Bauwelt

Vision gestern, Vision heute

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Vision gestern, Vision heute

Text: Grünzig, Matthias, Berlin

Das Museum Pankow widmet sich dem Wohngebiet Ernst-Thälmann-Park im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berlin. „Die Vision Thälmann-Park“, heißt die Ausstellung – und sie meint im Grunde zwei „Visionen“. Die erste bezieht sich auf die Entstehung des Quartiers, das zwischen 1983 und 1987 auf dem Gelände eines stillgelegten Gaswerks errichtet wurde. Modellhaft sollte dort vorgeführt werden, wie attraktiver innerstäd-tischer Wohnungsbau aussehen kann. Entsprechend aufwendig fiel die Gestaltung aus. Das Arrangement aus achtgeschossigen Wohnblöcken und 12- bis 18-geschossigen Punkthochhäusern von Erhardt Gißke (Städtbau) und Helmut Stingl (Hochbau) hob sich mit verglasten Loggien, klinkerverkleideten Fassaden, Erkern und Maisonettewohnungen vom üblichen Plattenbaustandard ab. Neben den 1300 Wohnungen gab es Schulen, Kindertagesstätten, Gaststätten, Geschäfte, eine Schwimmhalle, ein Kulturzentrum und das damals modernste Planetarium Europas – eingebettet in einen 16 Hektar großen Park, der unter Leitung des Landschaftsarchitekten Hans Georg Büchner gestaltet wurde. Die Entstehungszeit des Quartiers illustriert die Ausstellung mit Modellen, Fotos und zahlreichen Filmen, die auch zeigen, dass das Bauprojekt keinesfalls nur auf Zustimmung stieß. Vor allem gegen den Abriss der Gasometer gab es Proteste. Seit Anfang dieses Jahres stehen Wohngebiet und Freiflächen übrigens unter Denkmalschutz.
Die zweite „Vision Thälmann-Park“ betrifft die letzten Jahre, in denen sich das Viertel zu einem regelrechten Experimentierfeld für bürgernahe, partizipative Planungsverfahren entwickelt hat. Nach der Wende schlossen viele Gaststätten und Geschäfte, das Kulturangebot wurde ausgedünnt, der Park verwahrloste zusehends. 2012 gründeten Anwohner die „Anwohnerinitiative Ernst-Thälmann-Park“, um den Niedergang zu stoppen. Sie organisierten Arbeitseinsätze zur Grünanlagenpflege, bewässerten auf eigene Kosten den verlandeten Teich und begannen, sich Gedanken über die Zukunft zu machen: Planungswerkstätten wurden durchgeführt.
Nicht nur die Bewohner des Viertels selbst, auch viele aus den benachbarten Quartieren des Prenzlauer Berges nahmen daran Teil, denn auch sie nutzen die öffentlichen Einrichtungen und Grünflächen des Thälmann-Parks. Das im Rahmen der Werkstätten erarbeitete Konzept sah die Aufwertung der Freiflächen sowie die Schaffung zusätzlicher Schul- und Kitaplätze vor. In der Folge bemühte sich die Anwohnerinitiative, ihre Ideen in Absprache mit dem zuständigen Bezirksamt Pankow und weiteren Akteuren umzusetzen.
Die Ausstellung dokumentiert auch die Konfliktlinien dieses Beteiligungsprozesses, Film-Interviews mit den Protagonisten zeichnen die verschiedenen Positionen nach. So haben private Investoren ehemalige Bahnflächen am Rand des Wohngebiets erworben, um dort 2200 Wohnungen zu bauen. Das lehnt die Anwohnerinitiative ab, weil weitere Wohnungen den Mangel an Schul- und Kitaplätzen sowie Grünflächen verschärfen würden. Das Bezirksamt hat zwar eine Voruntersuchung zur Einrichtung eines Sanierungsgebiets im Ernst-Thälmann-Park in Auftrag gegeben, die viele Einschätzungen der Anwohnerinitiative bestätigt; im Frühjahr 2013 fand dazu eine erste Planungswerkstatt statt. Doch auch die Pläne des Amts sehen die 2200 neuen Wohnungen vor.
Am Ende der Ausstellung steht eine große Karte des Ernst-Thälmann-Parks. Darauf kann jeder seine Wünsche für das Quartier mit Aufklebern markieren. Hier ist die Meinung einmütig: Die Flächen, auf denen die Investoren bauen wollen, sind mit zahllosen Bäumen – dem Symbol für Grünflächen – beklebt.

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