Bauwelt

Losser. Gartenstadt der Reihen- und Doppelhäuser

Die Atmosphäre in Losser hat etwas von einem Sonntagnachmittag. Die Straßen sind nur wenig befahren, die Häuser haben hübsch gemachte Vorgärten, nichts scheint den Blick zu stören, selbst die Baustellen wirken aufgeräumt. Um diese Kultur des Pflegens und Versorgens zu bewahren, bedarf es eines Wandels – der freilich wie die Konsequenz unpersönlicher, sachlicher Erwägungen daherkommt.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

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    Der 22 m hohe Martinusturm aus dem 15. Jahrhundert steht im Ortszentrum und wird zum Teil noch von alten Bauernhäusern umgeben.
    Foto: Jörg Hempel

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    Der 22 m hohe Martinusturm aus dem 15. Jahrhundert steht im Ortszentrum und wird zum Teil noch von alten Bauernhäusern umgeben.

    Foto: Jörg Hempel

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    Die zentralen Straßen sind verkehrsberuhigt. Ein „Centrum Management Losser“ der Händler kümmert sich um die Vermarktung.
    Foto: Jörg Hempel

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    Die zentralen Straßen sind verkehrsberuhigt. Ein „Centrum Management Losser“ der Händler kümmert sich um die Vermarktung.

    Foto: Jörg Hempel

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    Ein letztes Relikt der früher florierenden Webereien ist die Firma van Heck Textiles, die noch das Produktionsgebäude von 1928 nutzt.
    Foto: Jörg Hempel

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    Ein letztes Relikt der früher florierenden Webereien ist die Firma van Heck Textiles, die noch das Produktionsgebäude von 1928 nutzt.

    Foto: Jörg Hempel

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    Viel Grün vor den Reihenhäusern. Man geht davon aus, dass die Stadt in den nächsten Jahren schrumpfen wird.
    Foto: Jörg Hempel

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    Viel Grün vor den Reihenhäusern. Man geht davon aus, dass die Stadt in den nächsten Jahren schrumpfen wird.

    Foto: Jörg Hempel

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    Neubaugebiet im Norden mit viergeschossigem Wohnungsbau. Ein „Beeldkwaliteitsplan“ formuliert die gestalterischen Richtlinien.
    Foto: Jörg Hempel

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    Neubaugebiet im Norden mit viergeschossigem Wohnungsbau. Ein „Beeldkwaliteitsplan“ formuliert die gestalterischen Richtlinien.

    Foto: Jörg Hempel

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    Lossers verkehrsberuhigte breite Straßen mit auffallend großzügigen, teils begrünten Freiflächen von den Häusern.
    Foto: Jörg Hempel

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    Lossers verkehrsberuhigte breite Straßen mit auffallend großzügigen, teils begrünten Freiflächen von den Häusern.

    Foto: Jörg Hempel

Losser. Gartenstadt der Reihen- und Doppelhäuser

Die Atmosphäre in Losser hat etwas von einem Sonntagnachmittag. Die Straßen sind nur wenig befahren, die Häuser haben hübsch gemachte Vorgärten, nichts scheint den Blick zu stören, selbst die Baustellen wirken aufgeräumt. Um diese Kultur des Pflegens und Versorgens zu bewahren, bedarf es eines Wandels – der freilich wie die Konsequenz unpersönlicher, sachlicher Erwägungen daherkommt.

Text: Kasiske, Michael, Berlin

Losser liegt hinter der Grenze. Zu ergänzen ist, dass ich rund 200 Meter entfernt von dieser aufgewachsen bin. Aus früher Erinnerung sind holzvertäfelte Gaststätten geblieben, die Fischhändler mit ihrer stets frischen Ware und natürlich der Wochenmarkt. Auf dem es, wie meine Mutter nicht müde wird zu erwähnen, schon immer geschälte Kartoffeln im Glas zu kaufen gab – aus ihrer Sicht dekadent, doch unbestreitbar komfortabel. Auch ist Losser gleichsam ein Synonym für seine Karnevalumzüge am Samstag vor Rosenmontag. Anders als die deutschen Nachbarn und das größere Enschede ist es katholisch geprägt, wovon heute der 22 Meter hohe „Martinusturm“ aus dem 15. Jahrhundert zeugt. Mit dem närrischen Treiben begründete sich lange vor dem offenen Europa eine beachtliche grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Seit 1962 steuern die niederlän­dischen Wagenbauer zum Rosenmontagsumzug im westfälischen Münster herausragende Motivwagen bei, die sie dank den Zuschüsse der deutschen Karnevalisten aufwendig gestaltet haben. Von dem jährlichen Ausnahmezustand abgesehen, ist Losser unauffällig. Auf einer Fläche von 100 Quadratkilometern leben rund 22.500 Menschen in fünf Ortsteilen, davon circa 60 Prozent im so genannten „Dorp Losser“. Zwei Ortsteile mit jeweils um die 4000 Einwohner sind Overdinkel, das unmittelbar an der Grenze zu Gronau in Westfalen liegt, und De Lutte im Norden.
Im Rathaus treffe ich Henk Lahuis, der dort mit Raumplanung, Wohnen und Versorgung betraut ist. Für die Verabredung hatte ich etliche Hürden zu bewältigen, weshalb ich froh bin, dass der Raumplaner mir kurzfristig eine Stunde einräumt. Den Termin überlässt ihm die neue Bürgermeisterin, die von ihrem Amtskollegen aus Bad Bentheim (Seite 24) über den Besuch informiert worden war. Wie in den Niederlanden üblich, wurde sie von „der Krone“ ernannt, nachdem das Kabinett sich für eine der zwei Empfehlungen des Gemeinderats entschieden hatte. In Losser leitet sie mit drei Ratsherren die Verwaltung; diese werden vom Gemeinderat entsprechend seines Proporzes bestimmt und bekommen jeweils, wie auch die Bürgermeisterin, ein bestimmtes Portefeuille zugewiesen.
Im Gespräch mit Lahuis werden mir die Randbedingungen erläutert. Die Planungshoheit liegt bei der Gemeinde, auch wenn die 55 Beschäftigten seit 2011 bei der Stadt Enschede angestellt sind. Eine Kooperationsvereinbarung zwischen den beiden Kommunen soll durch Synergien etwa bei der allgemeinen Verwaltung zu einer Einsparung von 1,2 Millionen Euro jährlich führen. Der verkleinerte Finanzhaushalt sicherte Losser letztlich seine Unabhängigkeit.
792 Wohnungen bis 2026
Was den Neubau von Wohnungen betrifft, so Lahuis, kommen die Vorgaben von der Provinz Overijssel (eine niederländische Provinz entspricht einem deutschen Regierungsbezirk). Für die Periode von 2017 bis 2026 wirdin Losser der Neubau von 645 Wohnungen mit einer Toleranz von plus/minus zehn Prozent erlaubt, wobei Wohnungen, die abgerissen werden, ohne Anrechnung ersetzt werden können. Anhand einer Liste zeigt mir Lahuis die grundstücksscharfe Prognose für 82 Abrisse auf und die daraus sich ergebende Konsequenz, dass maximal 792 Wohnungen neu errichtet werden dürfen. Ich bin über die weitgesteckte Festlegung konsterniert. Andererseits ist das Akzeptieren solcher Planungszeiträume mög­licherweise die Ursache für das Stadtbild von Losser, das außerordentlich klar gegliedert ist. Die Funktionen Zentrum, Wohnen und Gewerbe sind voneinander abgegrenzt, es gibt, dem sparsamen Verbrauch von Flächen folgend, außergewöhnlich viele Reihen- und Doppelhäuser – man wähnt sich zuweilen in einer Gartenstadt. Erst die jüngeren Wohngebiete im Norden der Stadt ahmen leider jene auf der deutschen Seite nach und gefallen sich in auftrumpfendem Individualismus mit allem, was die Bauindus­trie liefert. Soll mit diesem Tribut die Abwanderung gemindert werden? Die Frage stelle ich nicht, da Lahuis die Vermutung äußert, dass der deutsche Markt mehr auf Wohneigentum ausgerichtet ist, wohingegen in seinem Land eher Mietwohnungen gefördert würden. Für zukünftige Quartiere stellt er exemplarisch ein neues Baugebiet mit anspruchsvoller Gestaltung am östlichen Rand von Losser vor. Auf einem ehemaligen Werkstattgelände der Gemeinde sollen überwiegend frei stehende, aber auch Doppel- und Kettenhäuser entstehen. Für die Erschließung hatten sich zwei Baugruppen zusammengeschlossen, die nun 14 Grundstücke erhalten, die übrigen 20 werden gesondert vergeben. Um die formalen Grundzüge zu formulieren, erstellte ein Architekturbüro einen so genannten „Beeldkwa­-li­teitsplan“. In diesem werden die strukturelle Gestalt der Baukörper – etwa keine symmetrischen Satteldächer – bestimmt ebenso wie die Materialien – etwa Handformstein, graue Eiche – und die Bepflanzungsformen. Es geht, wie der Titel des Plans aussagt, um ein Siedlungsbild, dessen Homogenität dank der vorgegebenen Gestaltungselemente sichergestellt werden soll.
Von außen nach innen schrumpfen
Insgesamt werden Neubauten nur noch innerhalb der aktuell bestehenden Stadtgrenzen erlaubt. Für die gesamten Grenzprovinzen von Groningen bis Limburg wird eine sinkende Einwohnerzahl prognostiziert. Aus diesem Grund soll Losser „eingekrempelt“ werden, das heißt von außen nach innen schrumpfen. Der demografische Wandel schlägt sich ebenfalls nieder. So wird die jüngste katholische Kirche St. Martinus gegenwärtig zu einem Kulturzentrum profaniert; auch wird erwartet, dass sich das Durchschnittsalter der Einwohner erhöht.
Die in Losser ansässigen Gewerbebetriebe sind überschaubar. Heraus ragt der international tätige Hersteller für industrielle Absperrklappen und Ventile Wouter Witzel Eurovalve mit rund 200 Mitarbeitern. Ein letztes Relikt der Webereien ist van Heek Textiles, das noch das Produktionsgebäude von 1928 nutzt; als einer der weltweit größten Hersteller von Buchbinderleinen sowie anderen Edel- oder Spezialgeweben beschäftigt der Betrieb ebenfalls um die 200 Mitarbeiter. Das Gewerbegebiet liegt konzentriert im Süden von Losser und ist von der übrigen Stadt durch eine breite Straße getrennt. Weitere Gewerbegebiete, so teilt mir im Nachgang Moni­que Hamers von der Abteilung für Politik, Strategie und Projekte der Gemeinde mit, sind nicht geplant; bei möglichen Ansiedelungen arbeitet die Stadt über den seit 1969 bestehenden Gemeindeverband Twente mit dem westlich von De Lutte gelegenen Oldenzaal zusammen, das verkehrlich besser erschlossen ist. In Losser wird deshalb mehr auf Tourismus gesetzt. Traditionell ist das heutige Naturschutzdenkmal „Lutterzand“ ein beliebtes Ausflugsziel für Tagesausflüge. Der natürliche Lauf des kleinen Flusses Dinkel sorgt für eine zerklüftete Landschaft, die mich schon als Kind begeistert hat. Die sandige Uferzonen waren wie Strände, hier und da waren Bäume infolge der Herbsthochwasser umgestürzt und zu herrlichen Kletterobjekten geworden. Campingplätze gab es damals schon, inzwischen sind auch Hotels sowie vielfältige Gastronomie dazugekommen.
Trotz der Konzentration des Fremdenverkehrs auf Lutterzand und dem noch weiter nördlich liegendem Ortsteil Beuningen bemüht sich die Gemeinde, auch Angebote in Losser und Overdinkel zu machen. Im Zentrum, dem Dorf mit den schön hergerichteten Bauernhäusern aus dem 17. Jahrhundert, haben die Händler zur besseren Vermarktung das „Centrum Management Losser“ gegründet. Dazu soll bald auch eine kleine Shoppingmall gehören, denn der Innenstadt mit ihrem Bauten und Pflasterung aus Klinkern wohnt ein erhebliches Potenzial inne.
Domestizierte Landschaft
In Losser wurde Klinker hergestellt. Von den Ziegeleien ist einzig die „Steen- en Pannenfabriek De Werklust“ übrig, die heute ein Museum ist; in der weiträumigen, gut erhaltenen Anlage kann seit 1999 von der Tongrube bis zum Ringofen die gesamte Herstellung nachvollzogen werden. Ein weiteres touristisches Ziel ist das Arboretum Poortbulten, das vor über hundert Jahren von einem Textilfabrikanten gegründet wurde und einen großen Bestand an Bäumen und Sträuchern aufweist. Beides waren Stationen der ersten länderübergreifenden Landesgartenschau Gronau-Losser 2003, die sich allerdings auf niederländischer Seite zu einem erheblichen finan­ziellen Verlust und in der Folge zum Rücktritt der damaligen Bürgermeisterin und Ratsherren führte.
Mit der seinerzeit geschaffenen Infrastruktur, insbesondere das Radwegenetz, möchte man dem Ziel näherkommen, die Menschen länger im Ort zu halten und damit Hotellerie und Gastronomie zu stärken, wie mir Hamers mitteilte. Die Tourismusförderung obliegt jedoch dem Gemeindeverbund Twente, der Losser aufgrund seiner Vielfältigkeit als die „Schatzkammer“ der Region vermarktet.
Das entspricht meinem Bild, ich nehme die Stadt bis heute als einen großen Park wahr. Schon als wir vor über vierzig Jahren in die Pilze gingen, waren sogar die Hecken an den Wiesenrändern sehr ordentlich. Eine domestizierte Landschaft, die sich mit Alleen und anderem Stadtgrün bis in das Zentrum zieht. Es nimmt nicht wunder, dass sich zunehmend auch Pflegeeinrichtungen für alte Menschen ansiedeln, der größte Baukomplex ist das Versorgungszentrum Oldenhove-Maartens-Stede.
Die Kooperation mit Enschede und vor allem die langjährige Integration im Verbund Twente, der die Gemeinde auch in der staatenübergreifenden EUREGIO vertritt, hat Losser zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen pragmatischem Handeln und pathosfreiem Würdigen der Geschichte geführt. Wie das Rathaus von 1970, in dem kein Mitarbeiter mehr über einen festen Arbeitsplatz verfügt und gleichzeitig mit dem Rathausplatz und seiner alten Bebauung beliebtester Treffpunkt der Stadt ist. Gemütlichkeit heißt übersetzt ins Niederländische eben „Gezelligkeit“.

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