneider nimmt bewegte Stillleben auf, deren Kadrierungen den Blick auf Bühnenbilder freigeben. Im Gegensatz zum Theater hat der Film die Möglichkeit, mit realer Architektur zu arbeiten. Hinzu kommen Mon- tage und Kadrierung als filmische Gestaltungsmittel, welche dem Theater beispielsweise nicht zur Verfügung stehen. Der spielerische Umgang mit Architektur, den der Film ermöglicht, legt einen anderen Blick auf sie frei. Schanelec entwickelt so eine eigene (Raum-)Sprache. Jenseits der Realnutzung »Wohnen und Arbeiten« wird den Gebäuden durch die filmische Narration zusätzliches Leben eingehaucht; sie eröffnet einen Blick darauf, was sich lange nach dem Richtfest in ihnen abspielt.

Der Bildraum selbst ist bei Schanelec keineswegs auch die Bühnenbegrenzung – nur allzu oft wird das Geschehen aus dem sichtbaren Raum in den unsichtbaren verlegt. In solchen Momenten gewinnt die Tonebene an Bedeutung, während die Blicke im Bildraum auf Wanderschaft gehen. Und: Sie arbeitet ausschließlich mit vor Ort aufgenommenem On-Ton. Es lohnt sich also auch, genauer hinzuhören, um ein Gespür für Angela Schanelecs Räume zu entwickeln und ihren Geschichten zu lauschen.


Aus einem Interview von Felix von Boehm und Julian von Lucius, 2010:

Ist ein Filmemacher immer auch ein Architekt?
Angela Schanelec: Nein, ich gucke ja nur.
Aber Sie entwerfen ja in gewisser Weise auch Räume.
AS: Ja, aber das ist trotzdem etwas anderes: Bei Architektur habe ich, wenn ich eine Baustelle in der Stadt sehe, oft das Gefühl: Mann! Was für eine immense Arbeit steht da jetzt bevor! (lacht) Und ein paar Monate später steht da ein Gebäude. Das finde ich immer noch frappierend. Deswegen würde ich Film und Architektur nie vergleichen. Ich hab’ noch nie etwas gebaut. (lacht) Das Beeindruckende an Gebäuden ist doch, dass sie Zeit überdauern sollen. Ein Film ist doch etwas sehr viel Flüchtigeres.


Isabel Mehl studiert seit 2010 Kunstwissenschaft an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Zuvor Abschluss im Fach Medienwissenschaften in Marburg/Lahn (BA).






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