Bauwelt

Der Experimentator

László-Moholy-Nagy-Retrospektive am Art Institute of Chicago

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

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    László Moholy-Nagy. Rutschbahn, 1923
    The Museum of Modern Art, New York, Schenkung Mrs. Sibyl Moholy-Nagy, 19.1965. © 2016 Hattula Moholy-­Nagy/VG Bild-Kunst, Bonn/Artists Rights Society (ARS), New York. Digitalfoto © ­­The Museum of Modern Art/­Licensed by SCALA/Art Resource, NY

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    László Moholy-Nagy. Rutschbahn, 1923

    The Museum of Modern Art, New York, Schenkung Mrs. Sibyl Moholy-Nagy, 19.1965. © 2016 Hattula Moholy-­Nagy/VG Bild-Kunst, Bonn/Artists Rights Society (ARS), New York. Digitalfoto © ­­The Museum of Modern Art/­Licensed by SCALA/Art Resource, NY

Der Experimentator

László-Moholy-Nagy-Retrospektive am Art Institute of Chicago

Text: Schulz, Bernhard, Berlin

In früheren Zeiten konnten die wenigsten Künstler ihr Werk zu Lebzeiten so präsentieren, wie sie selbst es gesehen wissen wollten. Um wie viel mehr gilt das für László Moholy-Nagy, dessen Arbeiten immer auf eine Zukunft ausgerichtet ­waren, die den Möglichkeiten seiner eigenen Gegenwart weit voraus war. Mit der umfassenden, gleichwohl nicht erdrückenden Retrospektive, die das Art Institute of Chicago vom New Yorker Guggenheim Museum übernommen hat, widerfährt dem 1946 im Alter von nur 51 Jahren an Leukämie verstorbenen Künstler eine Ehrung, die er zumindest wohl als einen Zipfel jener Zukunft verstanden hätte, die er selbst beständig einzufangen versuchte.
„Künstler“ ist ohnehin nicht die richtige Berufsbezeichnung für den 1895 in Südungarn geborenen Moholy-Nagy. Die richtige, wenn es sie denn gäbe, wäre „Experimentator“. Seit er 1923, jung und unbekannt, als „Formmeister“ der Metallwerkstatt und Leiter des Vorkurses ans Bauhaus berufen wurde, experimentierte er mit allen ­Medien und Materialien, die ihm unter die Hand kamen. Nebenbei avancierte er im Folgejahr gemeinsam mit seinem Förderer, Bauhaus-Direktor Walter Gropius, zum Herausgeber der Bauhaus-Bücher, in deren Reihe er gleich zwei Mal als Autor auftrat, 1925 mit „Malerei, Photographie, Film“ (zweite Auflage 1927: „Fotografie“ mit „f“!) und 1929 mit „Von Material zu Architektur“.
Anders als der Titel des letztgenannten Buches vermuten lässt, hat sich Moholy-Nagy nicht als Architekt versucht, er hat allenfalls zeichnerische Entwürfe geliefert, etwa für einen „Bau mit Bewegungsbahnen für Spiel und Beförderung“. Ihm ging es um die Aufhebung von Gattungsgrenzen, um einen neuen, dem technischen Fortschritt entsprechenden Umgang mit Licht und Raum. Beispielsweise gab er anstelle herkömmlicher Tafelmalerei „Telefonbilder“ in Auftrag, ­­die von fremder Hand nach Anweisungen per Telefon ausgeführt wurden. Drei dieser Kompositionen in emailliertem Blech sind in Chicago zu sehen.

Raum und Schwerkraft überwinden

Seine raumgestalterischen Fähigkeiten zeigt der 1930 entworfene, doch nie ausgeführte „Raum der Gegenwart“, der in der Ausstellung in der Rekonstruktion des Eindhovener Van Abbemuseums von 2009 zu sehen ist. Transparente Wände, horizontale Bänder von Fotografien, Filmprojektionen und eine Art Lichtkabinett bieten ein Feuerwerk an Sinneseindrücken. Ganz ähnlich sah sein Design des deutschen Beitrags zum Pariser Salon der „Société des artistes décorateurs“ im gleichen Jahr aus. Zuvor hatte er den Auftaktraum von „Film und Foto“ gestaltet, unter dem bezeichnenden Titel „Wohin geht die fotografische Entwicklung?“
An dieser Entwicklung wirkte er aufs lebhafteste mit. Seine Aufnahmen technisch-architektonischer Großformen wie etwa vom Berliner Funkturm oder von der Seilfähre über den Marseiller Hafen, die in der Retrospektive in nie zuvor gesehener Fülle zu bewundern sind, zeigen niemals das ganze Objekt, sondern Ausschnitte, wie sie sich dem Benutzer darbieten, in gewagten Perspektiven scharf nach oben oder unten. Es geht nicht um Wiedergabe, sondern um den Ausdruck technischer Modernität. Architektur war für ihn gerade nicht Stütze und Last, sondern die Überwindung von Raum und Schwerkraft, wie sie in solchen Konstruktionen verwirklicht war. Dass Moholy am berühmten 4. CIAM-Kongress in Athen teilnahm, sei nur am Rande vermerkt; er hatte früher bereits den Umschlag für ein Buch des CIAM-Sekretärs Sigfried Giedion gestaltet.
Nach fünf Jahren Lehrtätigkeit verließ Moholy das Bauhaus 1928 wieder und nahm in Berlin eine erfolgreiche Tätigkeit als Gestalter auf. Um 1930 entwarf er Bühnenbilder für die Piscator-Bühne und die Krolloper, die avanciertesten Theater ihrer Zeit. Weniger Bauten als Licht bestimmen seine Räume. Er drehte Kurzfilme wie „Berliner Stilleben“, die zeigen, wie verbreitet das spezifisch urbane Idiom war, das Walther Ruttmann mit seinem Klassiker „Berlin – die Sinfonie der Großstadt“ bereits 1927 verwendet hatte.
Moholy ging weiter zu kameraloser Fotografie, im Wortsinne als Zeichnen mit Licht. 1934 aus Deutschland vertrieben und seit 1937 in Chicago ansässig, beschäftigte er sich zuletzt mit dem synthetischen Material Plexiglas, das er bog und drehte und zu organoiden Formen wand. Und dazu mit 35mm-Farbfotografie, die er als einer der ersten erprobte, immer auf der Suche nach dem Potenzial neuester Technik. Auf der Suche nach: Zukunft. Die noch ans Los Angeles County Museum of Art weiterreisende und von Kuratoren aller drei Institutionen erarbeitete Ausstellung heißt vollständig: „Moholy-Nagy: Future Present“. Man kann es lesen als Übergang von Gegenwart in Zukunft, aber auch als Zukunft, die bereits gegenwärtig ist. Im Lebenswerk László Moholy-Nagys ist sie es ganz gewiss.

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