Bauwelt

Neue Identität bauen

Unter dem Titel „Polnisch modern“ haben wir in Bauwelt 38 davon berichtet, wie die nachkriegsmoderne ­Architektur in Wrocław ab den späten 50er Jahren dazu beitrug, aus dem bis Kriegsende deutschen Breslau eine Stadt mit einer neuen, einer polnischen Identität werden zu lassen. In den zehn Jahren zuvor war man aber auch nicht untätig. Fotos aus dieser frühen Zeit des Wiederaufbaus sind jetzt in einer Dresdner Ausstellung zu sehen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Wrocław, Blick vom Rathausturm auf die kriegszerstörten Gebäude des Rings, 1954.
    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

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    Wrocław, Blick vom Rathausturm auf die kriegszerstörten Gebäude des Rings, 1954.

    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

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    Bauarbeiten bei der Errichtung des Kościuszko-Wohn­viertels, 1955. Im Hintergrund links das nur partiell zerstörte, bereits 1948 wiedereröffnete ehemalige Kaufhaus Wertheim (Arch.: Hermann Dernburg, 1928–30)
    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

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    Bauarbeiten bei der Errichtung des Kościuszko-Wohn­viertels, 1955. Im Hintergrund links das nur partiell zerstörte, bereits 1948 wiedereröffnete ehemalige Kaufhaus Wertheim (Arch.: Hermann Dernburg, 1928–30)

    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

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    Oben: „Wir geben dem Ring sein früheres polnisches Aussehen zurück!“, hieß die offizielle Leitlinie zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Rings. Schriftzug vor der bereits abgeputzten Fassade eines Bürgerhauses, 1955.
    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

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    Oben: „Wir geben dem Ring sein früheres polnisches Aussehen zurück!“, hieß die offizielle Leitlinie zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Rings. Schriftzug vor der bereits abgeputzten Fassade eines Bürgerhauses, 1955.

    Foto: Stefan Arczyński/Sammlungen des Städtischen Museums Wroclaw

Neue Identität bauen

Unter dem Titel „Polnisch modern“ haben wir in Bauwelt 38 davon berichtet, wie die nachkriegsmoderne ­Architektur in Wrocław ab den späten 50er Jahren dazu beitrug, aus dem bis Kriegsende deutschen Breslau eine Stadt mit einer neuen, einer polnischen Identität werden zu lassen. In den zehn Jahren zuvor war man aber auch nicht untätig. Fotos aus dieser frühen Zeit des Wiederaufbaus sind jetzt in einer Dresdner Ausstellung zu sehen.

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Die enormen Kriegszerstörungen, der zum Teil stark verändernde Wiederaufbau einzelner Häuser, die Errichtung neuer Wohngebiete – eine Ausstellung im Dresdner Kraszewski-Museum zeigt anhand eindrucksvoller Aufnahmen des Fotografen Stefan Arczyński, wie das seit dem späten Mittelalter deutsche Breslau ab 1945 als polnische Stadt Wrocław wieder­erstand.
Nach der Vertreibung der deutschen Bevöl­kerung aus Breslau galt es, für die neu angesiedelten Bewohner, die größtenteils aus den (nun sowjetischen) polnischen Ostgebieten stammten, Anknüpfungspunkte zu schaffen, damit sie in der ihnen völlig fremden Stadt heimisch werden konnten. So versuchten Archäologen, Bau- und Kunsthistoriker, wie es der damalige Stadtrats-Präsident Aleksander Wachniewski 1946 formulierte, „unter der dicken Schicht des germanischen Putzes das alte, polnische und piastische Wrocław auszugraben.“
Damit schufen sie aus der mittelalterlichen Stadtgeschichte heraus eine – die spätere Zeit weitgehend ausblendende – Kontinuität, die die polnische Gegenwart der Stadt als natürliche Folge einer langen geschichtlichen Entwicklung darstellen und auf diese Weise legitimieren sollte. Viele Spuren der deutschen Vergangenheit wie Geschäfts- und Reklameschriftzüge wurden entfernt, die deutschen Denkmäler, Stadtteil- und Straßennamen durch polnische ersetzt. Und im Wortsinne des Wachniewski-Zitats wurden an einer ganzen Reihe alter Gebäude demonstrativ gotische Fenster- und Türbögen und die historischen Ziegelstrukturen freigelegt.

Wir geben dem Ring sein früheres polnisches Aussehen zurück!

Ausgangspunkt dieser Umgestaltung war der Ring (polnisch Rynek) genannte mittelalterliche Marktplatz. In der Mitte des im 13. Jahrhundert angelegten, rechteckigen Platzes befindet sich ein dichter Baublock, bestehend aus dem go­tischen Rathaus, dem Neuen Rathaus und verschiedenen Bürgerhäusern. Viele der frühesten Gebäude in der Randbebauung des Rings waren im Laufe der Zeit durch Nachfolgebauten ersetzt worden, die gotischen Fassaden hatte man meist im 15. oder 16. Jahrhundert im Stil der Renaissance umgestaltet.
Nach dem Krieg waren knapp 60 Prozent der Bausubstanz am Ring zerstört. Nur 17 Häuser blieben weitgehend erhalten, sie wurden als erste instandgesetzt. Die übrigen rekonstruierte man später – aufbauend auf den noch in den 30er Jahren im Zusammenhang mit den Bestrebungen zur gestalterischen Bereinigung der deutschen Altstädte angefertigten Studien – mehr oder weniger frei, an die aktuellen Bedürfnisse angepasst.
Die im Krieg fast vollständig zerstörte Südseite des Rings wurde 1952–58 in lockerer Anlehnung an den Zustand um 1800 wieder aufgebaut: mit Gebäuden im Stil der Renaissance, des Barock und des Klassizismus. Einigen unzerstörten Warenhäusern des frühen 20. Jahrhunderts blendete man historisierende Fassaden vor. Auch das aus dem frühen 16. Jahrhundert stammende Haus „Zum Goldenen Krug“, 1904 abgerissen und gegen ein Jugendstil-Gebäude ersetzt, wurde wieder aufgebaut.

Sozialistische Identität

Zeitgleich sollten die ersten Großprojekte im Stil des Sozialistischen Realismus – wie das nach dem Vorbild des Warschauer Marszałkowska-Viertels errichtete Kościuszko-Wohnviertel (1954/55) – eine gänzlich neue, dezidiert sozialistische Identität in Wrocław zum Ausdruck bringen. Rund um den (nach einem polnischen Nationalhelden benannten) plac Tadeusza Kościuszki, den früheren Tauentzien-Platz, wurde ein Ensemble aus größtenteils fünfgeschossigen Gebäuden mit hohen Walmdächern und traditionell gestalteten Fassaden gebaut, das sich an der ursprünglichen städtebaulichen Situation orientierte. Drei Häuser aus der Vorkriegszeit (Kaufhaus Wertheim, Hotel Savoy, Dresdner Bank) wurden integriert. Auch ein monumentaler Gebäudezug mit langen Arkadengängen entstand dort; das sozialistische Regime inszenierte ihn bei offiziellen Veranstaltungen gerne als eindrucksvolles neues Entree in die Innenstadt.
Die Fotos von Stefan Arczyński im Dresdner Kraszewski-Museum dokumentieren neben den Kriegszerstörungen vor allem diese Frühphase des Wiederaufbaus in Wrocław. Seine bis ins Detail informativen Bildausschnitte reflektieren kongenial den Geist ihrer Zeit, und sie sind Zeugnis der polnischen Kunst- und Kulturgeschichte – arbeiteten die Konservatoren und Architekten in Wrocław damals doch im Sinne der Staatsräson an einem neuen architektonischen Gesamtkunstwerk: eine Visualisierung des offiziell verordneten Geschichtsbilds.
Die Ausstellung findet anlässlich des 100. Geburtstags des Fotografen statt. Nicht zuletzt spiegeln sich in Stefan Arczyńskis Lebensweg die engen Verflechtungen der deutschen und der polnischen Geschichte. Arczyński wurde 1916 als Sohn eines polnischen Emigranten in Essen geboren. Dort machte er eine Lehre als Fotograf. Nach dem deutschen Kriegsdienst wurde er aus der sowjetischen Gefangenschaft nach Polen entlassen.

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