Bauwelt

Weniger ist wieder mehr

Gastkommentar zum ­Bauwelt-Kongress 2015 „Zukunft Energiewende“

Text: Steeger, Jan, Berlin

Weniger ist wieder mehr

Gastkommentar zum ­Bauwelt-Kongress 2015 „Zukunft Energiewende“

Text: Steeger, Jan, Berlin

Was tun, müsste man fragen, angesichts des ambitionierten Themas, das sich der Bauwelt-Kongress  in diesem Jahr vorgenommen hatte. Was bleibt, könnte man fragen, nachdem der diesjährige Architekturkongress zur Energiewende zu Ende gegangen ist. Wenig, wäre die despektierliche Antwort auf beide Fragen. Das würde aber sowohl der Veranstaltung als auch dem Thema Unrecht tun. Schließlich machen Gebäude in Deutschland  40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs  aus und zeichnen für 20 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. Inso­fern ist es notwendig zu fragen, „wie radikal sich Architektur und Städtebau ändern müssen“, um die Klimaschutzziele erreichen zu können. Nur ein wenig, lautet die erstaunliche Antwort des Bauwelt-Kongresses, wenn wir uns alle etwas anstrengen. Dazu vier Thesen.
Nachhaltigkeit muss Spaß machen. Wie bei fast allem, das wir Menschen tun, ist die Freude am Tun auch bei einem abstrakten Thema wie Nachhaltigkeit die wichtigste Motivation. Es reicht nicht aus, die Menschen darauf hinzuweisen, dass ihr Handeln verheerende Konsequenzen für das Leben in anderen Teilen der Welt und für das Leben ihrer Enkel hat. Hier helfen auch Verbote nichts. Darauf wies Matthias Horx  hin. Der größte Anreiz sich heute einen SUV zu kaufen, sei für viele die Aussicht, dass dies in zwei Jahren voraussichtlich verboten sein wird, gab der Zukunftsforscher zu bedenken. Daher auch sein Hinweis, dass Nachhaltigkeit Spaß machen sollte. Beispiel Fahrrad: Im Vergleich zu Autofahrern und Fußgängern muss man sich den Radfahrer als glücklichen Menschen vorstellen. Horx zitierte eine Studie, derzufolge Radler am häufigsten Freude im Straßenverkehr empfinden.
Doch selbst wem Radfahren keine Glücksmomente bereitet, kann auf den Geschmack kommen. Wie das geht, zeigte der italienische Architekt  Carlo Ratti, der am MIT das „SENSEable City Lab“  leitet, mit seinem  „Copenhagen Wheel“. Mit diesem Hinterrad kann jedes Fahrrad im Handumdrehen zum E-Bike umgerüstet werden, das Bremsenergie speichert und den Radler unterstützt, wenn es schwerer geht.
Langsam is the new green. Warum der Bauwelt Kongress so aufs Rad gekommen ist, hängt mit der zweiten These zusammen. Wir müssen nicht über eine Stadt mit nachhaltigen Gebäuden sprechen, wenn wir zugleich die innerstädtischen Wege mit dem SUV zurücklegen. Auch die Kopenhagener Stadtarchitektin  Tina Saaby Madsen  kam in ihrem Vortrag darüber, wie sie in ihrer Stadt gutes Klima macht, immer wieder auf das Rad zu sprechen. Wen sollte das wundern, an­gesichts einer Stadt, in der Radfahrer als vollwertige Verkehrsteilnehmer behandelt werden und mehr als die Hälfte des Gesamtverkehrs ausmachen. Das wirkt sich natürlich auch aufs Klima aus.
Der Nutzer muss zum Komplizen werden. Aber kommen wir endlich zur Architektur: Dass man supergrüne Gebäude bauen kann, ist gar keine Frage. Architekten vom Schlage eines  Matthias Sauerbruch  oder  Christoph Ingenhoven allemal. So zeigten beide auch beeindruckende Beispiele für klimagerechtes, energieeffizientes und nachhaltiges Bauen. Sauerbruch etwa den Neubau der  GSW-Hauptverwaltung  in Berlin (1999) und die umgebaute  Verwaltung der Münchener Rück  in München. Ingenhoven etwa das
in Bau befindliche  Marina-One-Projekt  in Singapur, einen nachhaltigen Gebäudekomplex, der auf einer Fläche von 341.000 Quadratmetern vier Hochhaustürme und einen öffentlichen Park mit Wasserfällen und Dachgärten vereint.
Doch wenn man zwischen diesen nachhaltigen Leuchttürmen umherwandelt, darf man eines nicht aus dem Auge verlieren: Das sind Ausnahmen. Und was schwerer wiegt: Wir wissen nicht, ob diese Gebäude auch erfüllen, was sie versprechen. Dazu liegen bisher zu wenig detaillierte Daten darüber vor, ob die grünen Gebäude auch die errechneten Effizienzen erreichen. Sauerbruch wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Verbrauchsdaten beim Neubau des Umweltbundesamtes  in Dessau im ersten Jahr 98 (sic!) Prozent über den Berechnungen lagen. Das ist aber nicht den arithmetischen Inkompetenzen der Planer anzulasten, sondern vor allem dem Nutzerverhalten. Obwohl es sich um eine diesem Thema sehr aufgeschlossene Nutzergruppe gehandelt habe, benötigte man vier bis fünf Jahre mit kontinuierlicher Information, um die avisierten Verbrauchswerte zu erreichen. „Ein Großteil der ökologischen Aspekte eines Gebäudes ist eben nicht von der Planung, sondern von der Nutzung abhängig“, so Sauerbruchs Resümee.
Alles hängt mit allem zusammen. Während der Zusammenhang von Gebäudenutzung und Gebäudeplanung offenkundig ist, dürfte es den meisten Bauwelt-Kongress-Teilnehmer schwergefallen sein,  Kim Kardashian  im Kontext der Konferenz zu verorten. Aber nichts anderes nahm sich der spekulative Architekt  Liam Young  vor und führte in seinem Filmvortrag eine fiktive Kim Kardashian in eine imaginäre Stadt der näheren Zukunft. Hinter den hochauflösenden Displays der neuesten Smartphone-Generation tut sich dann eine Welt auf, in der zur Gewinnung der Seltenen Erden und beim Lithium-Abbau Landschaften zerstört und Hunderte Millionen Tonnen giftige Abfälle produziert werden.
Aber gerade damit macht Young darauf aufmerksam, dass Nachhaltigkeit immer nur ganzheitlich gedacht werden kann. Wenn wir Solarenergie nutzen, müssen wir auch die ökologischen Folgen der Solarzellenherstellung im Blick haben. Wenn die Energieeffizienz eines Gebäudes nur dann optimiert werden kann, indem man am anderen Ende der Welt einen schwarzen Fußabdruck hinterlässt, erscheint dieser Ansatz in einer globalisierten Gesellschaft mehr als zweifelhaft. Zukunftsforscher Horx hat das bereits zum Beginn des Kongresses auf die schöne Formel gebracht: Weniger Effizienzdruck, mehr
Effektivität! Wenn wir das mit der von Matthias Sauerbruch im Zusammenhang mit der Energiewende geforderten Bescheidenheit verbinden, könnte man sagen: Weniger ist wieder mehr.

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