Bauwelt

Sieben Architekten zur Lehre

Forschen mit Jan Pieper

Text: Behles, Jochimsen, Berlin; Brenner, Klaus Theo, Berlin; Liepe, Axel, Berlin; Mäckler, Christoph, Frankfurt am Main; Marg, Volkwin, Hamburg; Reimann, Ivan, Berlin; Sündoff, Uwe, Berlin

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Sieben Architekten zur Lehre

Forschen mit Jan Pieper

Text: Behles, Jochimsen, Berlin; Brenner, Klaus Theo, Berlin; Liepe, Axel, Berlin; Mäckler, Christoph, Frankfurt am Main; Marg, Volkwin, Hamburg; Reimann, Ivan, Berlin; Sündoff, Uwe, Berlin

"Pieper vermittelt uns nicht nur das Wesen architektonischer Deutungen in der Baugeschichte, sondern auch im kritischen Vergleich  mit seinen aktuellen Kommentaren zur Gegenwart."
Spur um Spur | Behles Jochimsen, Berlin
Anfang der neunziger Jahre stellt Jan Pieper an der TU Berlin die Ergebnisse einer Forschungskampagne in Pienza vor. Mit seinem Team hat er die Piazza sowie die umstehenden Bauten vermessen und dokumentiert. Eine trockene Materie? Nein, ein Krimi! Der große Hörsaal ist bis zum letzten Platz gefüllt. Ein gebanntes Publikum erlebt, wie Pieper Spur um Spur verfolgt. Immer wieder nimmt der Plot eine überraschende Wendung, immer wieder taucht eine neue Entdeckung auf. Wir verfolgen, wie sich zwischen Dom, Papstpalast, Palazzo Comunale und Palazzo Vescovile Weltpolitik entspinnt und wie an der Kirchenfassade die Abweichungen des julianischen Kalenders vom Sonnenlauf manifest werden. Am Schluss passen alle Indizien zusammen, und vor den Studenten
entsteht die erste Idealstadt der Renaissance. 
Mit der Ankunft Piepers an der TU Berlin wehte in der Baugeschichtsvorlesung ein anderer Wind. Anstelle einer eher deskriptiven Betrachtung des baugeschichtlichen Fundus stand nun der ideengeschichtliche Zusammenhang im Vordergrund. Über die Form hinaus wurden Inhalte verhandelt, und dies mitunter interkulturell. Fasziniert nahmen wir zu Kenntnis, dass Baugeschichte derart fesselnd dargeboten wurde, dass wir sie als Schulung in konzeptionellem Denken verstehen und unmittelbare Parallelen zu unserer entwurflichen Arbeit ziehen konnten. Piepers Verständnis von Architektur als Produkt eines politischen, ökonomischen und kul­turellen Kontextes hat uns geprägt. Er hat uns einen Fundus an Referenzen eröffnet, auf den wir bis heute in unserer entwurflichen Praxis zurückgreifen.
Wäre Pieper in Berlin geblieben, wenn sein Plan, ein Forschungsinstitut für Baugeschichte im Persius’schen Maschinenhaus am Schloss Babelsberg einzurichten, hätte umgesetzt wer­den können? Seine umfangreiche Bibliothek, die den Grundstock bilden sollte, wäre in dem in rheinisch–„normännischen“ Burgmotiven gehaltenen Bau, im Zentrum von Preußisch-Arkadien, angemessen untergebracht gewesen. Das Maschinenhaus steht immer noch leer. Ein Projekt für den Emeritus?
Grand Tour | Klaus Theo Brenner, Berlin
Im Jahr 2005 hatte mich Jan Pieper zur Konferenz über die „Grand Tour in Moderne und Nachmoderne“ in der Villa Vigoni am Comer See eingeladen. Das Entscheidende – und das, was uns auch verbindet – war natürlich das Thema der Konferenz, die Grand Tour, die Reise nach Italien, die Reise „ins Elementare“, wie Pieper es ausdrückt; in die Welt der Typologie, der Stadt und des Genius Loci.
Wie er bin ich der Meinung, dass ein Bekenntnis zur Modernität in der eigenen Haltung diesen Exkurs „ins Elementare“ keineswegs ausschließt, sondern geradezu voraussetzt, wenn man Modernität als eine Haltung versteht, die den Prozess der Erneuerung nicht als ein Zufallsprodukt, sondern als das letzte Glied in einer langen Kette kultureller Transformationen begreift. Vielleicht gilt dies für die Architektur und die Stadt noch mehr als für die Bildende Kunst. Und genau in diesem Sinne sieht, so glaube ich, Jan Pieper die Baugeschichte und deren Rolle als Forscherin im Bereich des Elementaren im Dienste einer neuen Architektur. Die Architekturgeschichtsschreibung als eine Art gutes Gewissen hinsichtlich moderner Entwurfsstrategien wird meist – und das war auch bei Julius Posener so – von Architekturhistorikern gepflegt, die selbst als Architekten ausgebildet sind. Und die Architekten, die sich Rationalisten nennen, sind diejenigen, die am meisten von diesen kompetenten Historikern profitieren. Dass es heute viele Architekten gibt, die aufgrund erklärter Selbstherrlichkeit und zum Prinzip erklärter Ignoranz die Architekturgeschichte und die Ausflüge „ins Elementare“ gar nicht mehr brauchen, könnte dazu führen, dass die Baugeschichte ganz aus der Lehre verschwindet. Dieser Verlust hätte fatale Folgen.
Nächtlicher Liebeszauber | Axel Liepe, Berlin
1987 endete die IBA in Berlin. 1987 ist das Jahr, in dem ich mit Studenten zur TU Berlin gehe, um Berufungsvorträge zu hören.
Ich sehe am Pult einen Vortragsredner mit rötlichem Vollbart, etwa meines Alters. Er ist konstitionell mehr Pykniker als ich, mehr Forschertypus. Der Vortragende beginnt konzen­triert, immer anwesend aber auch anderswo, ein bauliches Ensemble darzustellen; sachlich spannend und sinnlich. Da plötzlich verwandeln sich die Stufenreihen des Hörsaals in einen indischen Palast, von dem künstliche Wasserfälle zu einem geometrisch gegliederten Garten führen. Nachts werden dorthin die Haremsdamen in Körben abgeseilt.
Vergleichende Baugeschichte anstatt Datenmenge und Bilderflut. Ich glaube, es waren nicht die „Hängenden Gärten der Semiramis“, auch nicht das Serail mit den anderen Haremsdamen. Ich glaube, es war im Italien der Medicis und deren Villen mit hängenden Gärten. Was mir bis heute von dem Vortrag bleibt, ist nicht nur die bauliche Inszenierung des nächtlichen Liebeszaubers, sondern die Grundsätzlichkeit, dass Häuser Wissensspeicher sind, wenn auch stumme, man muss sie befragen und ihre Sprache übersetzen: Das Auge schläft, bis es der Geist mit einer Frage weckt.
Verstehen der eigenen Architektur | Christoph  Mäckler, Frankfurt a.M.
Die Baugeschichte ist eine der wenigen Wissenschaften, die die Architektur beflügelt, weil sie das neue Bauwerk in der Geschichte der europäischen Stadt verwurzelt. Die wissenschaft­liche Aufarbeitung von Bauwerken vergangener Jahrhunderte darf dabei nicht der Kopie für das Neue dienen, und darf schon gar nicht zur Grundlage ideologisch politischer Arbeit für unsere heutige Architektur werden, sondern bildet vielmehr die Grundlage für das Verstehen der eigenen Architektur.
Jan Pieper ist seinen Studenten an der RWTH Aachen, und so auch mir als jungem Architekturstudenten, eine reichhaltige Quelle um das Wissen der Bausteine vergangener Jahrhunderte gewesen.
Die Ausstellung in Aachen | Volkwin Marg, Hamburg
Die Ausstellung, die im Foyer des Reiff-Museums der RWTH Aachen zur Veranschaulichung der Vorlesungen von Jan Pieper vom 3. bis 21. Dezember gezeigt wird, soll uns die Augen öff­nen. Es geht um das systematische Verständnis vom Wesen der Architektur, das nicht durch die übliche historische Chronologie und Philologie gespiegelt, sondern im Kulturvergleich erkannt wird. Die Erforschung und Betrachtung des inhaltlichen Kerns kunstvollen Bauens erfolgt unbeirrt aller zeitlichen Stilhülsen aus der Perspektive des Entwurfsarchitekten. Ein solcher ist Pieper, als Student anfangs geprägt von Ungers und Böhm.
Bei den architektonischen Deutungsbemühungen nach des Pudels Kern fragend, hat es ihn zur Erforschung der Baugeschichte getrieben. Damit hatte er schon als Student angefangen. Die Ausstellung zeigt mit Zeichnungen, Filmen und Modellen die Vielfalt dieses noch nicht abgeschlossenen Lebenswerks anhand von Architekturen und ihren Deutungen im fernen Osten – Indien und Ladakh – bis nach Europa, von der italienischen und französischen Renaissance bis hin zu Fürst Pückler und Persius in romantischen Zeiten oder Gropius’ Fagus-Werken zu Beginn der Moderne (Bauwelt 10.2009).
Pieper vermittelt uns nicht nur das Wesen architektonischer Deutungen in der Baugeschichte, sondern auch im kritischen Vergleich  mit seinen aktuellen Kommentaren zur Gegenwart. Er hat das Mercedes-Benz-Museum Stuttgart von UN-Studio/Berkel in seinem wuchtig stammelnden Deutungsbemühen bloßgestellt. Und in Aachen hat er mit seinem couragierten Plädoyer zum Katschhofstreit die Stadt vor einer Blamage bewahrt (Bauwelt 42.2006). Wettbewerbsjury und Stadtrat waren in systematischer Ratlosigkeit dem Wettbewerbsentwurf „Bauhaus Europa“ von Wolfgang Tschapeller aufgesessen. Dieser Entwurf wurde infolge seines
kritischen Plädoyers nicht mehr gebaut. Er hätte mit seiner verquasten Architektur-Astrologie nicht nur als Ausstellungsspektakel Europa peinlich missdeutet, sondern das Ensemble zwischen Dom und Rathaus zum demolierten Weltkulturerbe gemacht.
Jan Piepers Aachener Ausstellung sollte durch alle deutschen Universitäten und Akademien wandern, zusammen mit seinen Vorlesungen als Katalog. „Wer in schwankenden Zeiten schwankend gesinnt ist, vermehrt das Übel“, so Goethe, und da wäre die Wahrnehmung eines festen kulturellen Grundes hilfreich für das oft ratlose Entwerfen.
Geschichte verändert sich | Ivan Reimann, Berlin
Jede Architekturgeschichtsschreibung muss die Frage beantworten, worin ihre Relevanz für die heutige Zeit liegt. Aus meiner Sicht tut sie das, indem sie – über die Darstellung der histo­rischen Fakten hinaus – neu definiert, was Architektur ist und was sie bedeutet. Für die Architekten besteht, ganz gleich, wie sie es mit der Baugeschichte halten, keine Möglichkeit, ihr zu entkommen: Jedes Bauwerk fängt bei seiner Fertigstellung an, der Vergangenheit anzuge­hören. Es wird zum Bestandteil dessen, was wir Architekturgeschichte nennen.
Sich hier zu behaupten heißt, sich einem Vergleich zu unterwerfen und in ihm zu bestehen. Was unvergleichbar ist, kann nicht bewertet werden. Die Kriterien des Vergleichs werden aus der Geschichte kommen müssen, einer Geschichte allerdings, die nie statisch bleibt, sondern sich ständig verändert, da jede Gegenwart und jede Architekturauffassung sie anders und neu schreiben. Diese Kriterien gilt es in der Geschichtsschreibung herauszuarbeiten. Jede Interpretation der Vergangenheit impliziert also die dazugehörige Sicht der Gegenwart und der Zukunft, jede Interpretation der Baugeschichte eine dazugehörige Architekturauffassung.
Für Jan Pieper gelten, und das ist heute alles andere als selbstverständlich, für die Beurteilung moderner und historischer Bauten die gleichen Kriterien. Sie müssen „auch heute genau so beurteilt werden wie die großen Monumente der Baugeschichte: als Ergebnis prägender Kräfte der Zeit auf der einen Seite, andererseits aber eben auch als überzeitliche Thematisierung des immer Gleichen in der Architektur“. Jeder Bau, so Pieper, „muss sich dann, wie jede Architektur, gleich welcher Kultur oder Epoche, eines allgemeingültigen Re­ferenzsystems bedienen, das wir die ,Sprache der Architektur‘ nennen. Diese zu erfinden ist nicht Sache des Architekten, sondern ist, wie alle Medien der Kommunikation, Teil unseres kulturellen Systems ...“
Was der entwerfende Architekt in einem epochalen Bauwerk Bedeutungsschicht für Bedeutungsschicht aufgebaut hat, versucht Pieper, der Architekturhistoriker, in einer Art umgekehrtem Entwurfsprozess nachzuvollziehen. Seine Architekturausbildung und zeichnerische Begabung machen hier, im Vergleich zu vielen seiner Kollegen, den entscheidenden Unterschied: „Wenn Baugeschichte so etwas ist wie Aufrollen des gesamten Bauprozesses von seinem Ende her, vom Ergebnis des fertig dastehenden Bauwerks zurück zum ersten Baugedanken, dann braucht man dafür ebenso lange wie die Meister, die dies alles ersonnen und bis ins Detail des Steinschnitts umgesetzt haben. Erst wenn in dieser unermüdlichen Arbeit vor Ort der architektonische Schlüssel gefunden ist, der alles vom Gesamten bis in die Einzelheiten beherrscht, kann es gelingen, bis in das Arkanum des Gedankengebäudes vorzudringen ...“
Im Aufzeigen des Zusammenhangs zwischen den überzeitlichen Gesetzmäßigkeiten und ihren immer neuen Manifestationen in konkreten Bauwerken, in denen sich die ganze Epoche verkörpert, liegt für mich die Relevanz der Forschung und Lehre Piepers. Sie zeigt, dass die Definition von Architektur nicht, wie es heute viele glauben, beliebig erweiterbar ist, wenn sie nicht jegliche Bedeutung verlieren soll. Seine Geschichtsschreibung und seine Architekturauffassung brauchen sich um die vermeintlichen Widersprüche, zwischen neu und alt, fortschrittlich und rückschrittlich, modern und unmodern, die uns daran hindern, die gesamte Architekturgeschichte als etwas Unzertrennliches wahr­zunehmen, nicht zu kümmern.
Studium generale | Uwe Sündhoff, Berlin
Zugegebenermaßen stand ich aufgrund meiner studentischen Lehrtätigkeit an Jan Piepers Institut und der Mitarbeit bei einigen seiner Forschungsprojekte unter besonderer Beeinflussung. Seine Forschungen zum Toposbegriff in der Architektur und das Verwenden der analytischen Zeichnung in Form der Schnittisometrien waren wohl die greifbarsten Dinge, die weit über das Studium hinaus Eindruck auf meine spätere Arbeit hinterlassen haben. So war für mich als Studenten der von ihm behandelte Toposbegriff in der Architektur eine bis dahin unbekannte „Hyper-Ebene“ eines Architektur­be­zuges. Mit ihm ließen sich Verbindungen schaffen, von historischen Gestaltungsentscheidungen zu aktuellen Entwurfsfragen. Der Toposbegriff hilft, sich Kernthemen des bau­lichen Gestaltens zu verdeutlichen und sie von den Überlagerungen des jeweiligen Zeitgeistes zu lösen.
Eines der Markenzeichen waren seine Architekturskizzen und Schnittisometrien. Diese unterstrichen die Bedeutung der Architekturzeichnung als quasi eigene Gattung zur abstrahierenden Vorstellung von Wirklichkeit. Im heu-tigen digitalen „Visualisierungswahn“, der so oft Kernthemen eines Entwurfs in einem Gewittersturm aus trivialen Details verliert, kommt dieser bewusst abstrahierenden Darstellung wieder eine ungeahnte Strahlkraft zu. Wie ich das damalige Architekturstudium erlebt habe, war es im besten Sinne ein Studium generale.

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