Bauwelt

Was bleibt und was verloren ging

Brutalismus und Co: Eine Ausstellung der Londoner ­Royal Academy of Arts widmet sich dem Schicksal britischer Nachkriegsarchitektur bis in die 70er Jahre

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    Parkhaus des Einkaufzentrums „Trinity Square“ in
    Gateshead, 1969 eröffnet und 2010 zugunsten einer einfallslosen Shopping Mall abgerissen
    Foto: © RIBA Collections

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    Parkhaus des Einkaufzentrums „Trinity Square“ in
    Gateshead, 1969 eröffnet und 2010 zugunsten einer einfallslosen Shopping Mall abgerissen
    Foto: © RIBA Collections

Was bleibt und was verloren ging

Brutalismus und Co: Eine Ausstellung der Londoner ­Royal Academy of Arts widmet sich dem Schicksal britischer Nachkriegsarchitektur bis in die 70er Jahre

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

Mit einem Mal sind sie weg: das Einkaufszentrum „Trinity Square“ im nordenglischen Gateshead von Rodney Gordon/Owen Luder Partnership, fertiggestellt 1967; die Oberschule in Hull von Lyons, Israel & Ellis (1965); die sechs Wohntürme in Glasgow, entworfen von Sam Bunton und bezogen im Jahr 1969 – alles innerhalb der letzten zehn Jahre abgerissen, nach nicht einmal fünfzig Jahren Nutzung. Die Liste lässt sich nahezu beliebig verlängern. Parallel zu dem anfangs kaum beachteten Abriss ist das Bewusstsein gewachsen für die historische Bedeutung jener prägenden Nachkriegsarchitektur, die bis zum fundamentalen Wandel der britischen Gesellschaft in den 70er Jahren reicht. Es war die Zeit des britischen Wohlfahrtsstaats, wie ihn der 1945 gewählte Labour-Premierminister Clement Attlee begründet hatte.
Manche der damaligen Architekten waren Mitglieder der noblen Royal Academy or Arts, die jetzt an ihrem Sitz in London eine kleine, aber gehaltvolle Ausstellung veranstaltet, in der exem-plarische Projekte dieser Zeit vorgestellt werden. Neben den Fotografien – zeitgenössischen und, falls die Gebäude noch vorhanden sind, solchen von heute – sind Publikationen zu sehen, die den Geist jener Jahre vermitteln.
Man wird vielleicht nicht alle Bauten von damals erhalten sehen wollen. Doch die Auswahl dessen, was bleibt und was verloren ging, ist erkennbar dem Wandel der Wirtschaftsstrukturen geschuldet. So ist das am New Yorker Lever House orientierte Hauptpostgebäude von Birmingham (John H. D. Madin & Partners, 1965) mit dem Niedergang der staatlichen Post überflüssig geworden. Vom selben Büro stammt der Entwurf der – im Unterschied zur Post vollständig betonbrutalistischen – Hauptbücherei in Birmingham (sukzessive Inbetriebnahme ab 1970), die im vergangenen Jahr abgerissen wurde.
Es war durchaus nicht hauptsächlich Sichtbeton, der die Ablehnung der Nachkriegsmoderne befördert hat. So ist ein Gebäude wie die „Southside Halls of Residence“ in London von Richard Sheppard, Robson & Partners (1963) eine elegante Adaption von Le Corbusiers Unité in Marseille, zwar ohne die typischen „pilotis“, aber mit zurückgesetzten Zwischengeschossen zur Gemeinschaftsnutzung. Baumängel ließen den Abriss im Jahr 2005 unausweichlich erscheinen. Ähnlich erging es den sechs Apartmenttürmen „Freemasons Estate“ im Londoner Vorort Newham, die die örtliche Baubehörde ab 1965 hochziehen ließ. Die aus Betonfertigteilen nach Art sozialistischer Plattenbauten konstruierten Türme erwiesen sich als unsicher und mussten aufwendig verstärkt werden. Ihr schlechter Ruf trug zum Abriss nach weniger als drei Jahrzehnten Nutzung bei. Auch James Stirling experimentierte mit Betonfertigbau: Sein „Southgate Estate“ in der Reißbrettstadt Runcorn New Town von 1977 (!), ohne nennenswerte Isolierung, aber mit teurer Ölheizung, erwies sich für die vorgesehenen Sozialmieter schlicht als unbezahlbar. Nach nur dreizehn Jahren Nutzung wurde das Ensemble, das im Ausstellungskatalog als „eher aus einem Science-Fiction-Film der 70er Jahre stammend“ beschrieben wird, abgerissen.
Es geht auch anders – wenn der Markt mitspielt – wie etwa beim ersten innerstädtischen Londoner Hochhaus mit immerhin 33 Stockwerken, dem „Centre Point“ an der Ecke von New Oxford Street und Charing Cross Road, das 1966 von Richard Seifert (R. Seifert & Partners) für den Immobilienmogul Harry Hyams hochgezogen wurde. Im Zuge des Komplettumbaus des Untergrundbahnhofs Tottenham Court Road wird das Gebäude derzeit saniert und verändert. Immerhin wird auch die an Amsterdam-Bijlmermeer erinnernde Siedlung Park Hill in der ehemaligen Stahlstadt Sheffield (Baubehörde, 1961) seit ei­nigen Jahren umfassend saniert, wobei vom privaten (!) Investor die Wohnungsgrundrisse heutiger Nachfrage angepasst werden.
Überhaupt erst in Wohnungen umgewandelt wurde, was vom „Alexander Fleming House“, einem zwischen 1959 und 1963 für das Gesundheitsministerium errichteten Komplex im Süden Londons, nach Teilabrissen übrig war. Der ursprüngliche Entwurf stammt von Ernö Goldfinger, einem bedeutenden Vertreter der Nachkriegsmoderne. Dass Ian Fleming dessen Namen 1959 im Titel eines James-Bond-Romans verwendete, aus Ärger darüber, dass viktorianische Häuser für einen Neubau Goldfingers abgerissen wurden, sei als Schlusspointe nicht verschwiegen.
Fakten
Architekten Rodney Gordon/Owen Luder Partnership
aus Bauwelt 9.2017
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