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Perspektiven der Gropiusstadt

Editorial

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

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Foto: Philipp Meuser

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Perspektiven der Gropiusstadt

Editorial

Text: Schultz, Brigitte, Berlin

50 Jahre nach ihrer Gründung erfährt die Grande Dame der deutschen Großsiedlungen eine allmähliche Neubewertung. Künstler und Architekten hinterfragen das Klischee, das größte Wohnungsunternehmen Berlins plant den Weiterbau.
„Gehn wir Gropius?“ Walter Gropius hätte sich wohl nicht träumen lassen, dass sein Name einmal synonym für Berlins größtes Einkaufszentrum benutzt werden würde, die „Gropiuspassagen“. Ob der „Gropius Schnell Imbiss“ unweit des „Gro­piushauses“ wohl seine Zustimmung gefunden hätte? Tatsächlich hat er noch nicht einmal die Umbenennung der Siedlung Britz-Buckow-Rudow am südlichen Stadtrand Berlins in „Gropiusstadt“ erlebt. Sie erfolgte 1972, zehn Jahre nach der Grundsteinlegung und drei Jahre nach dem Tod des Architekten.
50 Jahre nach dem euphorischen Baubeginn hat die Grande Dame der deutschen Großsiedlungen trotz ihres prestigeträchtigen Namens mit dem Stigma aller Großsiedlungen zu kämpfen. In der kollektiven Wahrnehmung sind diese zu einem unterscheidungslosen Hochhaus-Brei verschmolzen. Auch in der Gropiusstadt vermuten viele monotone Architektur, Leerstand, Problemschulen und Kriminalität – oft ohne jemals einen Fuß in die Siedlung gesetzt zu haben, die zur Heimat für 36.000 Menschen geworden ist. Doch ein halbes Jahrhundert scheint auch eine gute Zeitspanne für eine Neubewertung zu sein. Während die Erstbezieher heute in Rente gehen (sodass der Gang durch die Siedlung wie ein Ausblick auf die Altersstruktur Deutschlands in einigen Jahrzehnten wirkt), entdeckt eine neue Generation die Utopien des letzten Jahrhunderts für sich neu. Nicht nur junge Architekten sind fasziniert von den Formen der städtebaulichen Moderne, die fern der reibungsarmen Harmonie der historischen Stadt neue Reize und Denkanstöße zu bieten scheint.
Tatsächlich sind die Perspektiven auf Berlins erste Großsiedlung so vielschichtig wie die dort vertretenen Bauformen, die vom 30-geschosssigen Wohnhochhaus bis zum Einfamilienhaus reichen. Auch wenn die Kriminalität gering ist und die Schulen gut, bündeln sich hier andere gesellschaftliche Pro­bleme: Ein Quartiersmanagement kümmert sich vor allem um die Folgen alltäglicher Armut sowie das nachbarschaftliche Zusammenleben von Menschen aus fast 100 Nationen, die sich seit dem Mauerfall zu den Ur-Gropiusstädtern gesellt haben. Und auch wenn Historiker nicht müde werden zu betonen, wie wenig die Gropiusstadt nach unzähligen, auch politisch bedingten Planungsänderungen im turbulenten Berlin der sechziger Jahre noch mit dem gemein hat, was Gropius für die Siedlung vorschwebte, gibt es hier durchaus beeindruckende Architektur und teilweise gelungene Freiräume zu entdecken, und Bewohner sprechen stolz von ihrer „weißen Residenz“. Deren Lage im Grünen entschädigt sie für eine lückenhafte Infrastruktur.
Die in diesem Heft vorgestellten Projekte bewegen sich auf unterschiedlichste Weise in diesem Spannungsfeld. Eine vorurteilsfreie Sicht bietet eine Auswahl von Arbeiten, die u.a. im Rahmen eines Künstlerresidenzprogramms in der Gropiusstadt entstanden. Der persönliche Blick der Fotografen, der zwischen Ästhetisierung und Sozialstudie changiert, wird ergänzt durch den analytischen Blick der Architekten. Die Mitglieder der „Akademie einer neuen Gropiusstadt“ am Architekturinstitut der TU Berlin haben zentrale städtebau­liche Komponenten kartiert und neu bewertet – Unterlagen, die u.a. als Grundlage für eine Berliner IBA dienen. Dabei kann die Frage heute nicht mehr sein, ob eine andere städtebauliche Struktur besser oder schlechter funktioniert hätte. Die schwierige Aufgabe ist vielmehr, die Balance zwischen einer Verklärung des Status quo zum Gesamtkunstwerk und einem allzu sorglosen Überschreiben des Vorhandenen nach heutigen Kriterien auszutarieren. Am weitesten vorgewagt auf dieses unsichere Terrain hat sich bisher der größte Vermieter der Gropiusstadt, die Wohnungsgesellschaft degewo. Ihr vielbeachtetes Wettbewerbsverfahren zur Nachverdichtung der südlichen Gropiusstadt hat Ende letzten Jahres Empörung bei Bewohnern wie Fachleuten ausgelöst. Man kann von Glück reden, dass die Baumaßnahmen am Ende weit weniger radikal ausfallen werden, als die ersten Entwürfe vermuten ließen – hat der Verantwortliche doch inzwischen die Moderne selbst ein Stück weit lieben gelernt, wie er im Interview ab Seite 26 erläutert.
Fakten
Architekten Gropius, Walter (1883-1969)
aus Bauwelt 7.2013
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Betrifft Die Großsiedlung weiterbauen

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