Bauwelt

Kollektiv bauen

Hannes Meyer im Bauhaus Dessau

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

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    Laubenganghäuser in Dessau-Törten, von der Bauabteilung des Bauhauses unter Hannes Meyer 1929/30 errichtet: Die 47 Quadratmeter kleinen Mietwohnungen waren spottbillig und kamen damit dem Ideal der „Volkswohnung“ sehr nahe. Foto: Stiftung Bauhaus Dessau

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    Laubenganghäuser in Dessau-Törten, von der Bauabteilung des Bauhauses unter Hannes Meyer 1929/30 errichtet: Die 47 Quadratmeter kleinen Mietwohnungen waren spottbillig und kamen damit dem Ideal der „Volkswohnung“ sehr nahe.

    Foto: Stiftung Bauhaus Dessau

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Hannes Meyer im Bauhaus Dessau

Text: Scheffler, Tanja, Dresden

Hannes Meyers Amtszeit als zweiter Direktor des Bauhauses endete 1930 mit seiner fristlosen Entlassung wegen „kommunistischer Machenschaften“. Dies lässt ihn bis heute als zwielichtige Figur erscheinen. Walter Gropius – der geistige Übervater des Bauhauses - trat während des Kalten Krieges, in der ersten größeren Monographie (1965) nach Meyers Tod, noch kräftig nach: Sein Nachfolger habe sich „in ein gemachtes Bett gelegt“, gleichzeitig „zersetzte er die Idee des Bauhauses“ mit seiner marxistischen Grundeinstellung und brachte die Schule so „schließlich selbst zur Strandung.“ Eine Lesart, die man seitdem in unzähligen Publikationen wiederfindet.
Das Bauhaus Dessau beleuchtet jetzt mit einer interessanten, von Werner Möller (Stiftung Bauhaus Dessau) und Raquel Franklin (Anahuac University in Mexico City) kuratierten Ausstellung, wie Meyer die Struktur dieser Schule verändert hat und erläutert anhand einiger ausgewählter Projekte parallel dazu seine grundlegenden Vorstellungen vom gemeinschaftlich-sozialen Bauen („das prinzip coop“).
Gropius wollte nach der Gründung des Bauhauses bereits in Weimar eine Architekturklasse einrichten, konnte dies jedoch erst in Dessau realisieren. Er engagierte 1927 den Schweizer Architekten Hannes Meyer (1889–1954) als Leiter für die neueingerichtete „Baulehre“, weil ihm damals dessen genossenschaftliches Engagement ebenso gefiel wie sein (mit Hans Wittwer) spektakulär-funktionalistischer Entwurf für den Völkerbundpalast in Genf. Von nun an konnten die Studenten nach der Vorlehre gleich in die Architekturabteilung wechseln. Als bei der Übergabe des Direktorenamtes im Jahre 1928 zusammen mit Gropius auch Moholy-Nagy, Breuer und andere die Schule verließen, nutzte Meyer dies für Neuberufungen. Denn er setzte auf eine radikale Verwissenschaftlichung: Statt künstlerisch-ästhetischer Kriterien waren nun objektiv fassbare Erkenntnisse – wie detaillierte Bedarfsermittlungen bei den späteren Nutzern – maßgebend für die Gestaltung. Außerdem favorisierte er statt exklusiver Einzelstücke erschwingliche Produkte für breite Bevölkerungsschichten – „Volksbedarf statt Luxusbedarf“ war die Maßgabe.
Die „Volkswohnung“ wurde zur zentralen Aufgabe des Bauhauses. Dabei entstanden Holz-Möbel und Interieurs mit einfachen Konstruktionen und Materialien: eine minimalistisch-sparsame Linie, die, auch heute noch zeitlos aktuell, im Verhältnis zu den Stahlrohr-Kreationen aber eher unspektakulär wirkt und kaum bekannt ist. Die Kuratoren ließen verschiedene Hocker- und Tischmodelle von den Deutschen Werkstätten Hellerau und lokalen Partnern anhand von Entwurfsskizzen und erhaltenen Musterstücken nachbauen. Sie können in der Ausstellung von den Besuchern getestet werden.
Seine Nähe zu Bodenreformbewegung und Genossenschaftswesen verdankte Meyer dem Bau der Gartenstadt-ähnlichen Siedlung „Freidorf“ in Muttenz bei Basel (1919–23) für den Verband Schweizerischer Konsumvereine („Coop-Genossenschaft“). Sie war das damals landesweit wichtigste Modellprojekt des sozialen Wohnungsbaus und fand international Resonanz. Durch den Kontakt mit der Avantgarde der 20er Jahre verschob sich sein Weltbild politisch jedoch immer weiter nach links: In den Bauhaus-Werkstätten führte er das Entwerfen in größeren Kollektivstrukturen unterschiedlich vorgebildeter Studenten ein – sogenannte „vertikale Brigaden“, die er auch auf Baustellen einsetzte. Sein Selbstverständnis hatte sich vom Künstlerarchitekten zu einem der Gesellschaft dienenden Gestalter gewandelt. Dabei förderte er auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit, um möglichst viele Faktoren in den architektonischen Entwurfs- und Bauprozess einbeziehen zu können – in der Ausstellung sind dazu zahlreiche Mindmap-ähnliche Pläne und Diagramme zu sehen. Damit
beschnitt er zum Unmut seiner renommierten Künstler-Kollegen jedoch die Chancen der künstlerischen Selbstverwirklichung. Gleichzeitig bildete er so – in der Zeit der Kunstgewerbler und Musterzeichner – völlig neue, nachfrageorientierte Mitarbeiter für Industrie und Handwerk heran, die Form und Technik gleichermaßen beherrschten: ein Berufsbild, das es damals so noch gar nicht gab und für das sich erst viel später
der Begriff Designer durchgesetzt hat.
Die Planung und Bauleitung der Laubenganghäuser (1929/30) in Dessau-Törten übernahm ein Studentenkollektiv, und auch bei der (aus einem gemeinsamen Wettbewerbserfolg mit Wittwer hervorgegangenen) Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau beteiligte Meyer seine Studenten. Sie wurde sein Meisterstück. Nach einer Analyse der landschaftlichen Situation und des Raumprogramms komponierte er eine baulich präzise gegliederte Anlage eindrucksvoll in die Natur hinein: verschiedene, miteinander verbundene Baukörper (Wohnpavillons der Schüler, Lehrerwohnungen, Gemeinschafts- und Unterrichtsräume), die sich harmonisch um einen kleinen See gruppieren.
Die Ausstellung hat einen werkstattartigen Charakter. Vier Themenbereiche – Gesellschaft, Lehre, Architektur, Landschaft – werden anhand reproduzierter Pläne und Fotos rund um einzelne hochrangige (gerahmte) Original-Exponate präsentiert. Sie zeigt keine klassische „Erfolgsgeschichte“, denn Meyer scheiterte letztendlich – in Dessau (1927–30), im stalinistischen Russland (1930–36) und auch in Mexiko (1939–49) – immer wieder mit seinen Ideen. Diese Rückschau zeigt aber auch, dass der lange als Totengräber des Bauhauses abgestempelte Architekt der Avantgarde-Schule einige entscheidende neue Impulse gegeben hat.

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