Bauwelt

Fünf Meinungen aus Dresden

Militärhistorisches Museum

Text: Bocquet, Denis, Paris; Hannusch, Heidrun, Berlin; Pepchinski, Mary, New York; Porstmann, Gisbert, Dresden; Sielaff, Volker, Dresden

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Fünf Meinungen aus Dresden

Militärhistorisches Museum

Text: Bocquet, Denis, Paris; Hannusch, Heidrun, Berlin; Pepchinski, Mary, New York; Porstmann, Gisbert, Dresden; Sielaff, Volker, Dresden

Denis Bocquet | erkennt eine Stärkung der befriedeten deutschen Identität
Die dekonstruktivistische Architektur hat keine klare Rhetorik hervorgebracht, mit Ausnahme natürlich des visuellen und formalen Diskurses der Dekonstruktion. Ihre Protagonisten haben oft sogar jedwede Anwandlung einer narrativen Konstruktion abgelehnt, und ganz besonders Daniel Libeskind war immer darauf bedacht, nicht zu seinem Schaden mit einem Stil in Verbindung gebracht zu werden, der in Wirklichkeit keiner ist.
Das Dresden-Projekt des amerikanischen Architekten hätte daher riskant werden können, bestand doch die Herausforderung darin, die Architektursprache erneut in den sensiblen Bereich einer museografischen Aufarbeitung traumatischer Erinnerungen zu übertragen – diesmal aber im Dienste der visuellen Pädagogik eines Militärmuseums – und auf diese Weise, über Form und Diskurs, didaktisch mit der militaristischen Vergangenheit zu brechen. Als Ergebnis hätte man Redundanz, Vereinfachung oder gar eine ideologische Fallenstellung befürchten können. Aber all das ist nicht eingetreten. Selbst wenn eine gewisse Ambiguität besteht, die jedem, selbst dem kritischen Projekt des von der Bundeswehr verwalteten Militärhistorischen Museums zu eigen ist: Libeskind und die Förderer des Museums in Dresden haben es verstanden, diesen Bruch auf geschickte Weise deutlich zu machen. Sein Werk macht eine neue Etappe möglich in der Stärkung einer befriedeten deutschen Identi­tät – und dies in Dresden, der im Zweiten Welt­krieg schwer getroffenen Stadt.
Heidrun Hannusch | verbindet mit dem Bau die Illusion der Unverwundbarkeit
Die einen nennen es Keil, was sich da durch das Gebäude des Neoklassizismus schiebt, die anderen einen Blitz, der hineingefahren ist. Für mich wird es immer ein abstrahiertes Flugzeug sein, das dieses Gebäude getroffen, sich hineingebohrt hat und mit einem Flügel stecken geblieben ist. Ein im Kopf, wie in einer Computersimulation, verändertes Bild, sehr frei übersetzt in Architektur; ein Trauma, auch eine Niederlage, nicht verdrängt, sondern nachgebaut. Und das ausgerechnet bei der Bundeswehr. Wenn das nicht mutig ist.
Natürlich wäre es viel zu kurz gedacht und würde einem Daniel Libeskind nicht gerecht, diesen Bau als bloße Illustration eines punktuellen Ereignisses zu sehen. Und doch, wie aus der Ferne betrachtet der Stahlbau den massiven steinernen Trutzbau aufbricht, wird mich im-mer daran erinnern, wie vor zehn Jahren zwei Flugzeuge ins World Trade Center flogen. Und damit vor allem eines zerstörten: die Illusion der Unverwundbarkeit.
Üblicherweise erwartet man von einem militärhistorischen Museum, dass Stärke demons­triert wird, sozusagen aus Abschreckungsgründen. Wenn Libeskind mit seinem Gebäude das Gegenteil davon zeigt, nämlich Verwundbar­-keit, dann kann man das fast schon revolutionär nennen. Der Neubau sieht aus wie ein gewaltsamer Eindringling und gerade in diesem Teil des Museums wird die Geschichte von Gewalt erzählt – nicht zu Abschreckungs- sondern zu Präventionszwecken. Libeskind nimmt ein Trauma und darin werden, ganz gegenständlich, die Kriegstraumata der Welt abgehandelt.
Bei manch anderem Architekten wäre es nicht abwegig anzunehmen, dass dieses Gebäude einer formalen Idee entsprungen ist, der Idee, eine schöne, aber langweilige Fassade aufzubrechen. Eine rein gestalterische Idee gibt es bei Libeskind auch, eine ungewöhnliche muss es sein, aber nie ohne eine Philosophie dahinter. Bevor er das „Imperial War Museum“ in Manchester baute, nahm er einen Globus, zerschlug ihn und setzte Bruchstücke davon auf andere Weise wieder zusammen. Auch eine Idee, die das, was Krieg anrichtet, auf drastische Weise widerspiegelt. 
Beim Dresdner Museum geht Libeskind ei-nen Schritt weiter. Und der ist in der Tat revo­lutionär, vor allem in Dresden. In einer im Krieg stark versehrten Stadt, mit Einwohnern, die der Unversehrtheit nachhängen und dem Glauben, sie sei wieder herzustellen, nimmt er ein intakt gebliebenes Gebäude und schlägt eine Lücke hinein. Man könnte es ein Sakrileg nennen und am Ende einen Sieg. Der große Aufschrei der Dresdner, auf den mancher gesetzt hatte, blieb aus. Als der Libeskind-Entwurf bekannt wurde, verteilte ein rechtes Bündnis 50.000 Flugblätter, in denen von „Kulturbarbarei“ die Rede war, Libeskind als „jüdischer Weltenbummler“ bezeichnet wurde und zum Kampf gegen das Umbauprojekt aufgerufen wurde.
Die Aktion blieb ohne Widerhall. Sehr gut so, wenn man bedenkt, dass Libeskind wegen ei­nes Entwurfs für die Dresdner Hauptstraße vor Jahren nicht nur kritisiert, sondern auf eine Weise beschimpft wurde, die andere für immer fern gehalten hätte von dieser Stadt.
Nachdem in New York Libeskinds architektonischen Visionen für Ground Zero nicht zum Zuge kamen, durfte er nun ausgerechnet in Dresden etwas umsetzen, was vielleicht – so man den Gedanken zulassen möchte – ein architektonischer Kommentar zu 9/11 ist. Der dieser sein könnte: Getroffen, ja, verwundbar ebenso, aber bereit, aus der Geschichte von Gewalt zu lernen, ohne Gewalt.
Mary Pepchinski | erinnert an den Roman „Slaughterhouse-Five“
Schon lange, bevor ich etwas von Dresdens Vergangenheit als „Elbflorenz“ erfuhr, war mir die Stadt als Schauplatz der Ereignisse des letzten Jahrhunderts ein Begriff. Ich wusste um die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, weil Dresden die Kulisse von „Slaughterhouse-Five“ (dt. „Schlachthof 5“) war, Kurt Vonneguts 1969 erschienenem Roman über die Bombardierung der Stadt, der das wichtigste Anti-Kriegs-Manifest meiner Generation war.
Der Roman erzählt die Geschichte von Billy Pilgrim, einem US-amerikanischen Kriegsge­fangenen, der 1945 nach Dresden verbracht wird. Billy überlebt die Nacht des 13. Februar in ei­nem Keller des Schlachthofs im Ostragehege. Nach dem Krieg kehrt er heim, aber er ist von den Erlebnissen in Dresden traumatisiert. Um das Trauma zu bewältigen, stellt Billy sich vor, er könne durch die Zeit reisen, zurück und voraus. Auf diese Weise kann er in der Phanta­sie den Brandbombenangriff erneut erleben und sein zufälliges Überleben akzeptieren.
Da die Geschichte Billy Pilgrims bei mir einen so dauerhaften Eindruck hinterließ, kann aus meiner Sicht ein Militärmuseum in Dresden nur von dem komplizierten Verhältnis der Stadt beim Gedenken an den Zweiten Weltkrieg handeln. Als ich vom Museum und dem Ausstellungskonzept erfuhr, zweifelte ich, ob sich der „Dresden Blick“, der Ort an der Spitze des Keils, an dem Gehwegplatten aus Dresden und aus Städten, die von den Deutschen zerstört worden waren, zu sehen sind und der sich zu einem Panoramablick auf die Stadt öffnet, als angemessen und ausreichend erweisen würde.
Im September besuchte ich das Militärhistorische Museum. Ich bahnte mir den Weg durch die Sammlungsobjekte und die stärker deutenden Ausstellungen und erreichte den Aussichtspunkt auf der Spitze des Keils. Es war ein sonniger Herbsttag. Die Bänder aus Metalllamellen, die die Haut der Außenfassade bilden, erzeugten ein reiches Schattenspiel. Der Boden besteht aus dünnen Gitterrosten. Durch den Rost kann man in den darunterliegenden Raum des Keils, den Abgrund, blicken. Man kann aber auch durch die Metallgitter auf die Stadt schauen. Auch dies ist verstörend: Man fühlt sich wie in einem Käfig gefangen, ferngehalten von der Sache, die man in sich aufnehmen möchte. Oder ist die Stadt die Gefangene, eine Geisel der Erinnerung? Die Deutung bleibt offen, und ich empfand an diesem unbequemen Ort eine deutliche Ambivalenz.
Nach meinem Besuch habe ich den Eindruck, dass diese Bezugnahme auf Dresden im Militärhistorischen Museum mehr als nur angemessen ist: Für mein Gefühl ist hier genau der Ort entstanden, nach dem ich gesucht habe, seit ich vor fast zwanzig Jahren nach Dresden kam – ein Ort, nicht im Sinne einer bestimmten historischen Stätte, wie beispielsweise ei­ner Ruine, oder der Stelle, wo die erste Bombe fiel, sondern in einem konzeptuelleren Sinn.
Ich meine ein Ort, an dem die Spannung zwischen der heutigen, blühenden Stadt und jener unsichtbaren, die hinter ihr lauert, fühlbar wird. Es ist ein Ort, der zum Nachdenken anregt; ich kann mir vorstellen hierherzukommen, so wie ich, als ich in New York lebte, immer wieder auf die Aussichtsterrasse der Twin Towers ging, um auf die Stadt zu blicken, wenn abends die Lichter angehen oder tagsüber das Wechselspiel von Licht und Schatten zu beobachten und zu erleben, wie sich im Nachsinnen über die Stadt meine Gedanken formen.
Ohne den „Dresden Blick“ wäre das Museum nur eine gut konzipierte Ausstellung. Mit ihm werden die Exponate und Räume zu Teilen der komplizierten Handlung eines Romans, der zu seiner Auflösung, eben jenem „Dresden Blick“, führt. Er ist der Höhepunkt, der letzte Akt dieser Geschichte. Hier stehend muss jeder, der – vergleichbar dem Zeitreisenden Billy Pilgrim – einen Blick auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft des deutschen Militärs geworfen hat, sich sein Urteil über Dresdens kompliziertes Verhältnis zum Weltkrieg bilden. Jeder Besucher ist der Autor seiner Version dieser Geschichte, und der Architekt und die Museumskuratoren haben ihm dieses letzte Detail bewusst überlassen.
Gisbert Porstmann | wagt den Vergleich mit einem Hai
Ohne Zweifel – Daniel Libeskinds großer Keil aus Stahlträgern und durchscheinendem Gitterwerk dominiert das gesamte Bauwerk. Das Gebäude wurde 1873 als Waffenlager errichtet, 1897 begann dann bereits die teilweise museale Nutzung, ab 1914 als „Königlich Sächsisches Armeemuseum“. Die Architektur weist eine schlichte Symbolik auf, der große Portikus zitiert das Mo­tiv des römischen Triumphbogens. Passend zur Funktion des Gebäudes entstand so die „ewige“ Triumphfeier der Waffen und der militärischen Siege. Die souveräne Formsetzung Libeskinds unterbricht diese Aussage des Bauwerks radikal und erzwingt eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Neuen. Liebeskind eröffnet auf diese Weise ebenso radikal einen „Denkraum“, dem der Betrachter schwer ausweichen kann.
Dennoch überfängt der stählerne Keil die historische Fassade nur, sie blieb erhalten und schimmert von innen nach außen durch. Die neue architektonische Aussage – das Aufbrechen der ungebrochenen wilhelminischen Militärtra­dition – wäre noch kraftvoller gelungen, wenn der Keil als wirklicher Baukörper das Arsenal durchschnitten hätte. Doch liegt in dieser Zurückhaltung zugleich auch der Gewinn genau dieses Entwurfs. Hier zeigt sich, auf die Außenansicht bezogen, der denkmalpflegerische Umgang mit der überkommenen Fassade.
Libeskinds Architektur ist als Bild gedacht und fordert so zur bildnerischen Interpretation auf. Der große Keil dominiert zwar das gesamte Gebäude, aber er überhöht es eben nicht in einer aufstrebenden Siegespose. Der Keil aus Stahl und Gitterwerk erscheint in seinem Zusammenklang der Linien und Dreiecksflächen widersprüchlich, vor allem in seiner Ansicht von West nach Ost. Die nach Westen gekehrte Dreiecksfläche strebt steil nach oben, die andere aber wirkt abfallend, sinkend. Es sei der Vergleich mit einem Hai gewagt, der nach ei-nem erfolglosen Angriff über Wasser zurück ins Meer sackt. In der Ansicht aus entgegengesetzter Richtung erhält die riesige Form den Charakter eines Zeigers, der in Richtung des Dresdner Ostrageheges weist und so einen Zusammenhang zur Zerstörung Dresdens im Februar 1945 herstellt. Diese Dimension der Architektur erschließt sich aber nur durch die erläuternde Erklärung. Insgesamt „spricht“ die große Dreiecksform eine aggressive architektonische Sprache, das wiederum steht einem Militärhis­torischen Museum gut zu Gesicht.
Volker Sielaff | hat im Wörter- buch nachgelesen
Im grammatisch-kritischen Wörterbuch der hochdeutschen Mundart lese ich: „Die kegelförmigen Belemniten sind im gemeinen Leben unter dem Namen der Donnerkeile bekannt, weil man ehedem glaubte, daß sie mit dem Blitze auf die Erde fielen.“ Aber das Wort Keil kann auch auf einen hölzernen Pfeil verweisen oder einen Keil Brot oder Butter bedeuten, „ein an einem Ende zugespitztes Brot, ein zugespitztes Stück Butter“; und im Bergbau eine Ader Erz oder Stein, welche sich am Ende zuspitzt. Das Wort ist dem niedersächsischen Kiel verwandt, dem dänischen Kile, dem schwedischen Kil, wo auch Kilt Falte bedeutet. Und ich denke an
Keilerei – im Wendischen, so lese ich, ist kalam, kloju, gleichbedeutend mit hauen, stechen, spalten.
Oft bin ich in den vergangenen Tagen mit der Straßenbahn am Militärhistorischen Museum vorbeigefahren. Den Libeskind-Keil sieht man nur kurz aufblitzen. Seine Spitze zeigt genau auf den Ort in Dresden, über dem die Bomber 1945 ihre Zielmarkierungen abwarfen. Das waren keine Blitze, die auf die Erde fielen. Vieles wirkt nach bis heute: Jedes Jahr wird in Dresden vor dem 13. Februar über die richtige Erinnerungskultur gestritten. Ich denke mir, Libeskind wollte auch einen Keil treiben in die von Francis Fukuyama aufgestellte These vom „Ende der Geschichte“, die inzwischen von den Tatsachen überholt worden ist: Wahrscheinlich leben wir in so geschichtsträchtigen Zeiten wie selten zuvor.
Fakten
Architekten Libeskind, Daniel, New York; HG Merz Berlin/Stuttgar; Holzer Kobler, Zürich
aus Bauwelt 43.2011

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