Bauwelt

20 Jahre Planung

Tempelhofer Flugfeld

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

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„The Berg“
Bild: Mila/Jakob Tiggers

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„The Berg“

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20 Jahre Planung

Tempelhofer Flugfeld

Text: Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin

Seit sich Anfang der 90er Jahre die Schließung des Tempelhofer Flughafens abgezeichnet hatte, wurden Dutzende von Vorschlägen für eine Neunutzung gemacht, die alle im Papierkorb verschwanden. Auch die offizielle Planung agierte da nicht anders: Ein kohärentes Vorgehen von Bund und Stadt lässt sich im Rückblick kaum erkennen – zu divers sind die Interessen, die die 386 Hektar große Fläche weckt.
Vor 30 Jahren war der Flughafen Tempelhof für die Westberliner ein nur zum Tag der Offenen Tür der amerikanischen Streitkräfte betretbares Gelände, von Schafherden beweidet, um das Grün kurz zu halten. Man flog über Tegel. Mitte der achtziger Jahre dann Neubeginn mit Regionalverbindungen. Noch 1987 gab es höchstens sechs Starts täglich, Tendenz steigend. Dass der Betrieb nicht kostendeckend war, störte nicht, da der zivile Teil der Anlage ohnehin instand gehalten werden musste und das Geld dazu aus Bonn kam, für das Übrige kamen die Amerikaner auf.
Dann fiel die Mauer, es folgte der Zwei-plus-Vier-Vertrag, mit ihm Wiedervereinigung und Entlassung der neuen Bundesrepublik in die volle staatliche Souveränität. Damit war der Abzug der Amerikaner programmiert und die wichtigste Stütze hinfällig. Auch wenn die faktische Übergabe des Flughafens an die Bundesrepublik erst 1993 erfolgte, war klar, dass trotz steigender Passagierzahlen die Tage des Flughafens gezählt waren.
Planungsthema auf der Senatsebene von Berlin war dies nicht, konnte es, angesichts der auf die Westberliner Verwaltung einstürzenden neuen Probleme, auch gar nicht sein. So kamen die ersten Schritte von anderer Seite. Zum Beispiel aus dem Westberliner Hinterland: Die SPD Tempelhof stellte im Februar 1991 der Presse eine Studie zur Umwandlung in einen Park vor. Damit reagierte sie auf die Forderungen einer seit 1986 tätigen, lokalen Bürgerinitiative, die jetzt die Voraussetzungen zur Erfüllung ihres Wunschtraums gegeben sah. Fachliche Beratung führte allerdings dazu, dass im Süden an Gewerbenutzung und im Osten an Wohnungsbau gedacht war, und es im Übrigen um den Ausbau des Flughafengebäudes ging – alles in allem kaum mehr als eine Ideensammlung.
Damals wurde dieser Vorstoß nur wenig wahrgenommen. Und doch war damit die bis heute gültige Entwicklungslinie erstaunlich genau vorgezeichnet. Von Beginn an waren es also Bewohnerwünsche, nicht eine gesamtstädtische Strukturplanung, welche den Weg zum Park bahnten. Inbegriffen war allerdings auch schon der Konflikt zwischen Randbebauung und Bürgerwünschen: Die Anwohnerinitiativen sind seitdem nicht müde geworden, die vollständige Freihaltung des Geländes zu fordern.
Noch 1990 wurde ein weiterer Vorschlag vorgelegt, der aus einer entgegengesetzten Perspektive kam, eingebracht vom Autor dieses Beitrags. Damit war eine zweite, und zwar die bis heute einzige, alternative Diskussionslinie eröffnet. Sie ist allerdings offiziell nie als solche akzeptiert worden und wurde in den Folgejahren auch nur von mir selbst über den frühen Ansatz hinaus weiterentwickelt.
Wie es dazu kam? In Konkurrenz zu den utopischen Planungen am Potsdamer Platz („Berlin morgen“) hatte der damalige Bausenator Wolfgang Nagel eine Architekteninitiative zum Ausbau von Dienstleistungszentren an der Ringbahn finanziert. Eines der Teams, Bernhard Strecker und die von ihm animierte Planungsgruppe Urbane Baukunst, bearbeitete das Schöneberger Kreuz. Von Strecker um Mithilfe gebeten, hielt ich es für wenig sinnvoll, isoliert das Ei zwischen Ringbahn und Stadtautobahnring zu entwickeln und dabei die Riesenfläche des Flugfelds zu ignorieren. Ich zeichnete eine Entwicklungsvorstellung auf, die später in die Ausstellung „Berlin heute“ der Berlinischen Galerie eingegangen ist: erstens Rückgabe des nordöstlichen Viertels an die Hasenheide; zweitens ein Verkehrsnetz, um die durch jahrhundertelange staatlich-militärische Besetzung des Feldes verhinderten Nord-Süd- und West-Ost-Verbindungen wieder herzustellen; drittens kleinteilige Urbanisierung der Gesamtfläche.
Park als Barriere
1992 ging die Planungsverwaltung unter Senator Volker Hassemer an die Erarbeitung eines Gesamtberliner Flächennutzungsplans, des FNP94. Als der Plan im Mai 1993 öffentlich ausgelegt wurde, zeigte sich, dass sich das Konzept Park plus Randbebauung im Senat zwischenzeitlich verfestigt hatte: Der FNP zeigt in der Südwestecke Wohnen, im Süden Gewerbe, im Osten wiederum Wohnen, die gesamte Mitte und der Norden Grün. So ist das auch in die Endfassung vom Juli 1994 eingegangen. Woher diese rasche Entschiedenheit? Die Erklärung liefert Johannisthal/Adlershof im Südosten der Stadt. Das war der erste aufgelassene Flugplatz, der nach der Wende planerisch zu bewältigen war. Dort hatte man sich, um dem Wissenschaftspark Adlershof auch tatsächlich einen Park zu geben, auf die einfachste Lösung geeinigt: Statt sich um eine Erschließung des Wissenschaftsstandorts in Richtung Johannisthal zu kümmern, verschob man das Erschließungsproblem auf den Flughafenzubringer A113 und wies die Hauptmasse als Grün aus, sodass der Park, der bis heute ohne soziale Zuordnung ist, seitdem zwischen Wissenschaftsstadt und Johannisthal eine Barriere bildet.
Währenddessen – 1993 wurden gegenüber 1992 30 Prozent mehr Starts gezählt – nahm der Streit um Schließung oder Fortführung des Flugbetriebs in Tempelhof überhaupt erst an Fahrt auf. Während die Bezirkspolitiker und die Flughafengesellschaft die Schließung forderten, verlangte die FDP die Aufrechterhaltung des Flughafens. Der Senat verknüpfte erstmals argumentativ die Schließung mit dem Zeitpunkt der Indienststellung des Großflughafens Schönefeld. Der Planungssenator gab, kaum lag der FNP vor, einen Entwurf für die Nachnutzung in Auftrag – das Gutachten HPP/Seebauer, das im Herbst 1994 vorlag. Damit war das sogenannte Wiesenei geboren: eine aus der Bogenform des Flughafengebäudes gefolgerte Fortsetzung zum Oval. Im Norden, Osten, Südosten und Südwesten sind, FNP-gemäß, kleinere Baubereiche angeheftet, der aus zwei Reihen von Superblöcken bestehende Rahmen selber ist nach drei Seiten durch kleinere Parkblocks geöffnet, das Ei-Innere ist Land­schaft. So wurde das Projekt im Januar 1995 der Presse vorgestellt.
Dass man im Hause Hassemer mit dem Ergebnis nicht glücklich war, zeigt der Umstand, dass kurz darauf eine Konzeptwerkstatt einberufen wurde, an der u.a. Peter Latz beteiligt war, der gerade den Industriepark Duisburg-Nord (Bauwelt 37/1996) geplant hatte. Unter den Teilnehmern gab es eine verbreitete Unzufriedenheit mit dem affirmativen Gestus des Entwurfs. Doch machte der Abteilungsleiter von vornherein klar, dass nur Auflockerungen gewünscht waren, keine Alternativen. Damit war mein eigener Standpunkt schon im diskursiven Vorfeld ausgebremst. Als Teilnehmer habe ich dennoch meine Vorstellung, in aktualisierter Form und bewusst roh, aufgezeichnet: Hauptaufgabe Durchlässigkeit. Statt der 1990 gezeichneten Totalurbanisierung, ein Fehler, der 1995 nicht zu wiederholen war, ist das meiste der Zukunft überlassen bzw. auf den FNP94 abgestellt. Das im Nordwestviertel von mir eingezeichnete „Kastell“ war Metapher. Sie sollte sagen: Wenn man hier etwas macht, dann muss dem raumgreifenden Monumentalismus des Flughafengebäudes eine besonders starke Nutzung und Prägnanz entgegengesetzt werden, sonst wird man zum Opfer des Flughafengebäudes.
Die Nord-Süd-Verbindung hat von den übrigen Beiträgern, soweit ich mich erinnere, sonst nur der Entwurf von Alsop & Störmer vorgeschlagen, die Ost-West-Schiene keiner, da kam wohl schon damals die etwas dubiose Gedenkfunktion der Startbahnen – Blockade-Denkmal – zum Tragen.
Umstandslose Erhaltung
Eine Pause entstand nun dadurch, dass es Ende 1995 zu einer Neuverteilung der Ressorts zwischen CDU und SPD kam: Der Bausenat ging diesmal an die CDU, der Planungssenat an die SPD, mit Peter Strieder als Senator und Hans Stimmann als Staatssekretär. Ein Gutteil der Energie galt erst einmal der Ausarbeitung des Planwerks Innenstadt. Doch verdichteten sich in dieser Zeit die Positionen der beteiligten Verwaltungen: Denkmalschutz und Umweltabteilung schossen sich auf die umstandslose Erhaltung des Flugfeldes ein. Der Denkmalschutz wegen der natürlichen Umgebung des Großdenkmals Flughafengebäude, die Umweltabteilung wegen der Bedeutung des Feldes als Kaltluftspeicher.
1996 wurde der Vertrag zwischen Bund, Land Brandenburg und Berlin zur Errichtung des Großflughafens geschlossen und damit für Berlin die vertragliche Bindung an eine Schließung von Tempelhof. Daraufhin unternahm die Flughafengesellschaft Anfang 1997 einen neuen Vorstoß: Bei früherer Schließung des Flughafens ließe sich ein Verlust von 16,1 Millionen DM vermeiden. Gleichzeitig setzten kleine Fluggesellschaften verstärkt auf Tempelhof, man berichtete eine Auslastung von 60 Prozent. Vor allem wurde die Schließung zu einem Streitobjekt zwischen den Koalitionsparteien, die CDU war dagegen, die SPD dafür.
Dies erklärt, warum Senator Peter Strieder 1998 ein neues Gutachten in Auftrag gab, und zwar bei den Schweizer Landschaftsarchitekten Kienast, Vogt und Partner, mit dem Berliner Bernd Albers für den Städtebau. Der Entwurf wurde im Mai 1999 vorgestellt: Der „Park der Luftbrücke“ solle ein „Wiesenmeer“ werden, das sowohl praktische Funktion („Kühlschrank“) als auch ästhetische Funktion (innerstädtische Horizontsicht) hätte. Vom Wiesenei keine Spur mehr. Formgebend bliebe die vorhandene Zufahrtsstraße zu den Startpositionen, die als „Tempelhofer Boulevard“ zwischen bebaubaren Außenbereichen und grünem Binnenbereich scheidet. Der Entwurf wurde von der CDU – Regierender Bürgermeister und Verkehrssenator – umgehend abgelehnt.
Letzte Hürden vor der Schließung im Oktober 2008
Das Konzept ruhte dann sieben Jahre lang. Ich selber habe 2003, innerhalb eines Planungsauftrags des Senatsbaudirektors, noch einmal mein Essential zum Tempelhofer Feld vorgetragen: minimale Verbindungen bei gleichzeitig stadtstrukturellem Gewinn der Öffnung. Je ruhiger das Konzept von 1999 schlief, desto mehr eskalierte in dieser Planungspause der Streit um die Schließung, zumal der neue, 2001 angetretene Senat des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit eindeutig für Schönefeld votierte und nicht bereit war, durch Biegsamkeit in der Tempelhof-Frage den Großflughafen Schönefeld BBI zu gefährden. Dies verhinderte allerdings nicht, dass es zu immer neuen Gegenaktionen kam, was bis zum Schluss die Illusion nährte, letztlich sei alles noch offen. Zunächst musste die BBI-Eröffnung, für 2007 geplant, um Jahre verschoben und in Tempelhof investiert werden. Dann machte 2003 der Unternehmer Hans Rudolf Wöhrl, der damals die Deutsche BA erwarb, den Vorschlag, den Flughafen in private Trägerschaft zu übernehmen. Der Flugbetrieb von Tempelhof war ja 2002 in die Gewinnzone gelangt. Das galt aber nur für den Flugbetrieb, während die tatsächliche Verlustrechnung der Flughafengesellschaft einbezog, dass der gesamte Gebäudekomplex zu unterhalten war. Dieser brachte zwar Geld über Vermietung und Großveranstaltungen, stand aber zu zwei Dritteln leer.
In der Zwischenzeit hatte sich die Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof konstituiert, welche Fluggesellschaften und Berliner Unternehmer vertrat. Als der Regierende Bürgermeister Ende des Jahres 2003 die Schließung für 2004 ankündigte, drohten ihm elf Fluggesellschaften mit einer Abmahnung. Eine längere gerichtliche Auseinandersetzung wurde erst im Februar 2007 zugunsten des Senats beendet. Damit stand der 31. Oktober 2008 als Datum der Schließung fest.
Eine neue Randgeschichte eröffnete dann noch das Angebot eines amerikanischen Investors, Ronald S. Lauder, das Flughafengebäude zu übernehmen und als Klinik und Messezen­trum zu betreiben, was einen begrenzt weiterlaufenden Flugverkehr nötig mache – die Rede war von 350 Milliarden Euro Investitionssumme und 1000 neuen Arbeitsplätzen. Wie ernst das Projekt zu nehmen war, wie weit ein Konflikt zwischen stadtwirtschaftlichen Vorteilen und Vertragstreue auszutragen war – all das ist im Nachhinein schwer zu sagen, jedenfalls scheiterte das Projekt recht schnell an der Flugbetriebsfrage. Blieb als letzte Hürde noch das Volksbegehren, das von CDU und FDP vehement unterstützt wurde und sich zu einem letzten Aufbäumen der Westberliner Verweigerung auswuchs. Erst mit dem Scheitern des Volksentscheids im April 2008 waren die Gegner der Schließung endgültig abgeschlagen – mit dem Ergebnis versöhnt sind sie bis heute nicht.
Hatte sich während dieser jahrelangen Auseinandersetzungen auf der Planungsebene überhaupt etwas getan? Bekannt geworden ist nur, dass, von den Grünen aufgeschreckt, die Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer im Juni 2006 eine „Standortkonferenz“ ansetzte, auf der erstmals über konkrete Probleme nach einer Schließung diskutiert wurde – Kosten, Nutzungsvorstellungen, überhaupt die Frage, ob ein Park die geeignete Lösung sei. Dabei war die Planung von 1999 stillschweigend als Grundlage vorausgesetzt. Zu einem wirklichen Tätigwerden kam es erst, als gegen Jahresende das Lauder-Projekt auftrat und die Schließungsgegner ihre Chance kommen sahen. Jetzt wurde die Senatorin offensichtlich vom Chef an die Front geschickt. Es ging ja letztlich darum zu klären, wer in Berlin die Macht hat, um so mehr, als dann der Volksentscheid zu einer Existenzfrage für die rot-rote Koalition wurde und auf Verwaltungs- wie Parteiebene („Tempelhofer Freiheit“, titelte eine Postwurfzeitung der SPD, „offen für alle – statt Privilegien für wenige“) alle Möglichkeiten genutzt wurden, für das Parkkonzept zu werben. Der Kienast-Albers-Plan wurde von der Senatorin nunmehr, Anfang März 2008, der Presse als das alternativlose Senatskonzept vorgestellt.
Und nun konnte man unter dem Stichwort – „Freies Feld, ein Areal zum Arbeiten, Leben und Erholen“ – das Schauspiel erleben, dass eine Amtsführung, die zum Vernagelsten zählt, was in den letzten 40 Jahren Berliner Bau- und Planungspolitik zu erleben war, in einen entfesselten Populismus umschlug. Eine ebenso breite wie völlig voraussetzungslose Bevölkerungsbeteiligung per Internet wurde gestartet – jeder könne online seine Idee einbringen, was aus dem Tempelhofer Feld werden soll.
Gleichzeitig wurde in einer Veranstaltung mit der IHK der Schulterschluss mit der Wirtschaft hergestellt. Noch standen, Anfang 2007, die letzten Entscheidungen aus, war formal auch Platz für die Grundsatzdiskussion: wenn Schließung, wie und für welchen Zweck. Ich hatte im Januar 2007 noch einmal in einem Tagesspiegel-Beitrag für den Vorrang einer Erschließungslösung zugunsten der umliegenden Stadtteile plädiert, alles andere könne warten: Vor allem dürften die wünschenswerten provisorischen Nutzungen und mehr Grün nicht dazu benutzt werden, die Verbindungschancen für alle Zukunft zu blockieren, nachdem die Berliner Stadtplanung um das staatliche Gelände hundert Jahre lang einen Bogen machen musste.
Die Internetdiskussion, Methode „Wünsch dir was“, brachte das erwartete Ergebnis: eine Fülle von Vorschlägen auf der Ebene Freizeitnutzung. Niemand war gebunden, mit Kosten, gesamtwirtschaftlichen Folgekosten, Pflegeproblemen seine Rechnung zu machen, vor allem nicht mit der Flächengröße. Die schiere Größe des Areals garantierte gleichzeitig, dass der Plan von 1999 nicht in Frage gestellt werden musste, auch wenn Bürgergruppen der angrenzenden Wohngebiete kontinuierlich gegen die Errichtung neuer Wohnviertel protestierten. So war es nur konsequent, dass im Juni 2007 die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher mit der Idee einer IBA hervortrat – die inzwischen auf 2020 terminiert ist.
Das weitere ist bereits fast noch Gegenwart: erstens die Be­auftragung einer Studie (Studio UC mit mbup und Raum­labor) zur schrittweisen Entwicklung des Geländes mit dem Ziel von Pilotprojekten, um schließlich beim Konzept von 1999 anzukommen, Bewerbungsstart für Pioniernutzer war Januar 2011; zweitens die Entscheidung, auf dem Gelände eine Internationale Gartenbauausstellung durchzuführen, wofür Berlin – Realisierung 2017 – Ende 2009 auch den Zuschlag erhielt; der dazu passende Parkwettbewerb wurde in der ersten Runde Mitte 2010 und abschließend im April 2011 entschieden; drittens die Planungsbeauftragung der Adlershofer WISTA und die Gründung eines Entwicklungsträgers, der Tempelhof Projekt GmbH; viertens der erste Ideenwettbewerb zu einem Teilgebiet, und zwar dem Baufeld Columbia-Damm, der im Juni 2009 mit drei gleichrangigen Preisen ohne Wettbewerbssieger abgeschlossen wurde; schließlich: die kontrollierte Öffnung des Feldes im Mai 2010 für die Bevölkerung.
Es würde zu weit führen, weiter in die Ereignisfülle der letzten Jahre einzutauchen, unterschiedlichste, einander überbietende Nutzungsvorschläge für Feld wie Flughafengebäude, Protest von Autonomen gegen Sicherungsmaßnahmen, fortgesetzter Streit der Experten um Schließung und Nachnutzung – Hans Kollhoff für vollständige Freihaltung, Roland Stimpel, einsame Ausnahme, aus stadtwirtschaftlichen Gründen für radikale Urbanisierung unter befreiendem Teilabriss der Hangars –, die praktische Inbesitznahme durch Skater, Radfahrer, Gärtner...
Warum keine Urbanisierung?
Ich versuche abschließend, etwas Abstand zu nehmen. Man hat ein weithin begrüßtes Ergebnis, und man hat, dank immer derselben Träger, der Bürgerinitiativen und Klimatologen einerseits, der Bezirks- wie Landes-SPD andererseits, den bemerkenswerten Fall, dass eine Nutzungsvorstellung sich über 20 Jahre unverändert gehalten hat. Ersteres mit der eingebauten Hypothek, dass Bauprozesse und Nutzerfreiheit (oder soll man sagen: Nutzeranarchie) vermutlich recht bald kollidieren werden. Letzteres unter Einschluss des schon von allem Anfang an gesetzten Zwiespalts vollständiger oder partieller Freihaltung.
Das Ergebnis ist nicht zu beurteilen, ohne dass man stadtentwicklungspolitisch Stellung nimmt und dabei über die Dikussionsalternative der letzten Jahre – Schließung ja oder nein – und die sie einfärbenden Verdächtigungen hinaus geht. Auch wenn das bedeutet, sich in einem entscheidenden Punkt gegen die weitgehende Nutzerakzeptanz für das durchgesetzte Konzept zu stellen. Für die Schließung gewesen zu sein, bedeutet ja noch gar nichts. Die Parole: entweder Feld für alle oder Vorteil für wenige Privilegierte, war populistisch gerade darin, was sie nicht zur Diskussion stellte. Wer für Schließung stimmte, stimmte implizit für ein Planungspaket, das es, vom Papier des Kienast-Albers-Plans abgesehen, als Projekt noch gar nicht gab.
Was man sich daher auch heute noch, nachholend, fragen muss, ist: Warum wurde die Möglichkeit einer projek­tiven Gesamturbanisierung des Feldes nie zu einer ernsthaft erwogenen Alternative? Warum war in einer Großstadt, die ohnehin europaweit das meiste Grün hat, und zu einem Zeitpunkt, wo alle Zeichen auf Rückkehr der Peripherie in die Innenstadtlage stehen, die naheliegende Wahrnehmung des Feldes als innerstädtische Reserve so chancenlos? Wobei es ja nicht um einen Masterplan, um Vollbauen im Stil der Hamburger Hafen-City gegangen wäre, sondern um die Option, eine zentrale Fläche freizulegen für Aufgaben der Zukunft und nicht für die Wünsche von gestern und heute.
Das Ergebnis ist aus mehreren Gründen ambivalent und entsprechend schwer zu diskutieren, auch hinsichtlich dessen, was stadtpolitisch gelaufen ist. Wir haben da eine kuriose Mischung: Einerseits einen enormen Fortschritt an Beteiligung, an Offenheit, Umgang mit Bürgerwünschen, schrittweiser Entwicklung statt des Modells Instant-Stadt wie am Potsdamer Platz oder an der Heidestraße. Andererseits, was die Inhalte angeht, eine vollständige Unbeweglichkeit in den Planungszielen, zuzüglich ihrer Instrumentalisierung durch politische Machtkämpfe – dieselbe Umbeweglichkeit, die, als Konzeptionslosigkeit, ohnehin die letzten zehn Jahre Berliner Nichtplanung kennzeichnet. Sodass der Verdacht besteht, hier passe alles zusammen: die Konzeptions­losigkeit, gepaart mit Rigidität im Fahren einmal gelegter Schienen, und andererseits die Unbekümmertheit, mit der die als Bündnispartner gegen die Flugbetriebsverfechter benötigte Pionier- und Nischenszene eingekauft wurde.
Immergleiche Planungsinstrumente
Noch dazu wissen wir nicht, ob die Instant-Mentalität nicht vielleicht sofort wieder zuschnappt. Denn die Instrumente sind die alten geblieben: IBA, IGA, Entwicklungsgesellschaft, Ideenwettbewerbe. Wie soll da auf die neue Offenheit Verlass sein? Eher sieht es doch so aus: Strukturplanung wird in Berlin nicht mehr gemacht. An die Stelle trat Eventplanung. Strukturplanung ist aber das, wozu man sich überhaupt eine Planungsverwaltung leistet. Strukturplanung ist gerade nicht, Flächen mit grünen oder roten Masterplänen zupflastern, sondern Arbeit am öffentlichen garantierten Gerüst, das Möglichkeiten öffnet und anderen die Füllung anbietet.
Solange die neue Offenheit nur die Tapete unterlassener Strukturplanung ist, freut man sich zu früh. Stadtstrukturell wie stadtwirtschaftlich sind ja alle Fragen noch offen. Sie sind es schon deshalb, weil kaum jemand, weder Politik noch Nutzer, sich die in Rede stehende Flächenmenge vorstellen kann. Das zeigt der ab und an herangezogene Vergleich mit dem Central Park in Manhattan: Der ist von einem Hochhausmeer umstanden, bedient also eine mindestens zehnfach höhere Bebauungsdichte, als wir sie rund um das Tempelhofer Feld haben. Bleiben wir im Berliner Rahmen: Das Feld hat etwa die doppelte Größe des Tiergartens, die halbe des Müggelsees – hat man sich überlegt, was eine Leerfläche dieser Größe, außer dass sie klimatisch vorteilhaft ist, im Stadt­organismus anrichtet? Ist man sich der enormen Dauerkosten aller Art bewusst, Kosten, die durch etwas Randbebauung keineswegs aufgewogen werden?
Selbstverständlich ist es schwierig, Planungsvernunft gegen Bewohnerstimmungen ins Feld führen zu wollen. Aber diese Diskussion wird gar nicht erst geführt, sie wird erschlagen von den Bündnissen zwischen Parteipolitik einerseits und Bürgerwünschen andererseits. Die Bürgerwünsche sind so legitim wie durch nichts gezwungen, sich den Kosten und stadträumlichen Folgen der einen wie der anderen Sicht zu stellen. Zentrale Planung allerdings sollte das tun, und so deutlich sich die Senatsverwaltung des Publikumslobes sicher sein mag, so hat sie politisch wie fachlich einen durchaus fragwürdigen Planungsparcours hingelegt. Denn worin liegt die enorme Stabilität der Parkidee und des Verwaltungshandelns über diese 20 Jahre hinweg?
Inseldenken
Das andere ist die fachliche Ebene. Hier wären sowohl der Umgang mit dem Gebäudekomplex und als auch der Umgang mit den 3,8 Qua­dratkilometern Flughafenfläche gesondert zu diskutieren. Was den Gebäudekomplex angeht, so ist die Verwaltung schlicht dem Prora-Problem erlegen. Die Baumasse ist nicht nur stadträumlich, sie ist auch gedenkpolitisch ambivalent, und bloßer Denkmalschutz ist ein zu bequemes Mittel, um sich aus der Affaire zu ziehen. Kilometer-Monumente wie Prora und das Flughafengebäude fordern also gleichermaßen zu einer raumplanerischen, einer wirtschaftlichen und einer politischen Kritik auf. Statt dessen hat man sich einfach der vorhandenen Masse gebeugt, man hat sich durch die schiere Größe konditionieren zu lassen. Dabei wären Eingriffe, kleine Befreiungsschläge, mehr als sinnvoll. Man stelle sich nur einmal vor, wie nützlich und befreiend es wäre, wenn man vom Platz der Luftbrücke aus durch die heutige Haupthalle mittels eines Straßendurchbruchs direkt aufs Feld gelangen könnte – mit einem Schlage wäre die große Barriere zwischen Zentrum und Feld überwunden.
Aber genau ebenso hat man sich durch die Existenz der Flugfläche und der Rollbahnen konditionieren lassen. Stets ging es nur um die veränderte Fortschreibung einer vorhandenen räumlichen Identität, statt diese sinnvoll aufzubrechen und für weiter greifende Zwecke nutzbar zu machen. Die Planungspolitik verharrte, wie anderswo auch, in einem Inseldenken, das nur das Feld sieht und es aufteilt wie einen Küchengarten.
Das Riesengebäude und das Riesenfeld: Wenn es so unmöglich ist, sich vorzustellen, dass man das eine wie das andere, ohne ganz auf Grün, Blockademythos und Baudenkmal zu verzichten, beschneiden und in eine tatsächlich offene Zukunftsperspektive überführen kann, wenn die politische und affektive Gegenwart also alles ist, was man bereit ist, ins Auge zu fassen – wozu dann noch Stadtplanung?
Fakten
Architekten Hoffmann-Axthelm, Dieter, Berlin; Strecker, Bernhard, Berlin; HPP/SWUP, Düsseldorf; Steidle, Otto, Berlin; Vogt, Inge; Auböck, Maria; Alsop & Störmer; Bodenschatz, Harald, Berlin; Kienast, Vogt & Partner/Bernd Albers, Berlin; Raumlabor, Berlin; ASTOC/bgmr, Köln
Adresse Platz der Luftbrücke 5, 12101 Berlin


aus Bauwelt 36.2011
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