Bauwelt

„Mit seiner Unabhängigkeit hat sich der Stadtbaumeister auch Feinde gemacht“

Kommentar von Christoph Grafe

Text: Grafe, Christoph, Antwerpen

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Abb.: Bauwelt

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„Mit seiner Unabhängigkeit hat sich der Stadtbaumeister auch Feinde gemacht“

Kommentar von Christoph Grafe

Text: Grafe, Christoph, Antwerpen

Im Februar wurde bekannt, dass der Antwerpener Stadtbaumeister Kristiaan Borret vorzeitig seinen Posten verlässt, weil die „Chemie“ mit der Stadtregierung, die seit Anfang 2013 im Amt ist, nicht mehr stimme. Gerüchte, dass die Abteilung des Stadtbaumeisters unter Druck stand, hatte es seit Längerem gegeben.
Diese verdichteten sich, als Peter Swinnen, als Baumeister für ganz Flandern zuständig, in einem Beitrag für die Zeitung „de Standaard“ die Alarmglocke schlug. Swinnen, bekannt dafür, dass er sich nicht scheut, Ross und Reiter zu benennen, meldete, die Hafenstadt würde unter der Führung des Bürgermeisters Bart De Wever von der Partei „Neue Flämische Allianz“ zu einer „Walhalla für Projektentwickler“ mutieren. Der Artikel führte sofort zu einem intensiven und bisweilen heftigen Schlagabtausch zwischen Politikern der Antwerpener Mehrheitsparteien, vor allem den flämischen Nationalisten, und Kritikern aus dem Bereich der Architektur und Stadtentwicklung. Der Tenor war scharf und auch nicht frei von alarmierenden Tönen: Antwerpen sei auf dem besten Wege, die erfolgreiche Zusammenarbeit von Architekten, Städtebauern, Projektentwicklern und Bevölkerung in der Stadtentwicklung zu zerstören. Die Aushöhlung des Amts des Stadtbaumeisters und die Dezimie­rung seines Stabs von acht auf zwei Mitarbeiter seien auch ein unheilvolles Vorzeichen dafür, was in ganz Flandern geschehen werde, wenn die flämischen Nationalisten unter Bart De Wever in diesem Jahr, wie erwartet, weiter in der Gunst der Wähler stiegen und deutlich mehr Einfluss auf die Stadtentwicklung bekämen. Antwerpen, so die berechtigte Furcht, sei nur der Anfang der politisch gewollten Erosion der erfolgreichen Architekturpolitik Flanderns, die ihre Ef­fektivität starken und unabhängigen, von der Politik getragenen Institutionen wie eben denen der beiden Baumeister verdankt.
Ob es wirklich soweit kommen wird, ist derzeit Spekulation. Das öffentliche Interesse an der Entwicklung der Stadt, nicht nur in Antwerpen, z.B. auch im nahen Gent, ist nach wie vor so groß, dass auch Politiker mitbekommen haben, dass sich hier Wählerstimmen gewin­nen lassen. Die Entwicklung der Antwerpener Hafengebiete, des attraktiven Museumsquartiers „Zuid“ und nicht zuletzt die Eröffnung des Museums am Strom (MAS, Bauwelt 26.2011) haben in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass die städtebauliche Entwicklung und die
Architekturkultur der Stadt eine breitere Öffentlichkeit fanden.
Die Ernennung von Kristiaan Borret als zweiten Antwerpener Stadtbaumei­ster im Jahr 2006 war Ausdruck dieser erfolgreichen Entwicklungen. Der Architekt-Städtebauer, der längere Zeit als Wissenschaftler an den Universitäten in Löwen und Gent tätig gewesen war, griff das unter der Stadtregierung des vorigen sozialdemokratischen Bürgermeisters Patrick Janssens begonnene ehrgeizige Projekt einer umfassenden Stadterneuerung auf und führte die Prozesse der behutsamen Planung in den Hafengebieten und den innerstädtischen Wohnvierteln fort. Zuweilen kam es zu Kontroversen mit Politikern und den in Antwerpen wichtigen Hafenbaronen. In den Auseinandersetzungen um das „Havenhuis“ von Zaha Hadid zog der Baumeister nach einigem Hin und Her den Kürzeren. Im Großen und Ganzen jedoch erntete Borret Anerkennung für sein dezidiertes und gleichwohl sachliches Auftreten und die Tatsache, dass er und sein Team die verschiedenen Parteien in ein Gespräch über die Zukunft der Stadt und ihrer architektonischen Kultur involvierten. Genau dieses Auftreten als intellektuelle Instanz und als Vermittler veranlasste die Jury des Flämischen Kulturpreises noch im Herbst 2013 dazu, Kristiaan Borret und seinem Team diese Anerkennung zu verleihen.
Unter Borrets Führung etablierte sich in Antwerpen ein Gegenmodell zur großmaßstäblichen Praxis in anderen Städten. Der Vergleich mit Rotterdam – eine Zugstunde entfernt und mit etwas mehr als 600.000 Einwohnern nur unwesentlich größer – ist besonders frappierend. Während die niederländische Hafenstadt seit drei Jahrzehnten auf die brachiale Gewalt der Masse setzt, eine Ikone nach der anderen baut und selbst auf die größte Immobilienkrise mit einem weiteren Bauboom antwortet, steht Antwerpen für einen kleinteiligen, behutsamen Urbanismus. Slow Urbanism nannte der englische Architekturkritiker Ellis Woodman dies in der letzten Ausgabe des zweijährlichen „Architekturbuchs Flandern“, in der er die Stadtentwicklung in Antwerpen als beispielhaft für den behutsamen und dennoch visionären Umgang mit dem Bestand der Stadt und ihrem Potenzial besprach. Langsamkeit als eine Methode des Testens von wirtschaftlichen und städtebaulichen Möglichkeiten, aber auch als eine Form von Qualitätskontrolle: Das Prinzip Trial-and-Error wurde hier Teil eines Stadtumbaus, der sich auch der sozialen Verträglichkeit und ökonomischen Nachhaltigkeit von Neuentwicklungen verpflichtet sieht.
Borret verstand sich nicht als beamteter Wächter über eine wie auch immer geartete Gestaltungsqualität, sondern als ein unabhängiger Berater der Politik in Fragen der Stadtentwicklung. Diese Unabhängigkeit, die an den politischen Willen gebunden war, dem räum­lichen Entwerfen einen Platz in der Stadtentwicklung zu geben, hat dem Stadtbaumeister nicht nur Freunde gemacht. Nach den Gemein­deratswahlen im letzten Jahr, und nach der Ablösung von Patrick Janssens durch Bart De Wever, sah sich Borret oftmals genötigt, Projekte aufs Neue zu verteidigen. Im Januar 2013 hatte die neue Stadt­re­gie­rung erklärt, an der eingeschlagenen Richtung der Stadtentwicklung werde sich nichts ändern. Gleichzeitig wurde jedoch auch angekündigt, dass es in der gesamten Stadtverwaltung zu substanziellen Einsparungen und Reorganisationen kommen werde. Ziel sei eine größere Effizienz und die Eliminierung von Dopplungen in den Dezernaten und den autonom operierende Entwicklungsgesellschaften wie der AG Stadsplanning, mit denen die Stadt Antwerpen in den letzten Jahren erfolgreiche Projekte für den sozialen Wohnungsbau und Programme für Lückenbebauungen in verschiedenen Problemvierteln abgewickelt hatte.
Was dann in der Realität passierte, kann wohl kaum als ein Beispiel für „Lean Government“ bezeichnet werden. Das Team des Baumeisters wurde systematisch von zentralen Entscheidungen ausgeschlossen. In Projekten wie der lange geplanten Neueinrichtung der Schelde-Ufer wurden plötzlich wesentlich höhere Kontingente für Parkplätze eingefordert. Überhaupt positioniert sich die Stadtregierung gerne als Förderer des von allen Seiten belagerten Autofahrers. Man passe sich eben der Realität an und probiere nicht, „den Bewohner der Stadt in ein Idealbild der autolosen Stadt zu zwängen“, wie der Beigeordnete für Stadtentwicklung letztens erklärte. Es verfe­stigt sich der Verdacht, dass die Richtung der Stadtentwicklung einer grundlegenden Veränderung unterzogen werden soll: „weniger Regeln, mehr Freiheit“. Ein Stadtbaumeister, zumal einer wie Kristiaan Borret, der stets eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Politik gewahrt hatte, passt womöglich nicht in dieses Bild. Wenn dieser Stadtbaumeister dann auch noch als Erbe der Politik der Vorgänger gesehen wird, dann scheint ein größerer personeller Bruch unvermeidlich.
Die Stadtregierung hat sich dazu verpflichtet, für Borrets Nachfolge ein öffentliches Verfahren zu starten und diese auch interna­tional zu bewerben. Die Unabhängigkeit des Amtes steht dabei nicht zur Disposition, und man spricht sich ausdrücklich dafür aus, das Amt des Stadtbaumeisters als eine wichtige Instanz in der weiteren Entwicklung der Stadt beizubehalten. Die Signale sind also durchaus widersprüchlich. Grund zur Hoffnung, dass es die Stadtoberen letztlich doch ernst meinten mit der Aufrechterhaltung des Amtes in sei­-ner heutigen Form, gibt es: Für die vorläufige Weiterführung eines der Hauptprojekte des Stadtbaumeisters – die Entwicklung des äußeren Stadtrings – wurde der Genter Hochschullehrer Michiel Dehaene verpflichtet, ein äußerst kenntnisreicher und besonnener Experte auf seinem Gebiet.

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