Bauwelt

Eingezwängte Melange

Erweiterung der Universität für angewandte Kunst Wien

Text: Novotny, Maik, Wien

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1. Rang: Wolfgang Tschapeller

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1. Rang: Wolfgang Tschapeller


Eingezwängte Melange

Erweiterung der Universität für angewandte Kunst Wien

Text: Novotny, Maik, Wien

In der schmalen Lücke zwischen zwei Altbauten will sich die Universität für angewandte Kunst in Wien erweitern. Die prämierten Vorschläge wirken wie Raumschiffe aus einer längst vergangenen Zeit und zeigen das Dilemma vom Vermarktungsdruck im Weltkulturerbe. 
Die Erfolgsgeschichte ist so lang wie die Liste ihrer großen Namen. Die Wiener Universität für angewandte Kunst, kurz: „die Angewandte“, hat die Kunst und die Architektur der letzten 150 Jahre weltweit geprägt. Otto Wagner, Josef Hoffmann, Oskar Kokoschka und Gustav Klimt haben in dem 1877 von Heinrich Ferstel errichteten Bau an der Ringstraße studiert oder gelehrt – als nüchterne Abfolge orthogonaler Raumkuben und mit historistischem Dekor im Kern war und ist er und dafür bestens geeignet. Ihre nicht weniger renommierten Nachfolger bekamen 1965 einen weiteren Zweckbau, der einen schmalen Hof als Restfläche hinterließ. Architekt Karl Schwanzer hatte ihn als Hochregallager aus gestapelten Ateliers ans Ufer des Wienflusses gesetzt. Und auch dieser Bau funktionierte vorzüglich. Hier brüteten die Protagonisten des Wiener Aktionismus in den späten 60er Jahren ihre subversiven Happenings aus, mit denen sie das verschlafene Nachkriegs-Österreich in Aufruhr versetzten.
Aufruhr provozieren, sich bemerkbar machen, ein Zeichen setzen: Das will die Angewandte auch heute. Nachdem man wegen Platzmangels durch steigende Studentenzahlen vor einigen Jahren erwogen hatte, hinaus in die unwirtliche Donau City jenseits des Flus­ses zu ziehen, entschied man sich jetzt doch, in der Stadt zu bleiben und hier baulich zu erweitern. Nicht nur durch Aktionismus, auch städtebaulich-räum­lich will man in Wien präsent sein, sich einmischen.
Und genau hier liegt das Problem. Für die 10.000-Quadratmeter-Erweiterung bleibt wenig mehr als der schmale Hof zwischen den beiden inzwischen denkmalgeschützten Zweckbauten. In der Höhe ist man begrenzt, denn die Stadt, ängstlich und übernervös, den Weltkulturerbe-Status der Wiener Innenstadt zu verlieren, mahnt zur Diskretion in der Dachlandschaft. Eine starke, zeitgenössische Geste, die zugleich Zurückhaltung übt, ein bisschen aus dem Hof hinauswinkt, aber bitte nicht zu sehr – eine Eier legende Wollmilchsau. Dass die Angewandte mit Professoren wie Wolf D. Prix, Zaha Hadid, Eric Owen Moss, Hani Rashid und Greg Lynn heute für eine Architektursprache steht, die mit aller Kraft um Aufmerksamkeit heischt, machte die Sache nicht leichter. Wer am Wettbewerb teilnahm, konnte sich unschwer denken, was hier erwünscht war.
Zwar gewann am Ende keiner der Professoren (alle außer Greg Lynn nahmen teil), doch die Entscheidung der Jury (u.a. Peter Cook, Odile Decq, Benedetta Tagliabue, Klaus Kada, Vorsitz: Carl Pruscha) lässt vermuten, dass es ihr um einen explizit expressiven Gestus ging. Das Siegerprojekt von Wolfgang Tschapeller mag in seiner Feingliedrigkeit noch eher still sein, die filigranen Blasen in der Glasfassade des Entwurfs lassen sich jedoch unschwer als Referenz an die Bubbles der Haus-Rucker-Co-Stadtcollagen der späten 60er Jahre lesen. Ob sie den engen Zeitplan und das erst bis zum Vorentwurf gesicherte Budget des Auslobers, die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), überleben, wird ebenso abzuwarten sein wie die Funktionsfähigkeit des über alle Geschosse laufenden Treppenhauses, das Tschapeller dem Schwanzer-Trakt als interdisziplinären Boulevard vorhängt.
Wollmilchsau ja, Eier nein
Noch deutlicher zeigt sich in den nachgereihten Projekten die Anstrengung, große Gesten ins enge Raumkorsett zu zwängen. Coop Himmelb(l)au (2. Rang) setzten sich über das vorgeschriebene Bauvolumen hinweg, doch ihr über das Ferstel-Dach ragender Wolkenbügel zerschellte am Veto der Stadt. Dem Projekt von Eric Owen Moss und Susanne Zottl, die den Hof mit einem Gewirr aus Stegen und freigeformten Hörsälen zuhängten, sprach die Jury die Realisierbarkeit ab, aufgrund des „künstlerischen Ansatzes“ honorierte sie es dennoch mit dem 3. Rang. Beiträge wie das gekantete gläserne „Tuch“ von Staab Architekten aus Berlin oder der bis auf die Fassade überraschend zurückhaltende Entwurf von Zaha Hadid erreichten zwar die 2. Runde, wurden trotz Erfüllung aller Kriterien aber nach hinten gereiht. Die Jury sah in ihnen eine zu wenig eigenständige, mit dem Bestand verschmelzende Aufdopplungen des Schwanzer-Traktes – Wollmilchsau ja, Eier nein.
Doch muss die Architektur für eine Kunsthochschule ostentativ „Kunst“ rufen? In den Bauten von Schwanzer und Ferstel ist großartige Kunst entstanden, wohl auch, weil die Architektur die Künstler in Ruhe gelassen hat. Derart souveräne Zurückhaltung findet sich unter den prämierten Arbeiten nicht. Den Architekten ist das weniger vorzuwerfen als den widersprüchlichen Wünschen der typisch komplizierten Wiener Melange: eine Hochschule, die in Zeiten knapper Kulturbudgets mit steter Präsenz für sich werben muss, und restriktive Kräfte von Stadt und Denkmalschutz unter dem Damoklesschwert des Weltkulturerbes. Man wird sehen, ob sich die Angewandte mit der Entscheidung für den Standort und für eine Architektur, die Kunst als Marke darstellen muss, anstatt sie einfach zu ermöglichen, einen Gefallen getan hat.
vollständiges Ergebnis:
Nicht offener Realisierungswettbewerb
1. Rang Wolfgang Tschapeller, sglw architekten, Wien | 2. Rang Coop Himmelb(l)au, Wolf D. Prix & Partner, Wien | 3. Rang Susanne Zottl, Eric Owen Moss, Wien | Anerkennung Morphosis Architects Corp., Thom Mayne, New York, Bettina Zerza, Salzburg
Fakten
Architekten Wolfgang Tschapeller, sglw architekten, Wien; Coop Himmelb(l)au, Wolf D. Prix & Partner, Wien; Staab Architekten, Berlin; Zaha Hadid Architects, London; Susanne Zottl, Eric Owen Moss, Wien
aus Bauwelt 12.2012
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