Bauwelt

Anpassung oder Anbiederung?

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt untersuchte die „Mutabilität“ von Architekten

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

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    Flexibel im Stil: Frankfurter Wohnsiedlung ...
    Foto: Hatje Cantz Verlag

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    und Westend-Synagoge, beides entworfen von Franz Roeckle.
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    und Westend-Synagoge, beides entworfen von Franz Roeckle.

    Foto: Hatje Cantz Verlag

Anpassung oder Anbiederung?

Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt untersuchte die „Mutabilität“ von Architekten

Text: Santifaller, Enrico, Frankfurt am Main

Der Begriff Mutabilität kommt aus der Biologie. Er bezeichnet die Eigenschaft von Organismen, durch Veränderung oder Anpassung des Erbgutes auf neue Situationen reagieren zu können. Der Begriff ist positiv besetzt: Ohne diese Eigenschaft ist keine Evolution denkbar.
Anpassung und Geschmeidigkeit ist ein Vorwurf, der oft auch Architekten trifft, wenn es darum geht, Aufträge zu erlangen und dafür hehre Bekenntnisse verworfen werden. Diesem Vorwurf näher nachzugehen, war Sinn eines Symposiums unter dem Titel „Wandel, Bekehrung, Verrat?“, zu dem Wolfgang Voigt, langjähriger Vize-Direktor am Deutschen Architekturmuseum, Historiker in das Auditorium seines früheren Instituts einlud. Wie schmal der Grad zwischen charakterlosem Opportunismus und sinnvoller Veränderung ist, wurde anhand von acht Lebensläufen bekannter Architekten dargestellt. Dass gesellschaftliche Umbrüche zwangsläu­fig Veränderungen menschlichen Verhaltens nach sich ziehen, bleibt Architekten nicht allein vorbehalten. Im Nationalsozialismus war es jedoch ihre Entscheidung, ob sie in NS-Organisationen aktiv waren und im von den Nazis bevorzugten Neoklassizismus Wehrmachtsbauten planten – wie der stets zur Monumentalität neigende Wilhelm Kreis. Oder ob sie in die innere Emigration gingen wie Dominikus Böhm, der zwar wuchtige Fassaden entwarf, aber konsequent moderne Innenräume gestaltete.
Die vielen Wege der Anpassung zeigen sich auch an dem 1933 von den Nazis ausgelobten Wettbewerb „Häuser der Arbeit“. Der Kölner Stadtbaudirektor Adolf Abel entwarf vier Baukörper, die zusammen ein Hakenkreuz ergaben; Bauhaus-Gründer Walter Gropius zeichnete dagegen eine moderne Anlage, die er zwar mit Hakenkreuz-Fähnchen verzierte, die man aber auch schnell entfernen konnte. Auch Ludwig Mies van der Rohe testete, ob er im beginnenden Dritten Reich eine berufliche Chance hatte. Eingeladen zum Wettbewerb, den deutschen Pavillon auf der Brüsseler Weltausstellung 1936 zu entwerfen, schlug er eine leichte, fast zierliche Gebäudegruppe mit zwei Atrien vor, die an den Barcelona Pavillon erinnerte, die er aber mit Reichsadler und abstrahiertem Hakenkreuz garnierte. Seine Ver­sion der Moderne sollte die „kämpferische Kraft“ und „den heroischen Willen“ des Na­tionalsozialismus, wie es die Ausschreibung forderte, „in repräsentativer Form“ zum Ausdruck bringen. Man entschied sich dennoch für Ludwig Ruff, der um die Zeit auch die Nürnberger Kongresshalle entwarf. Wie Gropius versuchte Mies zwar mit den Nazis ins Geschäft zu kommen, war aber nicht bereit, dafür Abstriche bei seiner Architektur zu machen.
Wenige Stunden vor dem Symposium stellte Wolfgang Voigt im DAM ein Buch vor, in dem er das Leben des Architekten Franz Roeckle nachzeichnete – eines Opportunisten ohnegleichen. Roeckle wurde 1879 in Vaduz geboren, studierte Architektur in Innsbruck und Stuttgart. Mit dem gewonnenen Wettbewerb für die Westend-Synagoge empfahl er sich der israelitischen Gemein­de Frankfurts für weitere Aufträge. Er realisierte ein jüdisches Krankenhaus, ein jüdisches Schwesternheim, sogar die Erweiterung des jüdischen Friedhofs sollte er zeichnen. 1923 bekam Roeckleden Auftrag, das von dem jüdischen Millionär Felix Weil gestiftete Institut für Sozialforschung auf dem Frankfurter Universitätsgelände zu bauen. Und als wenig später Ernst May sein Wohnungsbauprogramm in Angriff nahm, gab es für Roeckle reichlich Gelegenheit, sich mit gelungenen Blocks und Wohnhausgruppen auszuzeichnen. Seine Heimatsiedlung in Sachsenhausen gehörte zu den besten Siedlungen, die im Neuen Frankfurt gebaut wurden. Roeckles Talent sprach sich herum. Von Gropius wurde er eingeladen, in der Siedlung Dammerstock etwa 30 Prozent der Wohnungen zu planen. Doch mit der Weltwirtschaftskrise 1929 war es damit vorbei. Roeckle zog sich in seine Heimat zurück, wo er alsbald Gelegenheit bekam, das neue Rathaus in Vaduz zu planen. Wieder änderte er radikal seine Formensprache. Das Gebäude erscheint trotz seiner modernen Stahlskelettkonstruktion als schillernde Mischung aus mittelalterlicher Burg, repräsentativem Bürgerhaus und seriellem Verwaltungsbau.
Was Roeckle dazu bewog, an einem antisemitisch motivierten Überfall auf die jüdischen Brüder Alfred und Fritz Schaie (Künstlernamen Rotter) und deren Begleiterinnen mitzuwirken, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Voigt vermutet, dass es vor allem berufliche Gründe waren: Roeckle wollte wieder zurück nach Frankfurt, wo er bei regimetreuem Wohlverhalten auf neue Aufträge hoffte. Und er musste den Makel, für jüdische und sozialdemokratische Einrichtungen gebaut zu haben, abstreifen.
Ein skrupelloser Opportunist
Die beiden Brüder Rotters hatten ein Theaterunternehmen aufgebaut, mussten dann aber Konkurs anmelden und flohen im Januar 1933 nach Liechtenstein. Während sie dem Völkischen Beobachter als Inkarnation des jüdischen Gauners galten, plante Roeckle gemeinsam mit vier Gesinnungsgenossen die Brüder Schaie zu entführen und sie den deutschen Behörden zu über­geben. Die Aktion misslang. Die Überfallenen wehrten sich, Alfred und seine Ehefrau Gertrud Schaie verunglückten im steilen Gelände tödlich. Den Verschwörern wurde der Prozess gemacht. Roeckle nahm sich einen Frankfurter Anwalt, gab an, die Frankfurter NSDAP bereits seit 1923 unterstützt zu haben, tat kund, die Aktion sollte nur ein Auftakt zu einer „nationalen Bewegung“ in Liechtenstein bilden, und wurde schließlich zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Er kehrte noch 1933 nach Frankfurt zurück, bekam jedoch keine größeren Aufträge mehr.
Es ehrt die Nachkommen Roeckles, sich offen der Aufarbeitung dieser Vergangenheit zu stellen und das erwähnte Buch und das Symposium finanziell unterstützt zu haben. Denn das Problem einer allzu flexiblen „Mutabilität“ ist kein historisches. Wenn Architekten etwa für asiatische Diktaturen oder für die autokratischen Arabischen Emirate bauen, stellt sich die Frage nach Anpassung oder Anbiederung immer wieder neu.

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