Bauwelt

Jenseits immerwährender Wandlung

Was bleibt Andalusien von der Manifesta?

Text: Paul, Jochen, München

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Ein Austragungsort der Europäischen Biennale für Zeitgenössische Kunst: Das ehem. Post- und Telegrafenamt in Murcia.
Foto: © Pablo Ferao 2010

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Ein Austragungsort der Europäischen Biennale für Zeitgenössische Kunst: Das ehem. Post- und Telegrafenamt in Murcia.

Foto: © Pablo Ferao 2010


Jenseits immerwährender Wandlung

Was bleibt Andalusien von der Manifesta?

Text: Paul, Jochen, München

Als die Manifesta 8 im Januar nach 100 Tagen zu Ende ging, hatten über 110.000 Besucher aus aller Welt an 15 Orten Arbeiten von 120 ausstellenden Künstlern gesehen – 30.000 mehr als erwartet.
Nicht schlecht für ein dem kuratorischen Diskurs verpflichtetes Kunstfestival, das sich sperrig und spröde gibt: Laut Satzung versteht sich die 1996 erstmals veranstaltete Europäische Biennale für zeitgenössische Kunst als „nomadisierender Event, der eine mobile Struktur in immerwährender Wandlung und Neuerfindung aufbauen will.“
Deshalb findet sie auch stets an unterschiedlichen Ort statt: Nach Rotterdam, Luxemburg, Frankfurt am Main, Ljubljana und San Sebastián – die für 2006 auf Zypern geplante Manifesta 6 musste aufgrund politischer Widerstände und finanzieller Schwie­rigkeiten abgesagt werden – bespielte sie vor zwei Jahren mit Südtirol und dem Trentino erstmals eine ganze Region (Bauwelt 34.08). Für 2010 wurde das Konzept um zwei weitere Komponenten ergänzt: Die Manifesta 8 verband die beiden andalusischen Städte Murcia und Cartagena nicht nur mit Nordafrika, sondern beschäftigte gleich drei Kuratorenkollektive. Deren Aufgabe war es, „die psychologischen und geografischen Territorien Europas und seiner Nachbarn zu erforschen, sowohl als Konzept als auch als erweiternde Ortsbeschreibung“ und da­bei „einen engeren Dialog zwischen kulturellen und künstlerischen Situationen und einen breiteren, internationalen Kontext von zeitgenössischer Kunst, Theorie und Politik in einer sich verändernden Gesellschaft zu etablieren.“ Der Ort dafür war gut gewählt, treten doch in der Region gleich mehrere Probleme, die die Euro-päische Union derzeit beschäftigen, unübersehbar zutage: der Wasserbedarf der landwirtschaftlichen Produktion (14 Prozent des europäischen Obst- und Gemüses stammen aus dem „Garten Spaniens“) und die daraus resultierenden Auswirkungen auf den Klimawandel, die Arbeitslosigkeit (in Murcia liegt sie bei 24 Prozent), die Zuwanderung (16 Prozent der Einwohner sind Migranten aus Nordafrika) und deren Konsequenzen für die Stadt und den öffentlichen Raum. Gleichzeitig ist der Süden Spaniens seit Jahrhunderten ein kulturelles Sammelbecken, geprägt von islamischen, jüdischen und christlichen Einflüssen, die lange Zeit ohne größere Konflikte co-existierten.
Rückeroberung in Vergessenheit geratener Orte
Der Erfolg der Manifesta hat maßgeblich mit der Wahl der Ausstellungsorte zu tun: Hedwig Fijen, Direktorin der Manifesta Foundation, war es wichtig, neben traditionellen Museen auch „nichtinstitutionelle“ Schauplätze zu nutzen. In Murcia verwandelten nOffice, Berlin/London, zusammen mit Thomas Engelbert, dem technischen Direktor der Manifesta 8, die Schalterhalle des ehemaligen Post- und Telegra­fenamts gegen den massiven Widerstand des derzeitigen Eigentümers in einen „Hub“ für diskursive Kunst – der 1930 errichtete und aktuell völlig verwahrloste Bau von Pedro Muguruza wird von dem lokalen Immobilieninvestor seit Ende der 80er Jahre systematisch dem Verfall preisgegeben, um eine Abrissgenehmigung zu erwirken.
Die meisten temporären Ausstellungsorte der Manifesta 8 verantwortete Martín Lejarraga. Der Architekt aus Cartagena sicherte in Murcia drei Gebäude einer zwischen 1921 und 1926 errichteten ehemaligen Artilleriekaserne, in Cartagena die seit 2005 geschlossene Cafeteria im Parque Torres aus den 60er Jahren. Dabei beschränkte er sich stets darauf, mit minimalen Mitteln die Standsicherheit zu garantieren und nur solche architektonischen Eingriffe vorzunehmen, die die im jeweiligen Raum ausstellenden Künstler für ihre Arbeiten benötigten. Am besten kommt dieser Ansatz beim Prisón de San Antón zur Geltung: Im dem 1935 von Vicente Augustí Elguero an der nordöstlichen Peripherie errichteten, seit letztem Juni geschlossenen Gefängnis waren nach dem Ende des spanischen Bürgerkriegs – Cartagena fiel als letzte Stadt an die Falange – über 1000 politische Gefangene inhaftiert. Ihre Spuren und Hinterlassenschaften – von den gemalten Sonnenuntergängen an den Wänden der Flure bis zu den Sportgeräten im Gymnastikraum – machen den Ort selbst zum Exponat, der mit seinem fünf­eckigen Grundriss die gesamte seit den 60er Jahren entstandene Nachbarbebauung prägte.
Was nach dem Ende der Manifesta 8 bleibt, ist die zumindest partielle Rückeroberung von in Vergessenheit geratenen Orten für die Stadt: Während das Schicksal der Artillerie-Baracken in Murcia noch offen ist, hat sich der Investor des Post- und Telegrafenamts inzwischen bereit erklärt, nicht nur die denkmalgeschützte Fassade, sondern auch die Schalterhalle samt Galerie zu erhalten, und in Cartagena engagiert sich jetzt eine Initiative für eine (sozio-)kulturelle Nachnutzung der ehemaligen Haftanstalt.

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