Bauwelt

Bedrohungsszenarien

Text: Ingersoll, Richard, Montevarchi; Osiecka, Kasia, Warschau

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Bedrohungsszenarien

Text: Ingersoll, Richard, Montevarchi; Osiecka, Kasia, Warschau

Naturgewalten, von Menschen verursachte Katastrophen, kriegerische Handlungen – unsere Städte und ihre Bewohner sehen sich von jeher mit einer Vielzahl von Bedrohun­gen konfrontiert, wie Richard Ingersoll in seinem einleitenden Kommentar darlegt. Wir haben uns umgehört, welche Orte als Geisterstädte der Zukunft gehandelt werden – und was sich dahinter verbirgt.
Die heutigen Städte wirken auf uns so dauerhaft, dass wir uns ihren Untergang kaum vorzustellen vermögen. Doch die meisten Städte in der Geschichte wurden irgendwann einmal aufgegeben. Die Erde ist übersät von den Zeugnissen bemerkenswerter verlassener Städte: Ur, Angkor Wat, Machu Picchu, Teotihuacan, Palmyra, Fatehpur Sikri. Große Erzählungen berichten von den Katastrophen, denen sie anheimfielen, verursacht von der Natur oder von Menschen (und selbst vom Zorn Gottes, wenn wir an Sodom und Gomorrha denken). Viele Städte scheinen ohne großes Trauma verschwunden zu sein, so Çatalhöyük, die matriarchalisch organisierte jungsteinzeitliche Siedlung in Anatolien, die offensichtlich ohne Gewalteinwirkung im 5. Jahrtausend v. Chr. aufgegeben wurde, oder die antiken Hauptstädte Tell-el-Amarna und Dur Šarrukin (Chorsabad) im alten Assyrien, welche die Einwohner gleich nach dem Tod der Herrscher, die sie errichtet hatten, verließen.
Drei Szenarien lassen sich also für den Untergang der meisten historischen Städte anführen. Da sind zunächst Natur­katastrophen: Brände, Überflutungen, Erdbeben, Vulkanausbrüche und Hurrikane. Man kann nicht behaupten, dass die Menschen an diesen Katastrophen direkt schuld wären. Verantwortlich sind sie jedoch für die schlechte Wahl von Siedlungsplätzen und für den Einsatz schlechter baulicher Techni­ken. Pompeji am Fuße des Vesuv zu errichten war zweifellos ein Risiko und ist es immer noch, denn heute leben hier tausendmal so viele Menschen wie einst. Mike Davis kommt in Bezug auf die Lage von Los Angeles zu ähnlichen Schlüssen: Die Stadt ist ständig von Erdbeben, Waldbränden, Überschwem­mungen, Dürren und vielleicht sogar Flutwellen bedroht.
Nach den Naturkatastrophen sind von Menschen verur­sachte Katastrophen zu nennen: Brände (in diesem Fall bewusste Brandstiftungen), Wanderungsbewegungen, Krisen in der Wasserversorgung, Hungersnöte, Seuchen und sogar Arbeitslosigkeit. Die gewaltige erste Stadt, Ur, erschöpfte ihre Möglichkeiten, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren, weil der überbeanspruchte Boden versalzte. Im 16. Jahrhundert erwies es sich als unmöglich, Fatehpur Sikri, die Hauptstadt des Mogulreichs, mit genügend Wasser für eine große Bevölkerung zu versorgen. In den 1970er Jahren konnte sich Detroit, das Zentrum der US-amerikanischen Autoindustrie, nicht an die neuen, flexiblen Arbeitsformen in der Wirtschaft anpassen, die Downtown wurde zur Geisterstadt. 1986 erwies sich der Unfall im Kernkraftwerk von Tschernobyl als die düsterste Vernichtung einer Stadt durch menschliches Versagen, zumal die Gefahr nicht gebannt ist, da der Zementsarg über den 200 Tonnen geschmolzenen Urans immer neue Risse zeigt. Zu Recht bezeichnete daher Paul Virilio diese Katastrophe als traurigen Höhepunkt der conditio humana.
Und schließlich ist da noch der Krieg als größtes selbstverschuldetes Problem der Menschheit. Unzählige Städte wur­den infolge von Bürgerkriegen, zwischenstaatlichen Kriegen, Kolonialismus, Terrorismus und Racheakten zerstört. Der Fotograf Gabriele Basilico zeigte Beirut im Jahr 1991, nach einer 15-jährigen Orgie der Zerstörung, als eine Stadt, in der scheinbar kein Leben mehr möglich war. Die erste Atombombe, abgeworfen auf Hiroshima am 6. August 1945, tötete binnen weniger als einer Minute 60.000 Menschen und hinterließ eine unter radioaktivem Schutt begrabene, scheinbar für immer unbewohnbare Stadt. Die Zerstörung des mittelalterlichen Bagdad durch die Mongolen im Jahr 1258 zog eine Blutspur durch ganz Asien.
Doch in all diesen Fällen kehrte nach einer Zeit des Übergangs das Leben zurück. Nur sehr wenige durch Krieg zerstörte Städte blieben verödet. Selbst Roms gefürchteter Erz­rivale Karthago, das nach drei mehrere Jahrhunderte wäh­renden Kriegen 146 v. Chr. vollständig zerstört worden war, wurde schließlich nach römischem Grundriss wieder aufgebaut und blieb bis ins 7. Jahrhundert die Hauptstadt der römischen Provinz Afrika. Bei all diesen Zerstörungen starb niemals die Stadt an sich. Gleichgültig, wie groß das Ausmaß der Verwüstung war, ob Pompeji unter Asche versunken oder London zu Asche verbrannt war, als Ort existierte die Stadt weiter, ihr Genius Loci blieb erhalten. Nur das Leben war aus diesen Orten gewichen und kehrte in den meisten Fällen, so nach dem großen Brand von London (1666), gleich nach der Katastrophe wieder zurück. Jerusalem wurde beispielsweise nicht weniger als siebzehn Mal zerstört. Nachdem Kaiser Hadrian die Stadt zerstört hatte, ließ er sie nach römischem Grundriss unter dem neuen Namen Aelia Capitolina wieder aufbauen, um auf diese Weise ihre historische Identität auszulöschen und den Widerstand gegen die römische Herrschaft zu brechen. Aber trotz der zahlreichen Zerstörungen kehrte das Leben immer wieder nach Jerusalem zurück, heute ist es die älteste kontinuierlich besiedelte Stadt der Welt.
Tokio, Japan | Erdbeben
Die am meisten gefährdete Mega-Stadt weltweit ist Tokio – glaubt man einer Studie japanischer und amerikanischer Wissenschaftler für die Mün­chener Rückversicherungsgesellschaft. Unterhalb Japans treffen die pazifische und die philip­pinische mit der nordamerikanischen und der eurasischen Kontinentalplatte zusammen, deren Verschiebungen schwerwiegende Erdbeben verursachen. Nach Schätzungen des Tokyo Metropolitan Governments (TMG) könnte ein großes Beben je nach Lage des Epizentrums und nach Tageszeit bis zu 13.000 Todesopfer kosten bzw. 800.000 Häuser zerstören und wichtige Infrastruktur und petrochemische Anlagen beschädigen. In der Folge eines Bebens der Stärke 8 auf der Richterskala werden zudem großflächige Brände und ein Tsunami befürchtet. Beim gro­ßen Kanto-Erdbeben der Stärke 7,8 kamen 1923 140.000 Menschen ums Leben. Berechnungen der Universität Duisburg ergaben 1996, dass ein ähnliches Beben Ende des 20. Jahrhunderts zu einem wirtschaftlichen Schaden von bis zu 2500 Milliarden US-Dollar geführt hätte.
Laut einer Studie des Earthquake Research Committees aus dem Jahr 2005 besteht eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent, dass in den nächsten dreißig Jahren im Großraum Tokio ein Erdbeben bis zur Stärke 7 auftritt. Das TMG hat 2003 den sogenannten „Förderplan für die Schaffung einer katastrophengeschützten Stadt“ verabschiedet, der durch großflächige urbane Restrukturierungsmaßnahmen die Folgeschäden eines Erdbebens und die Anfälligkeit der Stadt für Großbrände reduzieren soll.
Banjul, Gambia | Anstieg des Meeresspiegels, Küstenerosion
Der Anstieg des Meeresspiegels könnte neuesten Studien zufolge bis zum Jahr 2100 zwischen 76 Zentimetern und zwei Metern betragen. Dies hätte verheerende Konsequenzen für viele an der afrikanischen Westküste gelegene Städte, so auch für Gambias Hauptstadt Banjul. Die Stadt, die Anfang des 19. Jahrhunderts als britischer Militärstützpunkt an der Mündung des Gambia-Flusses in den Pazifischen Ozean angelegt wurde, zählt heute ca. 33.000 Einwohner. Der älteste Teil der dicht besiedelten afrikani­schen Metropole liegt auf einer flachen Sandbank-Halbinsel, weniger als einen Meter über dem mittleren Meeresspiegel. Hier befinden sich die wichtigsten administrativen Institutionen, eine Weltkulturerbestätte, Industrieareale und der Containerhafen. Ein Wasseranstieg von ei­nem Meter würde den Verlust von 7,8 km² Landfläche bedeuten und das Naturschutzgebiet, das die Stadt im Südwesten begrenzt, zerstören.
Der Anstieg des Meeresspiegels verschärft bereits jetzt die bestehenden Probleme der Stadt. Schon seit den 70er Jahren ist Banjul we­-gen des vermehrt ins Grundwasser eindringenden Meerwassers auf eine Trinkwasserversor­gung durch Pipelines angewiesen. Auch leidet die Stadt seit Jahrzehnten an einer gravieren­den Erosion der Küstenlinie. Zwischen 1972 und 1993 betrug die durschnittliche Küstenerosionsrate 2,5 Meter pro Jahr. Während der Fluss im touristisch unattraktiven Südteil der Stadt stetig Sandmassen ins Meer spült, so dass der Hafen und die Schiffwege versanden, wird im Norden so viel Land abgetragen, dass Banjul langsam seine Strände und damit langfristig auch die Touristen verliert, die mit etwa 10 Prozent der Staatseinnahmen einen wichtigen ökonomi­schen Faktor ausmachen. Laut dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP ist es zu­dem durchaus möglich, dass der Dual Carriage Way – die Hauptverkehrsader, die Banjul mit dem Landesinneren verbindet – innerhalb der nächsten Jahre vom Meer weggeschwemmt wird. Mit einer Million US-Dollar pro Kilometer war diese Straße das bisher teuerste Infrastrukturprojekt Gambias, ihr Verlust würde schwere wirtschaftliche Folgen für das gesamte Land bedeuten. Gambias Ministerium für Wasserressourcen und die Agentur für Umwelt warnen, dass ohne konkrete Rettungsmaßnahmen die Banjul-Halbinsel innerhalb der nächsten vierzig bis fünfzig Jahre unter der Wasseroberfläche verschwinden wird.
Detroit, USA | Bevölkerungs­verlust
Boomende „Motor-City“ und Vorzeigestadt der USA: 1950 hatte Detroit rund zwei Millionen Einwohner. Ende des 20. Jahrhunderts fiel die Bevölkerungszahl erstmals unter die Millionen-Grenze, heute zählt die Stadt unter 900.000 Einwohner, Tendenz sinkend. Laut einer Studie des Washingtoner Brookings Instituts hat die Innenstadt zwischen 1980 und 2000 ein Fünftel ihrer Bevölkerung verloren, während die Vor­orte in der Metropolregion einen leichten Anstieg der Einwohnerzahl verzeichneten, was der Stadt den Spitznamen „Donut“ eingebracht hat.
Heute leben nur 21 Prozent der Bevölkerung in Downtown Detroit, laut der Statistik der Studie zu 80 Prozent Afroamerikaner. Die Weißen leben in den umgebenden Vororten. Obwohl das Durchschnittseinkommen in der gesamten Stadt seit 1990 gestiegen ist, liegt es immer noch deutlich unter dem amerikanischen Durchschnitt. Die Mieten zählen zwar zu den zweitniedrigsten in den Vereinigten Staaten, sind jedoch im Verhältnis zu den Einkommen hoch. Detroit hat verglichen mit den meisten anderen amerikanischen Großstädten eine sehr junge Bevölkerung, 31 Prozent aller Einwohner sind unter 18. Die Bildungsrate ist extrem niedrig,
im Jahr 2000 hatten nach Angaben des Broo­-k­ings Instituts nur elf Prozent der Gesamtbevölkerung einen College-Abschluss. Im Jahr 2009 betrug die Arbeitslosenquote 28 Prozent.
Detroit ist längst zu groß für sich selbst. Fast ein Drittel der Stadtfläche bilden ungenutzte Areale, Ende 2009 standen ca. 80.000 Häuser leer. Da die Stadt über immer geringere Einnahmen verfügt, werden verlassene Quartiere seltener von der Polizei patrouilliert. Die Folge ist eine hohe Kriminalität in der Innenstadt. Die Mordrate steigt, sieben von zehn Mord­fällen bleiben ungelöst. Detroits Bürgermeister Dave Bing sieht die einzige Lösung in einem ra­dikalen Schritt. Anstatt Stadtteile unkontrolliert verwahrlosen zu lassen, möchte er nur die intakten Subzentren erhalten. 100 km2 der rund 360 km2 Stadtfläche sollen von der städtischen Versorgung abgekoppelt und re-ruralisiert werden. Ein Investor, der auf 0,5 km2 Fläche mit dem Aufbau der „größten städtischen Farm der Welt“ beginnen möchte, steht schon bereit.
Derweil arbeitet im Staat Oregon ein Namensvetter der Stadt an seiner Umbenennung, um sich von der bekannten Großstadt zu distanzieren. Die Bewohner des Skiorts Detroit befürchten, dass die Konnotation mit einer der gefährlichsten Städte der USA potenzielle Tou­risten verschrecken könnte.
Mexiko-Stadt, Mexiko | Trinkwassermangel und Ab­senkung
Mexiko-Stadt liegt in einer seismisch aktiven Zone, umgeben von Vulkanen. Doch das Hauptproblem der Stadt ist ein anderes: Wassermangel. Im 17. Jahrhundert ließen die spanischen Konquistadoren nach großen Überschwemmun­gen die Seen um die ehemalige Aztekenstadt trockenlegen. Dies führte dazu, dass kein Trinkwasser mehr an der Oberfläche zur Verfügung stand. Seither ist die grundwasserführende Schicht unter der Stadt Hauptquelle der Trinkwasserversorgung.
Die 22 Millionen Bewohner der Metropolregion verbrauchen heute über sechs Milliarden Liter Wasser pro Tag. Dieser enorme Bedarf führt zu einem steten Absinken des Grundwas­serspiegels, da nur halb so viel Wasser nachfließt, wie verbraucht wird. Eine Wasserknappheit ist absehbar. Eine alternative Versorgung durch Wasserpipelines aus dem Umland ist zwar grundsätzlich möglich, aber mit enormen Kos­­­-ten verbunden. So wurde 2008 nur ein Drittel des Wassers vom 4000 Meter tiefer und 150 Ki­lometer westlich gelegenen Cutzamala-Stausystem in die Stadt gepumpt.
Das zunehmende Austrocknen der wasserführenden Schicht ist auch der Grund für ein wei­teres schwerwiegendes Problem der Stadt: Je mehr Wasser aus dem Boden gezogen wird, desto mehr verdichten sich die Sedimente der Schicht, und Teile der Stadt sinken, in den letzten hundert Jahren um ganze neun Meter. Deutlich wird dies am Monumento a la Independencia. Beim Bau des Denkmals führten 1910 neun Stufen bis zum Sockel. Heute sind es 23, da die umgebenden Straßen inzwischen tiefer liegen.
Obwohl die Verdichtung der Erdschichten irreversibel ist, bezieht die Hauptstadt weiterhin einen Großteil des Wassers aus dem Boden. Zwar ist es seit 1954 verboten, im Zentrum Grundwasser abzupumpen, die Zapfstellen wurden aber lediglich in die Peripherie verlagert, was den Prozess verlangsamte, aber nicht stoppte. Laut der Geological Society of America lag die jährliche Absinkrate im Zentrum zwischen 1996 und 2000 bei 11,5 Zentimetern pro Jahr, in den östlichen Außenbezirken bei bis zu 37 Zentimetern. Dies führt zu sichtbaren Rissen in Gebäuden und Straßen, aber auch zu Schä­-den an den Schienen des U-Bahn-Netzes und den Rohrleitungen, aus denen derzeit ein Drittel des eingeleiteten Wassers ungenutzt versickert.
Da der größte Teil der Stadt mittlerweile tiefer als der nahe Salzsee Texcoco liegt, werden auch Überschwemmungen immer wahrscheinlicher. Der Umzug der Metropole in eine siche­rere Gegend, wie ihn die Spanier während des Hochwassers um 1630 erwogen hatten, bleibt trotz der Gefahren äußerst unrealistisch.
Neapel, Italien | Vulkan­ausbruch
In dem von einem Ausbruch des Vesuvs gefährdeten Gebiet in und um Neapel leben mehr
als drei Millionen Menschen, mehr als eine halbe Million davon in der „roten Zone“ in unmittelbarer Nähe des Vulkans. 2006 fand eine italienisch-amerikanische Forschergruppe heraus, dass sich 3780 v. Chr. ein noch weit stärkerer Ausbruch ereignet hatte als der bisher bekannte aus dem Jahr 79 n. Chr., dem Pompeji und Herkulanum zum Opfer fielen. Über archäologische und vulkanologische Analysen schließen sie auf ein enormes Ausmaß: So soll sich eine 36 Kilometer hohe Eruptionssäule bis in die Stratosphäre aufgebaut haben, so dass die heiße Asche bis zu 25 Kilometer entfernt gelegene Gebiete erreichte. Die als Avellino bezeich­nete Eruption sollte laut den Experten als ein mögliches Worst-Case-Szenario angenommen werden. Bisher sind die Behörden nur auf Ausbrüche wie den von 1944 vorbereitet, die sich etwa alle hundert Jahre ereignen, für größere Eruptionen liegen keine entsprechenden Evakuierungspläne vor. Aufgrund der neuen Daten gehen die Forscher jedoch davon aus, dass sich ein größerer Ausbruch durchaus ca. alle zwei­tausend Jahre wiederholen könnte.
Iwanowo, Russland | Bevölke­rungsverlust
Die Bezirkshauptstadt Iwanowo liegt etwa 300 Kilometer nordöstlich von Moskau in einer der ärmsten Regionen Zentralrusslands. Im
19. Jahrhundert und in der Sowjetzeit war Iwa­nowo ein Zentrum der Textilproduktion. Der allmähliche Niedergang der Stadt und der gesamten Provinz begann bereits in den 1930er Jahren, als die Sowjetunion unter Stalin die Schwerindustrie in den wirtschaftlichen Mittelpunkt rückte. Einen noch größeren Strukturwandel brachte allerdings die Perestroika ab Mitte der 80er Jahre, in deren Folge die Baumwollzufuhr aus Zentralasien unterbrochen wurde. Viele der Textilfabriken wurden geschlossen, ihre Arbeiter entlassen. Die Einwohnerzahl ist seit 1989 um über 30.000 auf 448.000 gesunken und wird von Jahr zu Jahr weniger, manche Städte und Dörfer in der Region haben fast ein Fünftel ihrer Bevölkerung verloren. Auch geht die Geburtenzahl zurück, während die Sterblich­keitsrate seit 1990 ununterbrochen steigt.
Iwanowo besitzt zwar einige Hochschulen und Ausbildungsstätten, kann die junge Bevölkerung allerdings nicht langfristig in der Stadt halten. Die boomende Metropole Moskau bietet einen besseren Lebensstandard und viel mehr Arbeitschancen. Hinzu kommt, dass in Iwanowo trotz der fortschreitenden Entvölkerung Wohnungsnot herrscht. Da ein Großteil der Wohn­sub- stanz jahrelang vernachlässigt wurde, sind viele Häuser baufällig.
Timbuktu, Mali | Desertifikation
Die fortschreitende Wüstenbildung stellt in vielen Ländern am Südrand der Sahara eine Bedrohung dar. Als besonders gefährdet gilt die Stadt Timbuktu im westafrikanischen Mali, die derzeit rund 55.000 Einwohner zählt. Am nördlichen Rand der Sahelzone gelegen, fünf Kilometer vom Niger entfernt, kreuzten sich hier einst die wichtigsten Handelswege Afrikas. Sei­ner Blütezeit als islamisches Gelehrtenzentrum des 15. und 16. Jahrhunderts verdankt Timbuktu eine bis heute erhaltene Lehmarchitektur, die zum Teil zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Seit einigen Jahren führen lange Dürreperioden dazu, dass Sanddünen auf die Verbindungsstraßen und in den Stadtraum eindringen und der Flussarm, der Timbuktu mit dem Hafen am Niger verbindet, versandet. Obendrein verursachen saisonale Platzregen kurzzeitige Überschwemmungen des Nigerbogens und gefährden nach Angaben der World Heritage Conven­tion die historischen Lehmbauten der Stadt.
Forschungsergebnisse der Norwegian University of Life Sciences deuten jedoch darauf hin, dass die Ausbreitung der Wüste nach Süden gar keine klimatische Anomalie der letzten Jahrzehnte ist. Durch die Auswertung mehrerer Studien kamen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass die Abwechslung langer Dürre- und Feuchteperioden eher ein typisches Merkmal die­ser Region ist. Die viel zitierte Desertifikation von Timbuktu bezeichnen sie als einen europäischen Mythos.
Jakutsk, Russland | Erd­erwärmung
In Russland stellt das mögliche Abtauen des Permafrosts, der 65 Prozent des Landes bedeckt, eine der größten Gefahren infolge der Erderwärmung dar. Besonders betroffen ist die flächenmäßig größte Republik der Russischen Föderation, die Republik Sacha (auch Jakutien) im Nordosten Russlands, die zu 98 Prozent auf Permafrost liegt. Ihre Hauptstadt Jakutsk ist mit rund 270.000 Einwohnern die größte Stadt, die gänzlich auf Permafrost gründet. Nur 450 Kilometer unterhalb des nördlichen Polarkreises gelegen, schwanken die Temperaturen hier zwischen +30°C im Sommer und unter -50°C im Winter, so dass die 300 Meter tiefe Frostschicht im Sommer um ein bis zwei Meter auftaut.
Diese extremen Bedingungen sind von je­her ein konstruktives Problem für den Haus­-bau in Jakutsk. So sacken die traditionellen Holz- häuser in ihrer Mitte, wo die Abwärme des Hauses den Boden zusätzlich anschmilzt, tiefer in den Boden ein. Weil Betonfundamente im aufgetauten Sommerboden zu schwimmen beginnen und allmählich abkippen, hat das Per­ma­frost Institut der Sibirischen Akademie der Wissenschaften in Jakutsk in den 1940er Jah­-ren eine spezielle Bauweise entwickelt, bei der die Häuser auf Betonpfeilern aufgesetzt werden, so dass die Wärme unter dem Haus abgelüftet werden kann. Die Tragfähigkeit der Pfeiler hängt von der Beschaffenheit des Bodens, dessen Temperatur und der Länge der Einbettung des Pfeilers in der Permafrost-Schicht ab.
Der unerwartet rapide Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur in Ostsibirien von  -10 auf -8 Grad in den letzten 25 Jahren und die damit verbundene steigende Bodentemperatur in Sacha erhöht kontinuierlich die Tiefe der im Sommer antauenden Schicht und gefährdet dadurch die Tragfähigkeit der Pfeiler, die entsprechend der Bodenbeschaffenheit der 40er Jahre dimensioniert sind. Zwischen 1990 und 1999 hat die Zahl der Gebäudeschäden durch ungleiches Absinken des Fundaments über 60 Prozent zugenommen, die Kosten zur Erhaltung der Bauten werden inzwischen teilweise untragbar für die Besitzer. Bereits über 300 Gebäude sind durch das Absinken des auftauenden Bodens schwer beschädigt worden, darunter auch größere Komplexe wie ein Kraftwerk. Wissenschaftler des Uno-Weltklimarats IPCC warnen, dass die zu erwartende weitere Erwärmung nicht nur viele Häuser, sondern auch die Infrastruktur der Stadt und ihrer Umgebung, wie Straßen, Bahnlinien und Pipelines, die alle nicht auf der Basis des derzeitigen Klimawandels konstruiert wurden, massiv beschädigen würde.
Malé, Malediven | Anstieg des Meeresspiegels
Die Malediven werden oft als Paradebeispiel für die Bedrohung durch den steigenden Meeresspiegel infolge des Klimawandels zitiert. Die meisten der 1190 Inseln befinden sich weniger als einen Meter über dem Meeresspiegel, die höchste Erhebung des Landes misst 2,5 Meter. Nur 300 km2 des Staatsgebiets liegen überhaupt über Wasser; in der Hauptstadt Malé, ei­ner der am dichtesten besiedelten Städte der Welt, leben über 90.000 Menschen auf gut zwei Quadratkilometern. Der mögliche Anstieg des Meeresspiegels um mehr als einen Meter bis 2100 würde einen Großteil des Landes zerstören. Daher sucht die Regierung bereits öffentlichkeitswirksam nach einer neuen Heimat für ihre knapp 400.000 Bürger. Trotz des ne­-
ga­tiven Einflusses von Flugreisen auf das Klima werben die Malediven weiter um Touristen, ein Teil der Einnahmen fließt angeblich in einen Fonds, der den Kauf von neuem Land finanzieren soll, falls die Inseln tatsächlich versinken.
Dies ist angesichts neuester Forschungen allerdings nicht so wahrscheinlich, wie es zunächst den Anschein hatte. Aktuelle Messungen deutscher und neuseeländischer Wissenschaftler haben vielmehr ergeben, dass das natürli­che Wachstum der Korallenriffe unter normalen Bedingungen den Anstieg des Meeres ausgleichen sollte. Auch ein mögliches Absterben der Korallen in dem sich erwärmendem Wasser wäre nicht zwangsläufig das Ende der Inseln. Untersuchungen des renommierten Meeresspiegel-Forschers Nils-Axel Mörner auf den Malediven ergaben, dass der Meeresspiegel in den letzten 30 Jahren hier unerwarteterweise sogar um ca. 20 Zentimeter gesunken ist; Mörner führt dies auf die erhöhte Verdunstungsrate aufgrund der Erwärmung des Indischen Ozeans zurück.

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