Bauwelt

Kater von Athen

Ist die gemischte Stadt ein Zukunftsmodell oder eine Illusion? Ein Symposium des Architekturcentrums Hamburg begab sich auf die Suche nach deren Parametern

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

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    Die (gemischte) Stadt im Blick – das Hamburgmodell in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt.
    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Die „Othmarscher Höfe“ treffen auf Kino und Parkhaus


    Foto: Ulrich Brinkmann

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    Die „Othmarscher Höfe“ treffen auf Kino und Parkhaus


    Foto: Ulrich Brinkmann

Kater von Athen

Ist die gemischte Stadt ein Zukunftsmodell oder eine Illusion? Ein Symposium des Architekturcentrums Hamburg begab sich auf die Suche nach deren Parametern

Text: Brinkmann, Ulrich, Berlin

Nein, von Konfliktscheue war das Hamburger Architektur Centrum nicht geleitet, als es das Programm der zweitägigen Konferenz „Wohnstadt Hamburg – Zukunft für eine gemischte Stadt“ zusammenstellte, die Ende September in der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt im Stadtteil Wilhelmsburg stattfand. Dieser Eindruck drängte sich jedenfalls schon mit der Wahl des Veranstaltungsorts auf: Der Neubau der Behörde von Sauerbruch & Hutton erhebt sich direkt gegenüber dem IBA-Baufeld, dessen hypertrophe Architekturexperimente, verglichen mit dem Erbe des Hamburger Wohnungsbaus etwa aus der Ära Schumacher, hilflos anmuten (Bauwelt 12.2013).
Und der Eindruck setzte sich mit dem Aufgebot der Referenten fort. Der Berliner Soziologe und Gentrifizierungskritiker Andrej Holm etwa enttarnte gleich zum Auftakt das viel gelobte Hamburger „Bündnis für Wohnen“, eine Art runder Tisch der in den Wohnungsbau der Hansestadt Involvierten, umstandslos als „Immobilienverwertungskoalition“, die vor allem das gemeinsame Geschäftsinteresse leite. Der Hamburger „Drittelmix“ für neue Projekte, welcher die soziale Mischung fördern soll – und gerade aus Berliner Perspektive als unbedingt vorbildlich gelten muss: für Holm lediglich eine Beruhigungspille für den Mittelstand, die davon ablenke, dass die tatsächlich Bedürftigen vom Wohnungsmarkt mehr und mehr ausgeschlossen, zumindest aber an den Rand verdrängt werden. Seit Engels’ Beschreibung der Wohnungsnot (formuliert im Jahr 1872!), habe sich, so Holm, an den Zustän-den nichts zum Besseren gewendet: Da eine Wohnung noch immer als Ware gehandelt und das Wohnen mithin als Geschäftsmodell betrieben werde, der Wohnungsmarkt aber als ein unvollkommener, da intransparenter, unflexibler und ungleicher Markt gelten müsse, werden günstige Unterkünfte zunehmend knapp.

Wenn aus 700.000 acht Millionen werden

Anhand der Geschichte des Berliner Mehrfamilienhauses Linienstraße 118 zeigte Holm diesen Befund auf drastische Weise. 1997 für 700.000 Euro von einem Hamburger Ehepaar gekauft, wechselte der schlichte Altbau 2011 für 2,4 Millionen Euro ins Portfolio der Gesellschaft „Immobilien Wien“. Ohne dass irgendeine Investition in die Substanz getätigt worden wäre, übernahm ein Jahr später die Berliner David Borck Immobiliengesellschaft das Haus – für 5,52 Millionen. Nachdem man 18 Mieter zum Auszug bewegt hatte, wurde das Objekt in Eigentumswohnungen filettiert und im letzten Jahr für 8 Millionen Euro erneut auf den Markt gebracht. Wie sich eine solche Entwicklung auf die Mischung der Stadtgesellschaft auswirkt, ist auch mit wenig Phantasie auszumalen. Holms Resümee: Die Zustände seien nur zu verbessern, wenn es wie einst dem „Roten Wien“ gelänge, den privaten Wohnungsmarkt zum Erliegen zu bringen!
Die Eindrücke, die der Hamburger Wohnungsbau der Gegenwart liefert und die auf den Exkursionen des Nachmittags eingesammelt wurden, fielen also auf ein wohl bestelltes Feld. Verwundert es, dass Krämergeist und Spekulation plötzlich aus jeder Dehnungsfuge und Lüftungsklappe hervorzulugen schienen? Beispiel Othmarscher Höfe: Auch bei diesem, von der Hamburger FPC First Properties zusammen mit Behrendt Wohnungsbau, Altonaer Spar und Bauverein, Richard Ditting GmbH & Co. KG, WHM GbR und der NCC Wohnimmobilien GmbH realisierten Quartier gibt es einen Mix von geförderten und frei finanzierten Wohnungen, und die Dichte ist durchaus von städtischer Anmutung (Architekten: Schenk+Waiblinger; HeitmannMontúfar; LRW Loosen, Rüschoff + Winkler, alle Hamburg). Doch Platz für urbane Qualitäten gibt es nicht; bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die Anlage als hoch verdichteter Siedlungsbau. Außer der üblichen Kinderbetreuungseinrichtung enthalten die geknickten Zeilenbauten nichts als Wohnungen, ohne dabei städtische und halböffentliche Räume zu bilden, denn die vermeintlichen Innenhöfe sind ebenso frei zugänglich wie die eigentlichen Verkehrsräume. Und die privaten Wohnräume grenzen ohne jede Vermittlung an diesen allseitigen Siedlungsraum – nicht mal ein Hochparterre hat das Diktum der maximalen Ausnutzung entstehen lassen.
„Wohnen allein generiert keine Stadt“ – das Fazit, das Bettina Götz vom Architekturbüro Artec am Ende ihres Werkberichts zog, zeigt sich in Othmarschen auf deprimierendste Weise Gestalt geworden. Deprimierend, weil die Schlussfolgerung unerreichbar ist, die die Wiener Architektin aus ihrem Resümee zieht: Reserveflächen, etwa in den Erdgeschossen, freihalten für eine spätere Aneignung, die Schwelle zwischen Privat und Öffentlich „aufziehen“. Die einzige funktionale Mischung verdankt sich der Planungsgeschichte des Areals: Ursprünglich sollte das einstige Margarinefabrikgelände als Gewerbegebiet entwickelt werden, doch davon wurden nur ein Multiplex-Kino, eine Hochgarage und ein Supermarkt Wirklichkeit. Nun wenden sich die Höfe des geförderten Wohnungsbaus den ruppigen Blechfassaden von Kino und Parkhaus zu – ein Ausblick, für den eine Kaltmiete von immerhin 13,50 Euro pro Quadratmeter aufgerufen (und akzeptiert) wird.

Sauberes Gewerbe, saubere Bewohner

Der Jurist Marc Meyer vom Hamburger Verein „Mieter helfen Mietern“ stieß noch einmal in das von Holm liegen gelassene Horn, als er schilderte, in welche Nöte Mieter geraten, die sich nach der Aufstockung ihres Nachkriegsmietshauses dank angebautem Aufzug und Vollwärmedämmung von einer Mietsteigerung um 8 Euro pro Quadratmeter zum Umzug genötigt sehen. Städtische Flächen dürften deshalb nicht mehr unter der Maßgabe größtmöglichen Kapitalertrags vergeben werden; der Drittelmix sei längst nicht ausreichend, um die Stadt auch für weniger zahlungskräftige Bürger erschwinglich zu halten. Großer Unsinn, hielt ihm Thomas Krebs von der SAGA GWG entgegen; nicht die Gentrifizierung sei das Problem, sondern der Absturz von Vierteln aus der Gunst der Wohnungssuchenden, wie im Osten der Hansestadt oder an ihren Rändern in Form der Großsiedlungen der Spätmoderne zu betrachten, in denen heute Leerstand gähne.
Kern des ewigen Auf und Ab der Quartiere, darin war sich die Runde einig, ist das von Uli Hellweg zuvor umrissene Problem der Nutzungsmischung, denn nur die lasse sich überhaupt steuern: Sauberem Gewerbe folge unabwendbar auch eine „saubere“ Zusammensetzung der Bewohner. Soziale Mischung lasse sich nur erreichen, wenn es gelingt, den „Kater von Athen“ aus dem Kopf bzw. aus der BauNVO und der TA Lärm zu kriegen, um so die funktionale Mischung der Quartiere zu erweitern. Dafür aber benötigten die Kommunen mehr Beurteilungsspielraum und eine interdisziplinäre Betrachtung der Quartiere. Und manchmal vielleicht auch gute Architektur: In Falkenried, berichtete Peter Jorzick von der Hamburg Team Gesellschaft für Projektentwicklung, habe die außergewöhnliche Wohnarchitektur Arbeitsplätze nach sich gezogen; statt ursprünglich 90 Prozent Wohnen sei das Quartier heute zur Hälfte mit Gewerbeflächen belegt.

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