Bauwelt

Bildstörung und dergleichen

Arbeiten des Filmkünstlers John Smith in Hannover

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

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Filmstill © John Smith, Courtesy John Smith; Tanya Leighton Gallery, Berlin

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Filmstill © John Smith, Courtesy John Smith; Tanya Leighton Gallery, Berlin


Bildstörung und dergleichen

Arbeiten des Filmkünstlers John Smith in Hannover

Text: Brosowsky, Bettina Maria, Braunschweig

Eine Lilienblüte streckt sich im Zeitraffertempo dem Sonnenlicht entgegen, Vogelgezwitscher untermalt dieses idyllische Bild. Doch nach kurzer Zeit ändert sich der Sound, ein technisches Geräusch gewinnt allmählich die Oberhand.
Und auch die Entfaltung der Blüte scheint nun gestörten Bedingungen zu gehorchen, Staubblätter und Fruchtknoten knicken ab, die Blüte verliert zusehends an Dreidimensionalität, schließlich tritt Pflanzensaft aus, eine Glasscheibe zerspringt: Offenbar wurde die Blüte in einer geheimnisvollen Apparatur zwischen zwei Gläsern zerquetscht. Das schöne Bild, die Illusion der Natur, zerbricht im wörtlichen wie abstrakten Sinne und gipfelt in einer surrealistischen Fiktionsbrechung. „The Kiss“ heißt der fünfminütige Film.
Solche hintersinnigen, mitunter skurrilen Szenen und Motive sind das Markenzeichen des englischen Film-Künstlers John Smith. Lange Jahre galt der 1952 im Londoner Osten geborene Smith als Geheimtipp, mit seiner Teilnahme an der Berlin Biennale 2010 rückte er schließlich ins deutsche Interesse. Die Kestnergesellschaft Hannover zeigt jetzt eine Auswahl seiner älteren Arbeiten.
John Smith findet seine Themen im Alltäglichen. Die Orte seiner Handlungen sind meist banal: Straßenzüge in London, eine Kreuzung in Wien, die er aus seinem Hotelzimmer im Blick hat. Manchmal bietet ihm sogar nur das Interieur eines Zimmers Anlass zu Assoziationen. Als er sich beispielsweise 2001 in Irland aufhält, hat der Afghanistankrieg gerade begonnenen. Das defekte Fernsehgerät in seinem Hotelzimmer lässt ihn über einen kriegsbedingten Ausfall des Senders spekulieren: Wenn das Gerät nur ein gefrorenes Standbild zeigt, statt ihn mit Nachrichten aus Afghanistan zu versorgen, muss es sich ja nicht zwangsläufig um eine Bildstörung handeln. Der anonyme Krieg in vermeintlich sicherer Ferne erhält auf einmal eine persönlich beunruhigende Komponente. Oder die propere Glasbausteinwand zum Bad seines Berliner Hotelzimmers: Sie lässt ihn darüber sinnieren, weshalb er das jüdische Museum von Daniel Libeskind nicht betreten möchte (wegen des israelisch-palästinensischen Konflikts), obwohl ihn die Architektur durchaus interessiert hätte. Der Einbindung weltpolitischer Geschehnisse in ganz individuelle Wahrnehmungsmomente, stets ausgelöst durch Details der Hotelzimmer während seiner Reisen, widmete John Smith die siebenteilige Serie „Hotel Diaries“, die bis 2007 entstand.
Neben diesen zum Teil sehr kurzen Arbeiten ist in Hannover auch der 24-Minüter „The Black Tower“ aus den Jahren 1985–87 zu sehen. Der Erzähler entdeckt über den Dächern einer ihm vertrauten Straße einen schwarzen Turm. Dieser taucht in der Folgezeit immer wieder an unterschiedlichen Orten auf, er scheint den Protagonisten geradewegs zu verfolgen. Den Turm genau zu lokalisieren, gelingt aber nicht, ebenso wenig erschließt sich dessen Funktion. Unerwartete Filmschnitte und die monochromen Leerräume, die zu der kontinuierlichen Erzählstimme eingeblendet werden, lassen die Bedrängnis des Protagonisten bald auch für den Betrachter physisch spürbar werden. Schließlich wird das Filmbild vollkommen schwarz, die Tonspur läuft jedoch weiter. Als das britische Fernsehen den Film ausstrahlte, riefen besorgte Zuschauer an. 50 Jahre nach Orson Welles’ legendärem Radiofeature „Krieg der Welten“, das 1938 die USA mit der Nachricht einer Landung Außerirdischer in Aufruhr versetzte, scheint in unserer aufgeklärten Welt nach wie vor eine unreflektierte Mediengläubigkeit zu herrschen; Fiktion und Realität liegen dicht beieinander. Mit seiner minimalistischen Filmkunst übertritt John Smith die Grenze zwischen beiden immer wieder.
Fakten
Architekten Smith, John, London
aus Bauwelt 12.2012
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