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Immer mehr?

28 Künstler befragen das Wachstum auf seine Grenzen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Courtesy Galerie Art: Concept, Paris

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Immer mehr?

28 Künstler befragen das Wachstum auf seine Grenzen

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Wachstum. Der Begriff suggeriert Organisches, klingt „grün“ und scheint durchweg positiv besetzt. Im Katalog zu der dreiteiligen Ausstellung „Über die Metapher des Wachstums“, die die Kunstvereine Han­nover und Frankfurt und das Kunsthaus Baselland gemeinsam veranstalten, werden aber auch die Kehrseiten des Begriffs dargestellt.
Wachstum. Der Begriff suggeriert Organisches, klingt „grün“ und scheint durchweg positiv besetzt. Im Katalog zu der dreiteiligen Ausstellung „Über die Metapher des Wachstums“, die die Kunstvereine Han­nover und Frankfurt und das Kunsthaus Baselland gemeinsam veranstalten, werden aber auch die Kehrseiten des Begriffs dargestellt. Dass Wachstum, im biologischen Verständnis nämlich, endlich ist, und dass es eine Stufe des Ausgewachsenseins und des nachfolgenden Verfalls gibt. Diese Tatbestände werden im Sprachgebrauch von Technik und Wirtschaft, die ja gerne mit dem Nimbus des Naturhaften operieren, schlichtweg unterschlagen. Hier gilt der systematische (Selbst-)Betrug des unendlichen Wachstums, im Finanzsektor gar der wundersamen Geldvermehrung im Wachstum des Wachstums, indem Güter- und andere Konsumnachfragen mittels Krediten planmäßig stimuliert werden. Derartige Systeme „wachsen“ somit zwar unaufhörlich, aber eben nicht dergestalt, wie sich zum Beispiel eine fortpflanzungsfreudige Tierpopulation unter günstigen Bedingungen vergrößern könnte. Die künstlich eingerichteten Finanzsysteme sind hoch komplex und ohne vitalen Kompensationsmechanismus extrem störanfällig. Größter Risikofaktor dabei: der Mensch.
Die Beiträge der 28 Künstler, die sich auf die drei an der Ausstellung beteiligten Institutionen verteilen, reflektieren in unterschiedlichsten Techniken und Temperamenten die Metaphern des Wachstums. In Hannover beispielsweise wachsen die luftig-weißen Schaumberge des Franzosen Michel Blazy (Jahrgang 1966) neben den gewaltigen dunklen Staub­skulpturen des Belgiers Peter Buggenhout (Jahrgang 1963). Blazy lässt kleine Aquarienpumpen Unmengen von Badeschaum produzieren, der sich aus grünen Müllcontainern ergießt. Im Kontakt mit der Raumluft zersetzt sich der Schaum allmählich; alles ist offensichtlich so fein austariert, dass zu keiner Zeit bedrohliche Schaumlawinen entstehen, die den Ausstellungsraum fluten könnten. Angesichts von Buggenhouts riesigen Scheiterhaufen aus Stahl-
und Holzabfällen allerdings könnte einem Angst werden vor einem zerstörerischen Eigenleben dieser morbiden Monster – wüsste man nicht, dass sie, selbst in ihrer obersten Schicht aus dickem Haus- und Industriestaub, aufwendig fixiert sind.
Erdmagnetismusbetriebene Perpetua Mobilia
Auch üppiges Wuchern von Pflanzen muss nicht im-mer Idylle bedeuten. In dem Zweikanal-Video in bestechender 3D-Optik „Secret Life“ des US-Amerikanern Reynold Reynolds (Jahrgang 1966) wird die Protagonistin, die isoliert in einem im Zeitraffertempo sprießenden Dschungel lebt, Opfer ihrer sozialen und kognitiven Verwahrlosung. In der Ausstellung gar noch weiter wuchern sollen die Kristalle des Schweizerischen Duos Gerda Steiner & Jörg Lenzinger. In ihrer Installation „The conference“ bemächtigen sich pinkfarbene Kristallisationen aus Kunstdünger, Harn- und Farbstoff offensichtlich fluchtartig verlassener Laptops, Handys und anderer Konferenzutensilien.
Eine Entdeckung ist das Werk von Karl Hans Janke (1909–1988, also aus einer deutlich früheren Generation als alle anderen beteiligten Künstler). Janke verbrachte über 40 Jahre in der Psychiatrie und erfand in anrührende Buntstiftzeichnungen grazile Raumfahrzeuge, die sich nur durch Erdmagnetismus fortbewegen sollten. Neben diesem lyrischen Eskapismus machte er sich in seinen Skizzenbüchern aber auch konkrete Sorgen um unsere Erde: Sollte ihre Oberfläche partiell durch Hochhauskonglomerate überlastet werden, so könnte sie bis in große Tiefen einbrechen. Meerwasser würde dann ins glühende Erdinnere nachströmen, in gigantisch großen Dampfwolken kondensieren und die Erdrotation ins Schlingern bringen. Ein worst case, der alle bisherigen menschengemachten Katastrophen weit überträfe. 

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